Dortmund. . In der Bundesliga-Spitzengruppe haben alle Punkte liegen lassen, außer der Borussia. Die wird jetzt in einer Art und Weise umschrieben, wie man es sich in Dortmund noch vor zwei Jahren nur schwer hätte vorstellen können. „Im Stile einer Spitzenmannschaft“ habe man Nürnberg bezwungen.
Es hat schon ärgerlichere Fußball-Wochenenden gegeben für Schwarz und Gelb. Die Bayern haben es gemacht, wie so häufig in dieser und der vorherigen Saison: Sie lassen im Vorfeld eines Spiels Sprüche ab und verstolpern dann auf dem Rasen die Punkte. Mohamed Zidan hat zwar Dortmund unter der Woche den Rücken gekehrt, sein letztes Tor für den BVB aber trotzdem erst am vergangenen Samstag geschossen. Und zwar in einer Mehrzweckhalle in einem Gelsenkirchener Vorort im Trikot von Mainz 05. Weil zur gleichen Zeit ein designierter Dortmunder, Gladbachs Marco Reus nämlich, weniger Treffsicherheit an den Tag legte als der Ägypter, mussten nicht nur der FCB und der S04 eine Punkteteilung hinnehmen, sondern auch Verfolger VfL.
Und was geschah in Nürnberg? Sagen wir mal so: Die meisten Fußballfans kennen das. In Deutschland eigentlich alle, außer den Bayern-Fans. Man hat ein Spiel gegen einen vermeintlich übermächtigen Gegner vor der Brust und rechnet schon vorher mit einer Niederlage. Man hofft aber, dass sich das eigene Team „gut verkauft“. Und wenn es das dann tut, man aber trotzdem mit seiner vorherigen Prognose Recht behält, dann ist der Katzenjammer groß.
Immer die selben Gespräche
„Ich hab ja damit gerechnet, dass die uns schlagen, aber SO muss ich mich trotzdem ärgern“, „Mit der Pleite war zu rechnen, aber nach diesem Spielverlauf ist es ärgerlich“ - so oder so ähnlich haben sich auch schon in Dortmund Kneipengespräche nach Niederlagen angehört. Zum Beispiel, wenn die Bayern kamen, keineswegs die bessere Leistung ablieferten, aber trotzdem gewannen.
Nach Borussias Sieg beim FCN dürften genau diese Gespräche vor vielen Theken im Frankenland Hochkonjunktur gehabt haben. Denn der „Glubb“ hatte in der ersten halben Stunde das Geschehen auf dem Platz an sich gerissen, hätte mit einem oder mehreren Toren in Führung gehen können.
Erst als Borussia richtig reagierte, sich auf das Spiel einstellte und es somit auch bis zum Abpfiff kontrollierte, schloss sich für Nürnberg dieses Zeitfenster, in dem man den Favoriten hätte in Bedrängnis bringen können. Am Ende hieß es, wie so oft aus Nürnberger Sicht - 0:2 gegen Dortmund. Und die Tore fielen obligatorisch zu den „psychologisch richtigen“ Zeitpunkten.
Floskeln und kein Ende
Und immer wenn Favoriten am Ende zwar auf dem Papier souverän, eigentlich aber auch mit einer guten Portion Glück, Spiele für sich entscheiden, raschelt der Blätterwald die gleichen Fußball-Floskeln hervor: „Gegen so einen Gegner wird jeder Fehler bestraft“, „Das ist halt die individuelle Klasse“, „Die machen eben zum richtigen Zeitpunkt die Tore“, „Die sind cleverer“ oder „Die brauchen nicht so viele Chancen“.
„Im Stile einer Spitzenmannschaft“ habe Borussia das Spiel für sich entschieden. Ein „Arbeitssieg“ sei es gewesen. Und die wichtigste Floskel fehlt noch in dieser Auflistung - Ohne Rücksicht auf Verluste treibe ich jetzt die dicke, pickelige Phrasensau im Schweinsgalopp um die Reinoldikirche: „Wenn man solche Spiele gewinnt...“
Zumindest mir geht es so, dass ich mich nicht daran gewöhnen kann, dass die Borussia im Moment die gleichen Plattitüden provoziert wie sonst nur der Branchenprimus. Aber es ist ein weiterer Beweis: Der BVB ist tatsächlich eine Spitzenmannschaft.
Augenmaß bewahren
Im Umfeld Ruhe und Augenmaß zu bewahren, wird nun immer wichtiger. Und zwar auch dann, wenn es der Mannschaft nicht gelingt, die Sterne vom Himmel zu spielen. Wenn es im heimischen Stadion oder in der klaren Favoritenrolle mal nicht läuft bei Schwarzgelb.
In dieser Situation ist der Reviernachbar am Samstag mit gellenden Pfiffen bedacht worden. Besser fährt man sicherlich damit, seine Mannschaft grade in solchen Momenten zu unterstützen und sich dann auch mal über einen erkämpften Punkt oder einen sogenannten „Arbeitssieg“ zu freuen. Und das tun wir in Dortmund auch.
06.02.2012, Rutger Koch, Gib mich DIE KIRSCHE