Essen. Vier Stars und 17 Mitstreiter - so sieht das Aufgebot der polnischen Nationalmannschaft aus. Neben den drei Abgesandten von Borussia Dortmund verkörpert nur noch Torhüter Wojciech Szczesny vom FC Arsenal gehobene Klasse.

Es muss sich schon etwas seltsam anfühlen für die übrigen polnischen Nationalspieler. Da bekommen sie tagaus, tagein vorgebetet, und von ihrem Trainer Franczisek Smuda jederzeit bestätigt, dass Polens Nationalmannschaft aus vier Weltstars besteht. Sowie – freundlich formuliert – aus mehr oder weniger austauschbaren Ergänzungsspielern. Der Versuch, diese Gruppe im Trainingslager in Lienz (Österreich) und dann bei der Europameisterschaft vor heimischem Publikum zu einer harmonischen und krisensicheren Einheit zu formen, dürfte ein spannendes Experiment werden.

"Ich habe da keine Sorgen", sagt Tomasz Waldoch, 74-facher polnischer Nationalspieler und heute U17-Trainer bei Schalke 04. "Sie sind Stars, aber sie verhalten sich nicht so." Die Rede ist vom fulminanten Trio von Meister Borussia Dortmund - Robert Lewandowski, Jakub Blaszczykowski und Lukasz Piszczek – sowie vom famosen Torwart Wojciech Szczesny vom FC Arsenal. "Die Dortmunder werden die positive Stimmung aus ihrer grandiosen Saison mitbringen", sagt Waldoch, "und allen ist klar, dass sie nur als Einheit bestehen können." Verteidiger Piszczek verspricht: "Wir fügen uns ein, das ist gar keine Frage."

9 Fakten über den polnischen Fußballverband

Name: Polski Zwiazek Pilki Noznej (PZPN)

Gründung: 20. Dezember 1919

Präsident: Grzegorz Lato

Homepage: www.pzpn.pl

Rekordmeister: Ruch Chorzow, Gornik Zabrze (je 14 Titel)

Rekord-Pokalsieger: Legia Warschau (15 Titel)

Zwei EM-Teilnahmen: 1960 (im Achtelfinale/Erste Runde gegen Spanien ausgeschieden), 2008 (Vorrunde)

Sieben WM-Teilnahmen: 1938 (Achtelfinale), 1974 (Dritter Platz), 1978 (Zwischenrunde), 1982 (Dritter Platz), 1986 (Achtelfinale), 2002 (Vorrunde) und 2006 (Vorrunde)

Bestes Abschneiden bei einer WM: Dritter 1974 und 1982

Das "Jetzt oder nie"-Gefühl

Trainer Smuda hat, abgesehen von den großen Vier, viel experimentiert in der Vorbereitung - an der Qualifikation musste der Gastgeber ja nicht teilnehmen -, kaum jemand darf sich auf einen Stammplatz berufen. Am ehesten noch Innenverteidiger Marcin Wasilewski, den die einen "Robocop", die anderen "Panzer" nennen; ebenso wichtig als kompromissloser Abräumer wie als Integrationsfigur des Teams. Im Mittelfeld haben Ludovic Obraniak (Girondins Bordeaux), Dariusz Dudka (Auxerre), einer der wenigen Veteranen aus dem WM-Kader 2006, sowie Maciej Rybus vom russischen Erstligisten Terek Grozny die besten Karten. Und sie werden wichtige Rollen spielen: jeder Gegner – in der Vorrunde Griechenland, Tschechien und Russland – wird den Dortmunder Stars maximale Aufmerksamkeit widmen. Die entstehenden Freiräume müssen andere nutzen.

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Was das polnische Team eint, ist ein "Jetzt oder nie"-Gefühl: heimisches Publikum, erfolgsverwöhnte Stars, dazu eine vermeintlich leichte Gruppe – so einfach war es selten, nach der Erfolgsära der 70er-Jahre einmal wieder die zweite Runde eines Turniers zu erreichen. "Bei dieser Gruppe kann man sich leicht täuschen", warnt Nationaltrainer Smuda, "für mich ist Russland Favorit."

Polen flieht vor den Schatten der Vergangenheit

Jedenfalls muss Polen im Eröffnungsspiel gegen Griechenland punkten, am besten gar gewinnen, um nicht von den Schatten der Vergangenheit eingeholt zu werden. In der jüngeren Geschichte – WM 2002 und 2006, EM 2008 – verlor Polen jeweils das Auftaktspiel und schied dann sang- und klanglos aus.

Die Zuversicht im Land wächst, und sie gründet sich auf eine einfache Hoffnung: Lewandowski wird pro Spiel irgendwie schon einmal treffen, und Szczesny zur Not alles halten. So unrealistisch ist diese Vorstellung gar nicht. (dapd)