Dortmund. Vor dem Gipfeltreffen mit Bayer Leverkusen haben wir uns mit Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke getroffen. Im Interview spricht Watzke über Werte, Gewalt - und die Rolle von Rückkehrer Nuri Sahin.

Freitag, kurz vor Mittag, und erst am Sonntag steht für Borussia Dortmund das Bundesligagipfeltreffen bei Bayer Leverkusen an (17.30 Uhr, live in unserem Ticker). Dritter gegen Zweiter. Eine Partie mit großer Bedeutung. Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer des BVB, spricht darüber – und über die schlechte Seite des Fußballs. Aufgeräumt, nachdenklich. Auch, weil zum Auftakt der Bundesligarückrunde Leverkusen die schlimmen Bilder geliefert hatte. Feuer im Frankfurter Block.

Herr Watzke, handelt es sich beim Gipfeltreffen um ein Drei-Punkte- oder ein Sechs-Punkte-Spiel?

Hans-Joachim Watzke: Ein Drei-Punkte-Spiel natürlich. Weil, egal, wie es ausgeht, der Kampf um den zweiten Platz nicht entschieden sein wird. Grundsätzlich ist die Situation für beide Klubs etwas entspannt, weil der dritte Platz auch für die Qualifikation zur Champions League reicht. Aber daran lasse ich keinen Zweifel: Wir wollen am Ende der Saison der Vizemeister sein.

Die Partie ist trotz der Entspanntheit natürlich noch stärker mit Bedeutung aufgepumpt als sonstige Spiele. Lassen Sie uns über gute Seiten, schlechte Seiten des Fußballs reden. Was ist schön daran, dass der Fußball eine so große Bedeutung für so viele Menschen hat?

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Watzke: Der Fußball ist ein sinnstiftendes Element in unserer Gesellschaft. Parteien verlieren seit Jahren Mitglieder, Gewerkschaften, Kirchen, alle Institutionen. Aber die Menschen brauchen etwas, über das jeder reden kann, der Vorstandsvorsitzende eines DAX-Konzerns wie der Mann an der Drehbank. Deshalb hat die Bundesliga diesen hohen gesellschaftlichen Wert.

In den letzten Monaten schien es allerdings so, als würde der Fußball vor allem Probleme bereiten. Pyros in Leverkusen, das Spiel musste unterbrochen werden...

Watzke: Bei allem Willen, verantwortungsbewusst mit gebotener Härte gegen gefährliche Auswüchse vorzugehen: Wenn Medien Ereignissen wie diesen nicht einen solchen Resonanzboden geben würden, dann würden die, die auf der Tribüne das Feuer veranstaltet haben, sich auch nicht dermaßen anstrengen.

„Dieses Dschungelcamp widert mich an“

Nach den Ereignissen ist breit diskutiert worden, dass solche Spiele auch ganz abgebrochen werden, dass die Bestrafungen Geisterspiele sein könnten. Halten Sie das für den richtigen Weg?

Watzke: Natürlich sind viele populistische Aussagen rübergekommen, auch aus der Politik und von der Polizei. Wenn man aber verhindern will, dass Leute Pyrotechnik ins Stadion bringen, muss man die Kontrollen verschärfen. Und dann wird sofort gerufen: Hier werden Freiheitsrechte beschnitten! Also, alle wissen, was sie wollen, aber der Weg dorthin soll sanft sein. Das wird so nicht funktionieren. Wichtig ist weiterhin: Prävention, Dialog.

Sie haben einmal gesagt: „Fußball ist ein Spiegelbild der Gesellschaft“. Müsste die Gesellschaft dem Spiegelbild mehr beistehen?

Watzke: Es gibt in der Gesellschaft viele Tendenzen, die mich unglaublich nerven. Dieses „Dschungelcamp“ widert mich zum Beispiel an. Doch wenn Millionen Menschen das toll finden, dann maße ich mir nicht an, zu sagen: Das soll man nicht schauen. Klar ist für mich aber: Die Gesellschaft verroht insgesamt. Und wenn ein Fan einem anderen Fan die Faust ins Gesicht schlägt und trotzdem am nächsten Morgen frei herumläuft, dann ist das dem Gerechtigkeitsempfinden der Menschen abträglich. Doch ich habe mir abgewöhnt, zu denken, dann ich an allem etwas ändern könnte. Im Fußball muss man mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen leben. Ab und zu mache ich einen Vorschlag. Zum Beispiel: Schnellrichter in die Stadien. Das würde unfassbar helfen, wenn man einen Gewalttäter sofort einsperren würde. Er müsste sich ja erklären, wenn er nicht zur Arbeit erscheint…

BVB-Chef Watzke erklärt das Maßnahmenpaket gegen Rechts 

Das Problempaket im Fußball ist groß. Kurz vor Weihnachten hat der BVB eine fünfseitige Erklärung zum Vorgehen gegen rechtsextreme Tendenzen veröffentlicht...

Watzke: Das eine oder andere Medium hat reißerisch immer wieder betont, es sei ganz schrecklich, es gebe Leute mit rechtsextremem Hintergrund auf den BVB-Tribünen. Was aber leider Gottes nur logisch ist. 1,9 Prozent NPD-Wähler hat Dortmund, und wenn der Fußball ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, dann sind unter 80645 Zuschauern statistisch 1532 NPD-Wähler. Dann aber kann ich mich doch als Medium nicht entrüsten, sondern dann muss man damit rechnen. Wir haben klar gesagt: Wir wollen nur Leute bei uns haben, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Und wer das nicht tut und das mit Worten und Taten im Stadion ausdrückt, den schmeißen wir raus! Unser Maßnahmenpaket gegen rechtsextreme Tendenzen ist groß.

Auf die gute Seite. Feiert denn Heimkehrer Nuri Sahin in Leverkusen sein Startelfdebüt?

Watzke: Das weiß doch nur der Trainer. Nuri wird aber natürlich seine Einsätze erhalten, jetzt kommen ja viele englische Wochen. Trotzdem müssen alle Spieler in unserem Kader lernen, dass mit dem gewachsenen Erfolg die persönlichen Härtefälle zunehmen. Das ist so, wenn man in der absoluten Spitze mitspielt.

Ist durch den Erfolg der Borussia das Moderieren der Charaktere mittlerweile die Hauptaufgabe von Trainer Jürgen Klopp?

Watzke: Die Hauptaufgabe ist immer, die Mannschaft ordentlich zu strukturieren. Aber darüber hinaus geht es stark in diesen Bereich. Und da wird Jürgen Klopp von Michael Zorc (BVB-Sportdirektor) und von mir sehr unterstützt. Das ist die große Stärke des BVB: dass wir drei mit einer Stimme sprechen. Wenn jetzt, in so einer Phase, ein Spieler einen Haarriss finden würde, dann würde daraus innerhalb kürzester Zeit eine Gletscherspalte.

Sie gelten ja als der Pessimist im Trio mit der einen Stimme: Wie hoch genau verliert der BVB denn in Leverkusen?

Watzke: Wir haben doch jetzt erst Freitag, deshalb bin ich noch sehr optimistisch.