Amsterdam. Der Kapitän der Niederlande nimmt seine Rolle als Anführer sehr ernst, auch im Kampf gegen Rassismus. In Ungarn droht ihm ein Konflikt.
Schon auf dem Rasen agiert Giorginio Wijnaldum bei dieser Europameisterschaft ungewohnt offensiv, zwei Treffer sind dem Kapitän der niederländischen Nationalmannschaft in der Gruppenphase bereits gelungen. Dass dieser zurückhaltende Mensch, den alle „Gini“ nennen, nun auch verbal in die Offensive geht, war in dieser Form aber nicht zu erwarten.
Nach drei stimmungsvollen Heimspielen in Amsterdam reisen die Holländer zum Achtelfinalduell gegen Tschechien nach Budapest, wo der Franzose Kilian Mbappé in der Gruppenphase rassistisch beleidigt worden ist. Nun stellt Wijnaldum klare Forderungen, wie in solchen Fällen seiner Meinung nach reagiert werden sollte. Er selbst sei im Stadion noch nicht Opfer derartiger Anfeindungen geworden, erzählt er in einer Presserunde in dem Örtchen Zeist nahe Amsterdam, wo das Team logiert. Allerdings hat er einmal öffentlich erklärt, im Falle solch eines Übergriffs sofort das Feld zu verlassen mit dem Ziel eines Spielabbruchs.
Wijnaldum droht in Ungarn ein persönlicher Konflikt
Diese Aussage holt ihn nun ein. „Ich habe viel nachgedacht: Gini, du wirst nächsten Sonntag in Ungarn spielen. Was wirst du tun, wenn es tatsächlich passiert?“, berichtet er. Seine Antwort an sich selbst: „Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Vielleicht denken Anhänger des Gegners: Die Niederlande sind besser. Wenn wir uns jetzt rassistisch äußern, werden sie das Feld verlassen.“ Um nicht in einen heftigen persönlichen Konflikt zu geraten, fordert Wijnaldum daher: „Die Uefa muss eine führende Rolle dabei spielen und die Spieler schützen. Sie sollte diejenige sein, die sagt: Wenn so etwas passiert, brechen wir das Spiel ab.“
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Das setzt den Verband, der bereits für seinen Umgang mit dem Regenbogen-Thema kritisiert wird, weiter unter Druck. Zumal Wijnaldum ankündigt, eine „spezielle OneLove-Kapitänsbinde“ zu tragen, mit der er ein Zeichen „für Zusammenhalt und damit gegen Ausgrenzung und Diskriminierung“ setzen möchte. Der 30 Jahre alte Kapitän der Niederlande, der in einem bunten Viertel mitten in Rotterdam aufgewachsen ist, nimmt seine Rolle als Anführer sehr ernst, auch auf dem Platz.
Jürgen Klopp, unter dem Wijnaldum bis zum Ende der vergangenen Saison in Liverpool spielte, bedauert den ablösefreien Wechsel seines zuverlässigen Mittelfeldarbeiters zu Paris St. Germain sehr. „Was diese wundervolle, fröhliche, selbstlose Person für unser Team und den Verein getan hat, kann ich nicht in Worte fassen, da mein Englisch dafür zu schlecht ist“, sagte Klopp zum Abschied gegenüber englischen Journalisten. „Er ist und bleibt einer der Architekten unseres Erfolgs – für jetzt und immer.“
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Wijnaldum war ein entscheidender Faktor für Klopps Erfolge, den Champions League-Sieg 2019 und die noch mehr herbeigesehnte Meisterschaft 2020. Allerdings stand er immer etwas im Schatten anderer. Doch Wijnaldum gefällt die Rolle jenseits des ganz grellen Lichts, ihm fehlt das Geltungsbedürfnis, das andere Fußballer treibt. Der wahre Anführer der Elftal ist in den Augen Wijnaldums der verletzte van Dijk, die beiden telefonieren fast jeden Tag miteinander.
Wijnaldum gilt als Meister des vorletzten Passes
Als „unsung Hero“, bezeichnet der ehemalige englische Nationalspieler Gary Neville Wijnaldum, „man schaut ihm nicht zu und denkt: Der macht alles herausragend gut“, erklärt Neville, „aber er ist ein selbstloser und äußerst wichtiger Spieler, denn er kämpft für seine Kollegen gleich mit.“ Dazu passt: Wijnaldum gilt als Meister des vorletzten Passes vor Toren und vor Torchancen.
Nachdem die Mannschaft und ihr Trainer Frank de Boer zu Turnierbeginn von viel Skepsis begleitet worden waren, scheint nach den drei Vorrundensiegen der Elftal vieles möglich. Zumal Holland in der einfacher wirkenden Hälfte des Turnierbaums spielt und bei einem Sieg gegen Tschechien im Viertelfinale auf den Sieger der Partie Dänemark-Wales träfe.