Hamburg. Der FC Bayern München ist nur noch Verfolger des neuen Tabellenführers Borussia Dortmund. Das 1:1 am Samstag beim Hamburger SV zeigt: Das taktische Konzept sitzt noch nicht richtig. Die Bayern-Stars stehen sich im Weg.

Es hat bestimmt nicht an der Kälte gelegen, dass Uli Hoeneß den Mund zu einem Strich formte, als seien die Lippen auf immer und ewig zusammengefroren. Und während der Präsident des FC Bayern beim Abgang aus dem in eine bizarre Winterlandschaft verwandelten Hamburger Volkspark sich in eisiges Schweigen hüllte, hatte ein anderer den mühevoll aufgetauten Rollrasen mit den bloßen Händen malträtiert: Thomas Müller zog direkt mit Schlusspfiff nach dem 1:1 beim Hamburger SV die Handschuhe aus und trommelte auf den Untergrund ein. Zwei Gesten aus dem diesjährigen Bundesliga-Winterbetrieb mit ein und derselben Botschaft: bajuwarischem Frust.

Nach dem Münchner Selbstverständnis ist ein Remis beim einstigen Rivalen längst zu wenig. „Die Ansprüche sind bei uns etwas extremer, wir waren mit der Absicht gekommen, zu gewinnen“, klärte Jupp Heynckes auf. Der Bayern-Trainer kann die Tabelle lesen: „Dass unser direkter Konkurrent sehr erfolgreich ist, haben wir registriert.“

Bayern-Sportdirektor Nerlinger analysiert in drohendem Tonfall

Sportdirektor Christian Nerlinger hat deshalb in drohendem Tonfall analysiert: „Wir sind mit drei Punkten Vorsprung in die Rückrunde gestartet, jetzt liegen wir zwei zurück: Das sagt alles.“

Zu den tabellarischen Fakten gesellen sich ja sorgenvolle Trends. Exakt vor 13 Tagen hatte der neue Spitzenreiter Borussia Dortmund an selber Stelle mit frappierender Dominanz 5:1 gewonnen. „Wenn der HSV damals diese Leistung gebracht hätte, dann wäre das Ergebnis anders ausgefallen“, tischte Heynckes nun eine gewagte These auf. Denn: Sein Ensemble scheint derzeit weder zu jenem Pressing in der Defensive noch zu jenem Kombinationswirbel in der Offensive fähig, das Dortmund auszeichnet.

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So sucht der Branchenführer noch nach seiner Balance und hat neben einem fehlenden Rechtsverteidiger von Format ursächlich mit einem Luxusproblem ganz vorne zu tun: Sind Arjen Robben, Franck Ribéry, Mario Gomez und Thomas Müller fit (was in der erfolgreichen Hinrunde fast nie der Fall war), kann der Trainer eigentlich auf keinen aus dem Quartett verzichten, ohne die Reputation eines Stars zu beschädigen und ein Medienecho auszulösen, das nicht zum Wohle des Vereins wäre. Einerseits.

Andererseits passt die nunmehr erkorene taktische Zwangsjacke nicht wirklich: Die Qualitäten des Weltklasse-Rechtsaußen Müller bleiben als Spielmacher weitgehend verborgen – die des dafür zurückbeorderten Toni Kroos auch. Heynckes kennt diese Debatte; an der Säbener Straße ist sie schon oft vertieft worden. Auf Nachfrage reagierte der 66-Jährige eher ausweichend. „Toni ist ein Spieler, der im vorderen Mittelfeld den maßgeblichen Pass spielen kann – aber er kann es auch aus hinterer Position.“

Olic kommt für Kroos - und trifft

In Hamburg hat er den 22-Jährigen ausgewechselt. Der dafür aufs Feld beorderte Ex-Hamburger Ivica Olic hat immerhin das 1:1 erzielt (71.) und das durch den feinen Direktschuss von Jacopo Sala entstandene Führungstor (23.) egalisiert. Einig sind sich Münchens Protagonisten, dass es bei aller Spieldominanz in Strafraumnähe nicht mehr stimmt. „Wir kreieren nicht die hundertprozentigen Chancen“, erläutert Kroos, „wir spielen zu viel Klein-Klein vor dem Tor“, ergänzt Müller, der fürs neue Jahr eine grundsätzliche Klage führt: „Man weiß gar nicht, wo man steht.“ Was wiederum mit nicht abgestimmten Laufwegen und fehlenden Automatismen zu tun haben könnte. So sehr die individuelle Stärke von Ribéry und Robben helfen kann, so sehr gefährden diese Flügelflitzer die kollektive Statik, wenn sie nicht bis zur Grundlinie vordringen.

Sollten sich die Hamburger Eindrücke verfestigen, muss über die Beschneidung der individuellen Freiheiten der beiden nachgedacht werden. Einer der Superstars hat das mit einem Kratzer an der Stirn schon getan. „Die letzte Aktion, der letzte Pass vor dem Tor, das hat nicht gut geklappt. Am Ende fehlte die Schärfe, es fehlte ein Tick, die letzten Prozente – nur dann schießt du ein Tor“, räumte Robben ein.