Dortmund. Turbulentere Tage als die in der vergangenen Woche hat es in Fußball-Dortmund lange nicht gegeben. Der Fußball stand dabei nur ganz kurz im Vordergrund. Der Wechsel Mario Götzes zum FC Bayern stellte selbst den großen Champions-League-Abend gegen Real Madrid in den Schatten.

Die Nachricht vom Wechsel Mario Götzes zu den Bayern zur kommenden Saison hatte vergangenen Dienstag wie eine Bombe in Dortmund und ganz Fußball-Deutschland eingeschlagen. Was folgte, waren ein sensationeller Heimsieg gegen die Startruppe aus Madrid im Halbfinale der Champions League und eine Intensivierung des öffentlichen Vertragspokers um Robert Lewandowski. Kurzum: Turbulentere Tage als in der vergangenen Woche hat es in Dortmund lange nicht mehr gegeben. Der Fußball stand dabei nur ganz kurz im Vordergrund.

Die Vertragsverlängerung bis 2016 sei als klares Zeichen für Dortmund zu verstehen, hatte Mario Götze unlängst erklärt. Ansonsten hätte es ja gar keinen Grund gegeben, überhaupt zu verlängern. Dass sich Götze zum Zeitpunkt dieser Aussagen, im März 2013, mit einem Wechsel zum FC Bayern noch nicht auseinandergesetzt haben mag, daran ist wohl kaum zu denken. Treueschwüre auf der einen, Abwanderungswille auf der anderen Seite – so und nicht anders zeigt sich die janusköpfige Gestalt Götzes im Rückblick.

2011 war es der Abgang Nuri Sahins, der eine schmerzliche Lücke im Dortmunder Team hinterließ, ein Jahr später folgte Shinji Kagawa dem Ruf eines europäischen Top-Klubs ins Ausland. Nun ist es also Mario Götze, der seine sportliche Zukunft außerhalb Dortmunds sieht. Statt mit dem BVB, für den er seit dem neunten Lebensjahr seine Schuhe schnürt, etwas Großes aufzubauen, will der erst 20-Jährige lieber sofort nach den Sternen greifen – beim FC Bayern, versteht sich, mit einem stattlichen Gehalt von geschätzten zehn bis zwölf Millionen Euro.

Was gab den Ausschlag für Götzes Entscheidung?

Was bitteschön gab den Ausschlag für Mario Götzes Entscheidung? Das fragen sich die Fans des BVB seit Tagen. Ist es die scheinbar göttliche Aura Pep Guardiolas und die größere Chance auf sportlichen Erfolg? Mit Verlaub, auch wenn Borussia Dortmund mit den ganz großen Vereinen nicht mithalten kann, über die regionale Sache ist der Verein inzwischen hinausgewachsen. In diesem Jahr lässt der BVB auch international Taten sprechen, das Finale in der Champions League ist zum Greifen nah. Das scheint Götze jedoch nicht zu reichen, lieber macht er sich in Dortmund zur Hassfigur als seinen bis 2016 geltenden Vertrag zu erfüllen.

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Von Daniel Berg und Francois Duchateau

Es ist wohl nicht nur die Gier nach Erfolg, die Dortmunds Nummer 10 an die Isar wechseln lässt. Das üppige Gehalt von zehn bis zwölf Millionen Euro dürfte sein Übriges dazutun. Dafür scheint Götze die Leidenschaft des Dortmunder Publikums und die Vernarrtheit der ganzen Stadt in ihren Verein gerne zu opfern – Klatschpappen statt Emotionen, heißt es für ihn in Zukunft. Münchener Opernpublikum anstelle leidenschaftlicher Fußballanhänger aus dem Ruhrgebiet. Ob das für ihn von Relevanz ist, ob er darüber überhaupt einmal einen Gedanken verschwendet hat?

Götze hatte die Möglichkeit, sich ein Denkmal zu setzen

Mario Götze hätte die Möglichkeit gehabt, sich in Dortmund ein Denkmal zu setzen. Niemand hätte es ihm übel genommen, wenn er - nach Ablauf seines Vertrags - irgendwann zu einem europäischen Top-Verein gewechselt wäre. Dass er sich hingegen für die Bayern entschied, wird man ihm in Dortmund vielleicht nie verzeihen.

Das Entsetzen unter den BVB-Fans erstreckte sich jedoch nicht nur auf den Wechsel an sich, sondern auch und vor allem auf dessen Bekanntgabe einen Tag vor dem wichtigsten Spiel für Borussia Dortmund seit Jahren. Zwar will in München niemand die brisante Information an die Presse lanciert haben, als Nutznießer käme jedoch ausschließlich der Verein aus dem Süden in Frage. Nachweislich sorgte die Meldung bei den Bayern für Auftrieb vor dem Spiel gegen Barcelona und für mächtigen Wirbel beim Konkurrenten aus Dortmund. Wer glaubt, dass Letzteres von den Bayern sowieso nicht erwünscht sei, weil für sie international der Erfolg aller deutschen Mannschaften an erster Stelle stehe, ist auf dem Holzweg. Es gäbe für die Bayern nur ein schlimmeres Szenario als ein deutsch-deutsches Finale – nämlich es zu verlieren. Umso schöner, dass sie darum mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit nicht herumkommen werden.

Borussen ließen sich nicht aus der Ruhe bringen 

Denn die Antwort der Dortmunder Mannschaft auf die (von wem auch immer) bewusst erzeugte Unruhe vor dem Spiel gegen Madrid konnte sich sehen lassen. Auch von Hummels‘ Patzer kurz vor der Pause ließen sich die Borussen nicht aus der Ruhe bringen, vielmehr erzeugte der zwischenzeitliche Ausgleich die zuvor von Klopp angekündigte „Jetzt erst Recht“-Reaktion. Angetrieben vom Dortmunder Publikum, das Mario Götze aufgrund der Wichtigkeit der Partie von Pfiffen und Buhrufen verschonte, lieferten die Schwarzgelben eine wahre Glanzleistung ab – mit Robert Lewandowski als herausragendem Akteur.

Die vier Tore des polnischen Nationalstürmers haben einmal mehr gezeigt, wie wichtig er für das Dortmunder Spiel ist und welche Qualität und Fähigkeiten er in sich vereint. Doch war es nicht nur seine überragende Leistung auf dem Platz, die Lewandowski in die Schlagzeilen hievten. Nach dem Fall Hoeneß, dem Bekanntwerden des Götze-Wechsels und den beiden Halbfinalspielen, die es tatsächlich auch noch gegeben hatte, schickten sich Lewandowskis Berater an, ihren Schützling zum Ende der Woche in den Zeitungen ganz weit nach vorne zu platzieren. Robert wolle wechseln, so der Tenor der beiden Berater, noch in diesem Sommer, zu einem „noch größeren Verein“.

Was sind Verträge noch wert?

An der Causa Lewandowski wird sich derweil zeigen, wie viel Verträge im Fußball überhaupt noch wert sind. Mario Götze hatte im vergangenen Jahr eben nicht mit der Annahme verlängert, dass er den Vertrag bis zum Ende erfüllen würde. Ohne die Ausstiegsklausel, dank der er nun den Verein für die festgeschriebene Ablösesumme von 37 Millionen Euro verlassen darf, hätte Götze die Vertragsverlängerung gar nicht unterzeichnet.

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Im Fall Lewandowski liegt die Sache anders. Der Stürmer hat einen Vertrag bis 2014 und keine Ausstiegsklausel, darf ohne Einwilligung des BVB den Verein auch nicht eher verlassen. Grund genug für die Berater Kucharski und Barthel, über die Presse größtmöglichen Druck auf die Entscheidungsträger des BVB auszuüben. Zwar hat Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke inzwischen bestätigt, dass man sichim Falle eines „ordentlichen Angebots“ eines anderen Vereins mit dem Spieler und seinen Beratern zusammensetzen und über einen vorzeitigen Wechsel verhandeln würde – eine Art Ausstiegsklausel mit der Pflicht des BVB zur Erfüllung von Lewandowskis Wechselwunsch ist dies jedoch nicht.

Ungeachtet der Entscheidung, ob man Lewandowski für viel Geld einen Vertragsbruch genehmigt oder ihn im nächsten Jahr ablösefrei ziehen lässt, verdient die sportliche Führung des BVB vollstes Vertrauen. Nach den Abgängen von Sahin und Kagawa ist die Mannschaft nicht in sich zusammengefallen, und man darf hoffnungsvoll davon ausgehen, dass dies auch nicht im nächsten Jahrpassieren wird.

Leistung der Mannschaft muss gewürdigt werden

Davon abgesehen, sollten die Kaderplanungen für die kommende Saison einen Tag vor dem Halbfinal-Rückspiel in der Champions League getrost Dortmunds sportlicher Leitung überlassen werden. Die Leistung der Mannschaft gehört in diesen Tagen gar nicht genug gewürdigt. Wie selbstbewusst die Spieler von Jürgen Klopp das Hinspiel gegen die Topstars aus Madrid bestritten haben, war erstaunlich und beeindruckend. Dass die Borussen, sofern sie ihre Leistung voll abrufen, zurzeit jede europäische Mannschaft schlagen können, erfüllt einen mit Freude. Hoffen wir, dass der Traum vom europäischen Finale morgen nicht zu einem Trauma wird – mit einer Leistung wie im Hinspiel ist dem BVB das Endspiel in London eigentlich nicht mehr zu nehmen. Die Sensation ist zum Greifen nah.

Fabian Vidacek (www.gibmich-diekirsche.com), 29. April 2013