Dortmund. Im Bundesliga-Duell gegen Borussia Mönchengladbach fehlen dem BVB gleich beide gelernte Mittelstürmer. Doch das muss den BVB nicht schlechter machen - im Gegenteil. Die Dortmunder könnten mit einer falschen Neun auflaufen - wir erklären, was damit gemeint ist.

Vielleicht hatte Julian Schieber insgeheim von solch einer Situation geträumt: Er durfte – in Abwesenheit des gesperrten Robert Lewandowski – endlich einmal wieder in der Startaufstellung des BVB auflaufen, seine Mannschaft führte 2:0 gegen Eintracht Frankfurt und nach einer halben Stunde hallten die ersten „Schieber, Schieber“-Sprechchöre durch den Signal Iduna Park.

Nur galten die Rufe aber nicht dem 24-jährigen Stürmer im Dienste der Borussen, sondern Schiedsrichter Felix Brych. Der hatte Schieber gerade mit der zweiten Gelben Karte vom Platz gestellt und dem BVB damit – zumindest auf den ersten Blick – vor ein kniffliges Problem gestellt: Neben Lewandowski ist nun auch der zweite gelernte Mittelstürmer für die Partie gegen Borussia Mönchengladbach gesperrt.

Wirklich zerknirscht wirkten Schiebers Mitspieler deswegen aber nicht. „Langsam gehen uns die Stürmer aus“, sagte zwar Ilkay Gündogan. „Aber ich glaube, wir haben genügend Spieler, die vorne spielen können.“ Damit dürfte eher nicht Balint Bejner gemeint sein, der Mittelstürmer aus der zweiten Mannschaft, der gegen Eintracht Frankfurt auf der Bank saß. Zwar erwähnten sowohl Gündogan als auch Neven Subotic den „jungen Kerl von den Amateuren“ und auch Trainer Klopp nannte „einen ungarischen Stürmer bei den Amateuren“ – doch bei der Qualität des übrigen Personals scheint eine andere Variante wahrscheinlicher: die falsche Neun.

Dilemma für die Innenverteidiger

Die falsche Neun ist eine taktische Variante, bei der ein Spieler zwar nominell als Mittelstürmer aufgeboten wird, sich aber immer wieder tief ins Mittelfeld fallen lässt. Damit entsteht im Mittelfeld eine zusätzliche Anspielstation und damit Überzahl der angreifenden Mannschaft. Diese kann sich – technisch starke Offensivspieler vorausgesetzt – so leichter in Richtung Tor kombinieren.

Das Dilemma mit der falschen Neun: Folgt der Innenverteidiger (schwarz) dem Stürmer ins Mittelfeld, entsteht in seinem Rücken eine große Lücke.
Das Dilemma mit der falschen Neun: Folgt der Innenverteidiger (schwarz) dem Stürmer ins Mittelfeld, entsteht in seinem Rücken eine große Lücke.

Die gegnerische Abwehrreihe wird durch die falsche Neun vor ein grundsätzliches Dilemma gestellt: Soll ein Innenverteidiger dem gegnerischen Stürmer ins Mittelfeld folgen oder nicht? Tun er dies nicht, lässt er die Überzahl im Mittelfeld zu. Folgt ein Innenverteidiger dem Angreifer dagegen tief ins Mittelfeld, wird in der Abwehrreihe eine Lücke gerissen, die zu groß ist, als dass sie ein Innenverteidiger alleine stopfen könnte und die nachrückenden Außen- oder Mittelfeldspielern Räume eröffnet, in die sie hineinstoßen können.

Die falsche Neun ist schwierig zu verteidigen

Die wohl bekannteste falsche Neun unserer Zeit gibt Lionel Messi beim FC Barcelona, der sich immer wieder weit zurückfallen lässt und dann entweder selbst mit Schwung auf die Abwehr zukommt und so schwer zu verteidigen ist, oder Räume öffnet für die extrem offensiven Außenspieler. Aber auch die spanische Nationalmannschaft zeigt mit Cesc Fabregas als verkapptem Mittelstürmer immer wieder, wie schwierig dieses System zu verteidigen ist.

Was ist die "Taktiktafel"?

Hinterlaufende Außenverteidiger, abkippende Sechser, falsche Neuner, flache Vier und Doppelsechs - die Sprache des Fußballs ist nicht nur für Laien oft schwer verständlich. Mit der "Taktiktafel" wollen wir Abhilfe schaffen: In loser Folge erklären wir Aspekte des modernen Fußballs. Was unterscheidet ein 4-3-3 von einem 4-2-3-1, was treibt ein falscher Neuner und warum kippen abkippende Sechser nicht um - die Antworten auf diese und viele andere Fragen liefert die Taktiktafel. Wenn Sie Fragen oder Themenanregungen haben, schreiben Sie uns unter sport@derwesten.de.

Beim BVB kommen grundsätzlich zwei Spieler für diese Rolle in Frage: Marco Reus oder Mario Götze. Beide sind schnell, wendig und ballsicher genug, um einerseits lange Bälle hinter die Abwehr zu erlaufen und andererseits am Kurzpasspiel im Mittelfeld teilzuhaben - oder einfach mal in hohem Tempo auf die Abwehr zuzudribbeln und den Abschluss zu suchen. Gegen Frankfurt übernahm meist Mario Götze die Rolle des vordersten Spielers und bekam von Sportdirektor Michael Zorc ein überragendes Spiel attestiert. Zwischenzeitlich übernahm aber auch Reus und Götze wich auf die Flügel aus - dieses variable Wechselspiel macht ein solches System noch schwieriger zu verteidigen.

Löw dürfte genau hinschauen

Trainer Jürgen Klopp hatte schon für die Startaufstellung mit diesem System geliebäugelt, sich dann aber dagegen entschieden - schließlich wäre es für den jungen Julian Schieber ein verheerendes Signal gewesen, auch bei einem Lewandowski-Ausfall nicht zum Zug zu kommen. Gegen Gladbach ist ein solches Wechselspiel jetzt aber von Beginn an zu erwarten. Für Lewandowski könnte dann entweder Kevin Großkreutz in die Mannschaft rücken und die linke Seite übernehmen oder Ilkay Gündogan würde vom defensiven ins offensive Mittelfeld vorrücken und entweder Nuri Sahin oder Sebastian Kehl den freien Platz dahinter einnehmen.

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Einer dürfte besonders gespannt auf das Spiel schauen: Bundestrainer Joachim Löw. Der träumt für die Nationalmannschaft schon länger von einem System mit falscher Neun. Nun bekommt er die beiden besten Kandidaten dafür unter Wettkampfbedingungen vorgeführt.