Danzig. Die drei Dortmunder Polen Jakub Blaszczykowski, Lukasz Piszczek und Robert Lewandowski werden in ihrem Heimatland verehrt - gerade so kurz vor der EM. Sie tragen die Last der nationalen Erwartung auf ihren Schultern und zeigen sich trotzdem voller Vorfreude auf das Turnier.

Unter Jakub Blaszczykowski rauscht der Verkehr schnell und sechsspurig dahin. In schwarz-weiß blickt er hinab von einer Häuserfassade, auf der er viele, viele Quadratmeter groß für ein Parfum wirbt. Er blickt hinab auf eine Kreuzung, auf junge Frauen, die in der einen Hand eine „H&M“-Tüte tragen und in der anderen einen Kaffee von Starbucks. Er blickt hinab auf Menschen, die in ihren Autos nach Sopot hasten, dem schönen Küstenort im Norden, oder in die andere Richtung nach Danzig, der pulsierenden Großstadt. Zwischen beiden Fahrtrichtungen wehen polnische Fahnen im Wind und hängt ein buntes Banner: „Creating history together“ steht darauf. Es ist der Slogan dieser Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. Gemeinsam Geschichte schreiben - die Dimension, in der gedacht wird, ist groß.

Am kommenden Freitag beginnt diese EM mit dem Spiel der Polen gegen Griechenland. Es ist das erste Sport-Großereignis dieser Art jenseits des früheren Eisernen Vorhangs. Die Bilder, die in diesen Tagen entstehen werden, werden hinaus gehen in die Welt. Schöne Bilder sollen das sein, dafür soll die Mannschaft sorgen, ihr Kapitän Jakub Blaszczykowski (26), der Mann den alle nur Kuba nennen, Lukasz Piszczek (26), der Rechtsverteidiger, und vor allem Robert Lewandowski (23), der Torjäger, der für die Siege sorgen soll. Er blickt den Menschen ebenfalls von Häuserfassaden entgegen, er wirbt für Coca Cola und Nike, er ist in den vergangenen zwei Jahren zu einem der aufregendsten Stürmer des internationalen Fußballs geworden. Sie alle spielen bei Borussia Dortmund. Sie sind die polnische Hoffnung auf eine erfolgreiche EM – und das ist das eigentlich Erstaunliche. Denn ihr Weg ist gesäumt von schweren Prüfungen.

"Wir alle haben schon als Kind davon geträumt, mal bei einer EM zu spielen"

Lewandowskis Vater starb, als Robert 16 Jahre alt war. Früh ist er der einzige Mann im Haus, der Fußball soll ihm das Geld bringen, seine Mutter zu unterstützen. Doch bei Legia Warschau schicken sie den jungen Mann, der schon Profi ist, fort. Zu schmächtig, zu schwach. Seine Mutter nahm ihren Jungen mit und brachte ihn bei einem Vorortklub unter. Auch dort hielt man ihn nicht gerade für überragend, er spielte nur, weil kein anderer da war. Und er spielte gut. 5000 Zloty, gut 1000 Euro, erhielt Legia damals als Ablösesumme für Robert Lewandowski. Sein gegenwärtiger Marktwert dürfte an die 20 Millionen betragen – Euro, nicht Zloty.

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Mit ein wenig Verspätung reiste Blaszczykowski vor ein paar Wochen ins EM-Trainingslager der Polen. Das letzte halbe Jahr war so gut für ihn gelaufen wie keines zuvor. Seit fünf Jahren spielt er beim BVB, dreieinhalb Jahre rief der Mittelfeldspieler mit seinem ungestümen Sprint-Fußball häufiger Kritik als Lobeshymnen hervor. Während der Vertretung von Mario Götze blühte er zuletzt zum besten Blaszczykowski aller Zeiten auf. Doch kurz vor der EM holte ihn die Vergangenheit ein: Sein Vater verstarb, der Mann, der die Mutter des damals elfjährigen Jakub ermordet hatte und ins Gefängnis wanderte.

„Wir alle haben schon als Kind davon geträumt, mal bei einer EM oder WM zu spielen. Und dass dann jetzt auch noch im eigenen Land…das ist die größte Geschichte“, sagt Lukasz Piszczek. Um ein Haar hätte er sich seinen Traum nicht erfüllen können, weil ihn Hardliner aus dem polnischen Fußball-Verband sperren wollten. Seine Beteiligung an einer Spielmanipulation vor vielen Jahren hat er selbst angezeigt, aber eine ganze Zeit lang hieß es, es solle ein Exempel statuiert werden an dem Mann, der noch vor zwei Jahren ein Mitläufer bei Hertha BSC Berlin war und sich beim BVB zum besten Rechtsverteidiger der Liga entwickelte.

Die Drei, sie kennen ihren Auftrag. „Das Turnier hat neue Autobahnen, Flughäfen und Bahnhöfe gebracht. Das hat unser Land viele, viele Schritte nach vorn gebracht. Was jetzt fehlt ist eine gute EM und ich hoffe die spielen wir auch“, sagt Blaszczykowski. Der Druck, die Erwartungshaltung ist riesig, das Viertelfinale das Mindestziel. „Griechenland ist doch auch Europameister geworden“, sagte Lewandowski jüngst in einem Interview, „warum nicht auch wir?“ Sehr ausgeprägt ist der eigene Glaube an dieses Wunder aber offenbar nicht. Am liebsten, so sagen sie und kaschieren es mit einem Lachen als kleinen Scherz, hätten sie die ganze Dortmunder Mannschaft mit zur EM genommen.