Danzig. Seit dem Verschwinden des letzten Sauriers Ballackus Rex haben Miroslav Klose, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Per Mertesacker und Lukas Podolski einen besonderen Stellenwert beim Bundestrainer. Und das ist natürlich die Folge ihrer Leistungsfähigkeit.

Im Mai 2010 musste ein Spitzenposten bei der Nationalmannschaft neu vergeben werden. Capitano Michael Ballack konnte die Reise zur WM in Südafrika nicht antreten. Der alte Leitwolf war verletzt. Für den Bundestrainer stellte sich die Frage: Wen ernenne ich zum Interims-Rudelführer, wem überreiche ich die Kapitänsbinde? Miroslav Klose hätte sie wegen seiner umfangreichen Sammlung an Einsätzen für Deutschland gebührt. Doch bei Klose handelt es sich um einen Angler, der der Welt über dem Wasserspiegel mit ironischer Distanz begegnet. Zur Übernahme repräsentativer Aufgaben qualifiziert das nicht. Und zu einer strammen Willensbekundung ließ sich der Stürmer auch nicht hinreißen.

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Joachim Löw entschied sich dazu, Philipp Lahm ins Amt zu hieven. Und wie sich im Nachhinein herauskristallisierte, war dieser Schritt der erste auf dem Weg zum Königssturz und zur Etablierung einer neuen Führungselite der jüngeren Alten in der Nationalmannschaft. Lahm ist deren politischer Wortführer, dem politische Ränke nicht fremd sind. Bastian Schweinsteiger wurde zum „emotionalen Leader“ ausgerufen, dem der Bundestrainer attestiert, „eine Führungspersönlichkeit“ zu sein, „die von Ehrgeiz ständig angetrieben wird“. An Per Mertesacker schätzt Löw die Verlässlichkeit, die sperrige Klugheit und die tiefe Verinnerlichung des Gruppengedankens. Von Klose ist bekannt, dass er hinter verschlossenen Türen pointiert seine Meinungen vertreten kann. Und Lukas Podolski wird zwar erlaubt, der Poldi zu sein. Wenn der Ich-will-nur-spielen-Spieler aber wollte, dann…

Klose gehört seit 2001 zum DFB-Kreis

Auch andere dürfen sich bei korrekter Pflichterfüllung als gesetzt empfinden. Auch andere dürfen mitreden. Aber die Big Five, die großen Fünf, genießen seit dem Verschwinden des letzten Sauriers Ballackus Rex einen Sonderstatus beim Bundestrainer. Und das ist natürlich die Folge ihrer Leistungsfähigkeit. Das ist aber darüber hinaus auch die Folge eines gemeinsamen Wachsens und Zusammenwachsens. Klose gehört bereits seit 2001 zum nationalen Kreis, Lahm, Schweinsteiger, Mertesacker und Podolski debütierten 2004, als Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann und sein damaliger Assistent Löw ihr „Projekt WM 2006“ starteten. Das schafft Bindung. Das schafft Zusammengehörigkeitsgefühl. 470 Länderspiele hat die Fünferrunde absolviert, mehr als alle anderen 18 in den EM-Kader aufgenommenen Akteure zusammen genommen. Das verschafft Gewicht. Das verschafft Reputation.

Selbst ein Lukas Podolski weiß das. Der Herzenskölner hat zwar erklärt: „Führungsansprüche habe ich nie gestellt. Ich freue mich einfach, wenn ich auf dem Platz stehen kann.“ Dass er fast immer auf dem Platz stehen kann, liegt aber auch daran, dass Löw stets zunächst demjenigen sein Vertrauen schenkt, der sich seine Meriten in der Nationalmannschaft erworben hat. Und zwar: über einen weit ausgedehnten Zeitraum hinweg. Oder, wie in den fünf besten aller möglichen Fälle: seit Beginn der Ära Löw.

Portugal im Fokus

Dass der Bundestrainer seit Wochen besorgt, hoffnungsfroh, geduldig verfolgt, wie es um die Fitness der zwischenzeitlich lange verletzten Schweinsteiger, Klose, Mertesacker bestellt ist, hat darin seine Ursache. Er will diese EM im Kern mit dem Personal bestreiten, das bei vielen Turnieren einen gewaltigen Erfahrungsschatz zusammenraffen konnte. Er will in dieses Kräftemessen der europäischen Giganten mit denen ziehen, die seine Vorstellungen vom Fußball, die seine Philosophie aufgesogen haben, die unter seinen Händen größer und größer sind.

Platz zwei bei der WM 2002 für Klose. Platz drei bei der WM 2006, Platz zwei bei der EM 2008, Platz drei bei der WM 2010 für alle anderen inklusive Klose. Das ist die Turnierausbeute der Big Five. Bei der EM 2012 geht es also auch darum, aus einer Generation durch einen Titelgewinn eine goldene Generation zu machen. Allerdings: doch nur nachrangig. Vorrangig geht es um ein gutes Ergebnis in der ersten Vorrundenpartie gegen Portugal am 9. Juni. Seinen Spitzenpolitiker musste der Bundestrainer deshalb schon bremsen. Das Wort „Es zählt nur der Titel“, das sich der vollendungssehnsüchtige Lahm erlaubt hatte, ist entsorgt. Es gilt, was der beruhigte Kollege Mertesacker vorbildlich zusammengefasst hat. Fokus auf den Gegner eins. Jeder ist auswechselbar. Auch „eine neue Generation soll Akzente setzen“.