Dortmund. Borussia Dortmund ist Tabellenführer der Bundesliga. Wir haben mit Kapitän Sebastian Kehl über das Dortmunder Projekt 2016, den Hertha-Fall Michael Skibbe, die Medienmacht und den FC Bayern München gesprochen. “Ich glaube, dass wir uns nicht auf Augenhöhe mit Bayern München sehen können“, sagt Kehl.
Dass der Himmel grau wie Asphalt über dem Trainingszentrum von Borussia Dortmund hängt, kann die Stimmung des BVB-Kapitäns nicht trüben. Anfang der Woche ist er 32 Jahre alt geworden, aber nach zahlreichen Verletzungen, die ihn immer wieder gebremst haben, spielt er eine beeindruckende Saison. Am Samstag gastiert er mit dem Tabellenführer bei Berlins Hertha (15.30 Uhr, live im DerWesten-Ticker), dem Keller- und Chaoskind. Vorher hat Sebastian Kehl nicht nur Fragen beantwortet, sondern auch gestellt. Wie geraten Vereine unter Druck? Welche Rollen spielen Medien dabei?
Herr Kehl, Ihr Klub erweckt den Eindruck, intensiv an einem Projekt 2016 zu arbeiten. Geschäftsführer Watzke, Trainer Klopp, Sportdirektor Zorc haben ihre Verträge bis 2016 verlängert. Mit Spielern wie Kagawa oder Lewandowski soll verlängert werden…
Sebastian Kehl: Ich glaube schon, dass man das, was sich im Moment bei Borussia Dortmund entwickelt, als ein Projekt bezeichnen kann. Und wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg. Wir haben zwischenzeitlich Erfolge eingefahren – aber ich glaube, dass das Projekt noch nicht zu Ende gebracht ist.
Können Sie die Inhalte des Projektes darstellen? Unterhalb der höchsten Wir-wollen-Titel gewinnen-Ebene?
Kehl: Eine neue Philosophie wurde erarbeitet und konsequent umgesetzt. Auf junge, wahnsinnig talentierte Spieler zu setzen. Das ist der Hauptbestandteil. Die fortlaufende Entwicklung des Vereins, mit dem neuen Trainingszentrum zum Beispiel, ist ein weiterer Teil. Und eine Überschrift des Projektes könnte auch lauten: Beständigkeit. Zum Beispiel dadurch, dass die Verträge des Geschäftsführers, Sportdirektors, Trainers und von etlichen Spielern langfristig verlängert wurden oder noch werden.
Sie sind der Kapitän der Mannschaft. Kommen junge Spieler zu Ihnen und fragen: Sebastian, was soll ich tun?
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Kehl: Dass man als älterer Spieler natürlich auch mal zur Seite steht, ist klar. Aber in dieser Rolle sehe ich mich nicht nur als Kapitän, sondern auch einfach als Spieler, der schon ein bisschen was erlebt habt. Auf der anderen Seite sind unsere Jungs schon sehr weit und präsentieren sich nicht nur auf dem Platz so erwachsen, dass ich mir kaum Sorgen mache.
Sie sind aber nicht der einzige Berater. Es gibt die Spielerberater, und die haben ein Interesse daran, dass ihr Schützling den Klub wechselt, Projekt hin oder her.
Kehl: Man darf nicht alle Berater über einen Kamm scheren, das wäre falsch. Ich kenne etliche, die ihre Aufgabe sehr, sehr professionell, seriös und akribisch angehen. Und bei diesen Leuten geht es nicht vornehmlich darum, den Spieler so schnell wie möglich weiter zu transferieren und an irgendeiner Ablöse oder an irgendeinem neuen Vertrag zu verdienen. Am Ende sollte ohnehin der Spieler entscheiden, und der muss sich an zwei Fragen orientieren: Was ist für meine Entwicklung das Beste? Wo fühle ich mich gut aufgehoben? Ich glaube, wir hier bei Borussia Dortmund haben im Moment optimale Voraussetzungen zu bieten.
So denkt Sebastian Kehl über Michael Skibbe und den FC Bayern München
Sie sind im zehnten Jahr beim BVB. Auf Ihrer Internetseite kann man lesen: Ich gehöre hierher. Wie ist der Stand der Dinge bei Ihren Vertragsverhandlungen?
Kehl: Wir sind in sehr guten Gesprächen und haben uns sehr angenähert. Zu verkünden ist noch nichts, aber ich glaube schon, dass wir zueinander finden werden. Und was dieses Thema „Ich gehöre hierher“ angeht: Ich meine, ich habe jetzt hier zehn tolle Jahre verbracht. Ich bin aktuell der dienstälteste Bundesligaspieler eines Klubs. Mir macht es wahnsinnig viel Spaß, hier zu spielen und mit meiner Familie zu leben. Ich kann mir vorstellen, auch über die Zeit als Spieler hinaus hier zu bleiben.
Sie wollen Dortmund zu Ihrem Projekt machen…
Kehl: Das passt sehr gut, ja.
So ein Projekt mit einer Philosophie als Basis, mit personeller Kontinuität und so weiter funktioniert aber selten. Die Hertha hat Trainer Michael Skibbe nach nur etwas mehr als 50 Tagen Amtszeit entlassen…
Kehl: Zuallererst kann ich das, was in Berlin passiert ist, aus der Ferne schlecht einschätzen. Ich kenne die Hintergründe nicht. Aber letztendlich stellt sich immer die eine Frage: Warum gerät ein Verein innerhalb von kürzester Zeit so stark unter Druck, dass er glaubt, einen Trainer wieder wechseln zu müssen?
Ist das eine Frage an mich? Gut, Antwort: Der Verein setzt sich selbst unter Druck.
Kehl: Natürlich, der Druck, erfolgreich sein müssen, und das so schnell wie möglich, ist immens. Und die Hertha hat sich natürlich mehr erhofft, als fünf Niederlagen in fünf Ligaspielen. Aber kann ein Projekt denn dann schon gescheitert sein, nach dieser Zeit?
Wieder eine Frage an mich?
Kehl: Ich stelle die Frage einfach mal in den Raum. Michael Skibbe, den ich persönlich kenne, den ich menschlich sehr schätze: Hat dieser Trainer überhaupt die Chance erhalten, etwas zu schaffen? Er war doch medial schon nach zwei, drei Spielen so stark in der Kritik, dass es nur noch darum ging: Wann fliegt er wieder? Das Geschäft ist teilweise schon brutal und unheimlich schnelllebig.
Tja, wie sehen Sie die Rolle des Sportjournalismus’ in diesem Zusammenhang?
Kehl: Diese Frage hatte ich Ihnen gestellt. Etwas indirekt. Ich glaube, dass wirklich jeder einmal über seine Rolle und die Auswirkungen der Rolle nachdenken sollte. Die schnelle Entlassung von Michael Skibbe hat diverse Ursachen, sie war aber nicht die erste in dieser Art, und sie wird nicht die letzte sein.
Weil wir bei der Rolle des Sportjournalismus’ sind: Zum Abschluss noch eine ganz ausgefuchste Frage…
Kehl: Okay. Jetzt kommt’s.
Sieht sich Borussia Dortmund vor dem FC Bayern München?
Kehl: Ja. Wenn ich heute auf die Tabelle schaue, dann ja. Und ich hoffe, dass es nach dem Wochenende auch so sein wird. Tabellarisch. Was die Gesamtkonstruktion der beiden Vereine angeht, würde ich das aber absolut verneinen. Ich glaube, dass wir uns nicht auf Augenhöhe mit Bayern München sehen können. Wir sind mit unserer Entwicklung sehr, sehr zufrieden. Doch das, was Bayern München über die Jahre hinweg geleistet hat, sowohl wirtschaftlich wie auch sportlich, ist einfach unantastbar.
Aber das ist das Projekt?
Kehl: Ein Teil des Projektes ist es sicher, ein Stück weit näher an die Bayern heranzukommen.