Essen. Viele Fans sehen den BVB nach dem sensationellen 4:1-Heimsieg gegen Real Madrid bereits im Finale der Champions League. WAZ-Redakteur Thomas Richter hat 1985 miterlebt, wie die andere Borussia aus Mönchengladbach, einen noch höheren Vorsprung gegen das “weiße Ballett“ in der spanischen Hauptstadt noch aus der Hand gab, und mahnt. Ein Rückblick.
Eines vorweg: Ich bin Gladbach-Fan. Diese Zeilen sollen aber vornehmlich für die Fans der anderen Borussia, der aus Dortmund, bestimmt sein. Als eindringliche Mahnung. Denn all jenen Schwarz-Gelben, die nach dem betörenden 4:1 über Madrid nun bereits im Internet nach Tickets für das Champions-League-Finale in Wembley stöbern, sei gesagt: Vorsicht vor dem Rückspiel am nächsten Dienstag im Bernabeu-Stadion! Dort erwartet jeden unaufmerksamen oder gar leichtfertigen Gast ganz schnell die reale Ernüchterung. Ich weiß, wovon ich rede…
Es ist der 27. November 1985. Per Zug und Straßenbahn mache ich mich auf den Weg nach Düsseldorf. Dort, im weiten, rotgestuhlten Rund des damals noch existierenden Rheinstadions, empfangen „meine“ Gladbacher im Achtelfinale des UEFA-Pokals (den Jüngeren sei kurz erklärt, dass dies der Vorläufer-Wettbewerb der heutigen Euro League ist) das große Real Madrid. Und weil die Kartennachfrage nach der Ziehung dieses Traumloses jede bis dahin bekannte Dimension sprengt, ist die Verlegung des Spielortes vom Mönchengladbacher Bökelberg ins größere Rund der benachbarten Düsseldorfer Fortuna schnell beschlossene Sache. So kommen also 65.000 Zuschauer in den Genuss, etwas Unvergessliches erleben zu dürfen.
Klatsche für die Königlichen im Dauerregen von Düsseldorf
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Denn die Gladbacher - zu deren Stützen in diesen Tagen Torwart Uli Sude, die Abwehrrecken Wilfried Hannes, Hans-Günter Bruns sowie die Tor-Garanten Frank Mill, Uwe Rahn und Hans-Jörg Criens zählen – fegen die ganz in lilafarbenem (!) Dress auflaufenden „Königlichen“ aus Madrid mit sage und schreibe 5:1 vom Platz. Unfassbar! Sanchez, Valdano, Butragueno und Camacho erleben im Dauerregen von Düsseldorf eine Klatsche von historischen Ausmaßen. Und wir Fans auf den Stehplätzen (ja, das war damals auch bei internationalen Kicks noch erlaubt) sangen uns im Bann des Erlebten die Stimmen aus dem Leib.
Am nächsten Morgen - es ist der einzige in meiner gesamten Schullaufbahn, an dem ich nach einer Nacht des Durchfeiern verschlafen habe - betrete ich den Klassenraum mit großzügiger Verspätung. Als ich meinem fußballbegeisterten Englisch-Lehrer ein heiseres „Entschuldigung!“ entgegen hauche, riecht dieser sofort den Braten. „Du warst doch gestern bestimmt bei Gladbach im Stadion“, ahnt er. „Na dann hast du ja heute viel zu erzählen.“
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Sprachlos sollte ich erst zwei Wochen werden: Denn an jenem 11. Dezember 1985 ereignet sich im Estadio Santiago Bernabeu nicht minder Epochales: Real setzt zu einer atemlosen Aufholjagd an, führt durch zwei frühe Tore schnell mit 2:0. In der 76. Minute steht’s 3:0. Oje! Beim nächsten Gegentor wäre Gladbach tatsächlich noch ausgeschieden. Und in der 89. Minute macht’s Madrid. Durch Santilliana! Dieser Name hat sich auf ewig ins Fan-Gedächtnis eingebrannt. 4:0! Für jeden Gladbacher fühlt es sich an, als sei ihm das Herz herausgerissen worden. Das Adrenalin des Hinspiel-Triumphes floss fortan als lähmendes Nervengift durch die Fanadern. Die Tage danach fühlten sich taub und leer an.
Demut der beste Begleiter der Euphorie
Vielleicht spüre ich diese beiden Duelle vor 28 Jahren deshalb heute noch so intensiv in mir. Weil sie mich lehrten, dass die Demut der beste Begleiter der Euphorie ist. Dass zu einer K.o.-Runde immer zwei Spiele gehören. Und dass Fußball an manchen Tagen eben doch verrückt ist. Deshalb lieben wir ihn ja auch alle so…