Madrid. Nach dem Dortmunder 4:1-Sieg im Hinspiel wird Real Madrid am Mittwochabend von der ersten Sekunde an wütende Angriffe starten. Der BVB wird defensiv gefordert sein, muss aber auch das eigene Spiel nach vorne entwickeln. Vor allem Ilkay Gündogan hat einen Balanceakt zu bewerkstelligen.

Blaue Sitzschalen so weit das Auge reicht. Auf sechs, sieben oder acht Etagen, so genau ist das nicht zu sagen in diesem Koloss von Stadion. Stille herrscht an diesem riesigen Ort, so sehr, dass man beinahe den kalten Regen auf den Rasen fallen hören kann, als Ilkay Gündogan den Fuß auf das Feld setzt. Abschlusstraining von Borussia Dortmund vor einem der größten Spiele.

Er sieht winzig aus in dieser Kulisse. Doch dieser Mann kann Großes bewirken. Nicht weniger ist am Mittwochabend seine Aufgabe, wenn das Halbfinal-Rückspiel der Champions League zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund angepfiffen wird (20.45 Uhr/live bei Sky und in unserem Ticker). Im Estadio Santiago Bernabeu, einer fast heiligen Stätte des Welt-Fußballs. Es geht um das Finale in London, um die Erfüllung eines Traums.

„Natürlich waren wir schon einmal hier - und dabei nicht einmal erfolglos“, sagt Gündogan ein paar Minuten zuvor im Keller des Stadions, wo der Boden aus Marmor und englisch verlegtem Parkett besteht. Nur das Beste, das ist Real Madrid, das Imperium der Galaktischen, das Selbstverständnis des bekanntesten Fußball-Klubs der Welt. „Hier in dieses Stadion einzulaufen, ist einfach sensationell“, sagt Gündogan.

Ein epischer Kampf in Madrid

Er weiß, dass dieses Rückspiel aller Wahrscheinlichkeit nach ein epischer Kampf werden wird. Denn in das Bild von Real Madrid passen keine Niederlagen, schon gar nicht gegen einen Niemand der jüngeren internationalen Fußball-Geschichte. Doch der BVB hat die Königlichen nicht nur in Schach gehalten, sondern einmal knapp und einmal vernichtend geschlagen. Das 4:1 aus dem Hinspiel vor sechs Tagen verschafft eine gute Ausgangsposition. Mehr nicht. Denn das große Real kann solche Rückstände aufholen. Alles ist möglich in einem der größten Spiele der Dortmunder Vereinsgeschichte.

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Dortmund's head coach Juergen Klopp smiles during a press conference at the Santiago Bernabeu stadium in Madrid on April 29, 2013, on the eve of the UEFA Champions League football match Real Madrid CF vs Borussia Dortmund.  AFP PHOTO / JAVIER SORIANO
Von aufgezeichnet in der Pressekonferenz von Daniel Berg

Ilkay Gündogan fällt in diesem Duell eine Schlüsselrolle zu. Das gereizte Real wird anrennen, wird stürmen, wird von der ersten Sekunde an wütende Angriffe starten. Die Borussia wird defensiv gefordert sein, gleichwohl aber bemüht, ja fast gezwungen, das eigene Spiel nach vorn zu entwickeln. „Es geht um die richtige Balance zwischen Offensive und Defensive“, gibt Trainer Jürgen Klopp vor. Ein Balanceakt, den Ilkay Gündogan an erster Stelle zu bewerkstelligen hat.

Im zentralen Mittelfeld ist er der Hochseilakrobat, der es versteht, das schwarz-gelbe Spiel im Gleichgewicht zu halten zwischen den beiden Abgründen, die sich auftun: zu viel Sturm und Drang, zu viel kopfloses Verteidigen im Angesicht eines Madrider Sturmlaufs. Es ist ein dünnes Seil – gerade an einem Abend wie diesem, an dem jeder Fehler bitter bestraft wird.

Gündogan ist der Architekt des BVB-Spiels

Ilkay Gündogan ist der Architekt des Dortmunder Spiels, seine Mitspieler suchen ihn, weil er den Ball halten, das Spiel beruhigen kann, um dann gefährliche Aktionen zu kreieren. Gleichzeitig ist er der Mann, der im Zentrum die gegnerischen Feldzüge vorausahnen und sabotieren muss.

Im Hinspiel hat er das auf erstaunliche Art und Weise vollbracht. Wenn es nicht diese 4-Tore-Unglaublichkeit von Robert Lewandowski gegeben hätte, wäre Gündogan der Mann des Abends gewesen. Gelassen temperierte er das Dortmunder Spiel, führte brillant Regie und hätte um ein Haar den Vorsprung noch größer gestaltet. Kurz vor dem Ende zog er am Madrider Strafraum an drei Gegenspielern vorbei, so schnell, so listig, so zielstrebig, dass ihm niemand folgen konnte. Nur die Fingerspitzen des Torwarts verhinderten das 5:1. Die Stars von Real – ausgetanzt von einem 22-Jährigen, den sie einst beim Zweitligisten VfL Bochum nach Nürnberg gehen ließen. Da war er gerade 18. Seitdem kennt seine Karriere nur einen Weg: nach oben.

Längst wird er bei den großen Klubs in Europa gehandelt, vor allem in Spanien, beim FC Barcelona, wo mit Xavi und Andres Iniesta zwei Männer Fußball spielen, die Gündogan über alle Maßen verehrt. Er wird längst als ihr Nachfolger gehandelt. Gündogan, der gebürtige Gelsenkirchener, begegnet diesen Spekulationen gelassen. Er sagt, dass er sich in Dortmund wohl fühlt, dass sich weiter entwickeln und vielleicht sogar seinen bis 2015 laufenden Vertrag verlängern wird. Er glaubt, dass da noch mehr in ihm und dieser Borussia steckt. Real Madrid dürfte das mit Schrecken vernehmen.