Dortmund. Auch in Dortmund „anne Bude“ kommt man nur schwer an einem Gespräch über das Freitagsspiel zwischen Hoffenheim und Leverkusen vorbei. An der Strahlkraft der beiden Retortenvereine liegt das freilich nicht, sondern am neuerlichen „Phantom-Tor“.

Auch wenn Neuerungen bei traditionsbewussten Fans traditionell einen schweren Stand zu haben scheinen, gibt es nur wenige, die nach dem Phantom-Tor von Hoffenheim einen Einwand gegen die Torlinientechnik hätten. Und einigen geht selbst das nicht weit genug – sie fordern die Einführung eines Videobeweises.

Nach dem vergangenen Fußballwochenende ist es mal wieder an der Zeit, über die konservativen Strukturen im europäischen und deutschen Fußball zu reden. Und diese endlich zu ändern. Seit dieser Saison ist es möglich mit Hilfe des sog. Hawk-Eye-Systems , welches auf mehreren Torlinienkameras basiert, jedes mögliche Tor eindeutig zu klassifizieren: drin oder nicht drin? Die FIFA hat hochoffiziell sowohl dem Hawk-Eye als auch dem Konkurrenten GoalRef ihren Segen gegeben, in der englischen Premier League kommt das Hawk-Eye seit dieser Saison zum Einsatz. Warum nicht in der Bundesliga? Hier will man sich erst im Dezember, nach der Klub-WM , mit dem Thema beschäftigen, es soll jedoch frühestens 2015 eingeführt werden. Man möchte die UEFA, die ein solches System ablehnt, nicht verärgern. Ein mehr als schwaches Argument.

Fußball lebt angeblich von strittigen Entscheidungen

In den Fanszenen gibt es natürlich auch Kritiker, die sich das Traditionelle bewahren wollen und meinen, durch eine solche Technik würde das Spiel zerstückelt, würde weiteren Technikvorhaben Tür und Tor geöffnet. Und überhaupt: Der Fußball lebt doch von strittigen Entscheidungen und Diskussionen. Aber nicht so! Es ist völlig unbegreiflich, warum man sich einer Technik verschließt, die in anderen Sportarten wie bspw. dem Eishockey, seit Jahrzehnten problemlos funktioniert. Stattdessen wird jetzt über das „Phantomtor“ einer Partie aus dem Retorten- und Logenbereich diskutiert, die ansonsten kaum Beachtung findet. Weder Fans noch Vereine wollen durch falsche Torentscheidungen bevor- oder benachteiligt werden. Schließlich will man sportlich gewinnen und verlieren und nicht aufgrund falscher Entscheidungen. Da helfen auch keine Plattitüden wie „im Laufe einer Saison gleicht sich alles aus“ weiter.

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Doch es geht auch um den Schutz aller Beteiligten: Spieler und Schiedsrichter werden nach solch strittigen Szenen oftmals an den Pranger gestellt und als die sprichwörtliche „Sau durchs Dorf getrieben“. Am Ende geht es immer um Menschen. Und Menschen machen nun mal Fehler und können bestimmte Dinge nicht erfassen – auch wir Fans nicht. Was infolge eines solchen Fehlers passiert und wie sich die Beteiligten wohl dabei fühlen, konnte man diesen Freitag wieder beobachten: Konzessionsentscheidung beim Elfmeterpfiff, Diskussionen und verdruckste Kommentare nach dem Spiel sind die Stichwörter.

Man möge sich nur mal vorstellen, was im Dortmunder Fußballtempel losgewesen wäre, wenn am Samstag eine ähnliche Situation zu einem Tor für Hannover geführt hätte und nicht in Sinsheim bei einem Spiel gegen Leverkusen – wo sich lediglich VIP-Logenbesucher und Erlebnisweltzuschauer die Klinke in die Hand geben. Als vor rund einem Jahr Marcel Schmelzer zu Unrecht des Feldes verwiesen wurde, kochte das Stadion wie ein Hochofen. Für solche Fälle könnte man ebenfalls einen Videobeweis heranziehen, den bspw. jeder Trainer zwei Mal pro Spiel fordern darf. Die von manchen angeprangerte Spielverzögerung hielte sich in Grenzen und wäre zugunsten einer richtigen Entscheidung zu verschmerzen. Solche Systeme werden in anderen Mannschaftsspotarten problemlos praktiziert.

Unnötiger Fußball-Nostalgie entledigen 

Klar, vor etwas Neuem, Unbekannten, hat man erst mal Angst. Doch es ist schon längst an der Zeit, sich in diesem Punkt unnötiger Fußball-Nostalgie zu entledigen. DFB und DFL müssen schnellstens den Weg zur Nutzung der Torkamera frei machen – um an dieser Stelle einen fairen Sport zu ermöglichen, der nicht auf fälschlicherweise gegebenen oder nicht gegebenen Toren beruht – und um den unnötigen Druck von den Fußballern, Trainern, Schiedsrichtern und den Fans zu nehmen. Da hilft auch kein zusätzlicher Torrichter oder eine bessere Bezahlung. Menschliche Unzulänglichkeiten gibt es in jedem Fall. Und diese sind weder Sportlern, Fans, noch den Betroffenen selbst länger zuzumuten.

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Der Rattenschwanz an Diskussionen, der sich nach einer solchen Fehlentscheidung bildet, ist unerträglich, da man diese Situationen komplett ausschließen und verhindern könnte, wenn der DFB und die DFL nur endlich aus ihrer starren Haltung heraus kämen. Tagelang wird dann über eine Fehlentscheidung mitsamt einer allzu menschlichen Konzessionsentscheidung diskutiert, über Tornetze und mögliche Wiederholungsspiele, die es vermutlich nicht geben wird. Dies bietet wiederum weitere Angriffsflächen und Raum für Verschwörungstheorien usw. usf. Das alles sind Diskussionen, die man vollkommen überflüssig machen könnte. Es gibt kein vernünftiges Argument, was gegen eine technische Abhilfe spricht.

Nicht durch falsche Entscheidungen das Spiel kaputt machen lassen

Als Fan will ich mir durch objektiv falsche Entscheidungen nicht ein ganze Spiel kaputt machen lassen, wenn man es technisch verhindern kann. Zumal es bei einem Spiel ggf. noch um viel mehr gehen kann als „nur“ um drei Punkte (Meisterschaften, Europacup-Qualifikationen, Auf- und Abstiege). Anschließende müßige Diskussionen über mögliche oder nicht mögliche Wiederholungsspiele könnte man sich ebenfalls sparen. Zumal Wiederholungsspiele für Fans Mehrkosten bedeuten und einen zusätzlichen zeitlichen Aufwand, den nicht alle aufbringen können. Doch an falschen Schiedsrichterentscheidungen gibt es in der Regel sowieso nichts zu rütteln. Von daher kann man nicht einfach ein Wiederholungsspiel ansetzen – die Tatsachenentscheidung steht, da steigt einem ansonsten die FIFA aufs Dach, wie frühere Fälle beweisen. Ein Argument mehr für die schnelle Einführung der Torlinientechnik bzw. des Videobeweises in der Bundesliga und im Europapokal – so wie es die Premier League und die FIFA vormachen.

Lippenbekenntnisse für Fairplay auf und außerhalb des Platzes gibt es immer wieder – von den Verbänden großmundig zu Papier gebracht, dürfen es die Mannschaftskapitäne dann gefühlt einmal im Quartal verlesen. Das sollte dem Zuschauer doch reichen müssen, oder etwa nicht? Denn Worte und Taten sind insbesondere bei Fußballverbänden oftmals zwei Paar Schuhe – zum Leidwesen aller Beteiligten. Auch wenn sich in dem aktuellen Fall Hoffenheim und Leverkusen über ein wenig mehr an Aufmerksamkeit freuen dürfen.

Patrick Meiß (Gib mich DIE KIRSCHE), 21.10.2013