Dortmund. .
Fußball-Fans sollen einer anerkannten Studie nach ja eh schon ziemlich gefährlich leben. Aber jetzt mal ehrlich: Ein wenig Herzrasen vor dem Derby oder arterielle Hypertonie nach einem Treffer in der Nachspielzeit lasse ich ja noch mit mir machen, aber langsam geht mein Lieblingssport mir nicht nur ins Blut, sondern auch noch in den Kopf.
„Erinnerungstäuschungen“ nennen Psychologen die Art überraschender Gefühle, die einen glauben lassen, eine neue Situation schon einmal erlebt zu haben. Déjà-Vu sagt der Franzose dazu, Vizemeisterschaft nennt es der Schalker. In Dortmund, so weit habe ich bisher immer geglaubt, war man von solch wiederkehrenden Negativ-Erlebnissen in der jüngsten Geschichte zum Glück befreit. Man lernte aus Fehlern und Missgeschicken – glaubte ich zumindest. Wäre da nicht dieser DFB-Pokal, der auch im Rechtsstaat der Bundesrepublik scheinbar seine ganz eigenen Gesetze für sich beansprucht.
Erst im vergangenen Jahr scheiterte der BVB im Achtelfinale des Vereinspokals am Drittligisten aus Osnabrück, zwölf Monate später stellten die Kickers Offenbach dem Tabellen-Zweiten aus Dortmund das berühmt-berüchtigte Bein, das auch einige Stunden nach diesem denkwürdigen „Elfmeter-Debakel“ eher einer fiesen Blutgrätsche gleicht. Erinnerungstäuschung? Oder wartet inzwischen wirklich jeder ambitionierte Drittligist nur noch auf das Freilos, das da Borussia Dortmund heißt?
Besorgniserregend war am Mittwoch nicht nur die „Schwäche vom Punkt“, sondern mehr die fast deckungsgleiche Spielanalyse des gestrigen Pokalspiels mit der aus Osnabrück vor einem Jahr. „Geduldiger Spielaufbau, ohne Aktionismus. Aber in der Spitze fehlten den Borusen jeglicher Esprit und jegliche Durchschlagskraft.“ Osnabrück, 2009. Punkt. Aus. Danke. Alles schon einmal erlebt. Es klingt seltsam, aber tief in meinen täglichen Gedanken an Borussia hatte ich damit schon gerechnet. Nicht der Erinnerungstäuschung wegen, nein viel mehr einem lethargischen Gefühl, dass dem Hurra-Fußball der ersten Wochen nun der knochenharte Alltag folgt.
Vielleicht hatte es sich angedeutet: Die Spiele in den zwei Wochen seit der Länderspielpause – der knappe Sieg über Köln und die zwei Unentschieden gegen Paris St. Germain und der TSG Hoffenheim – waren zwar ergebnisorientiert zufriedenstellend, wirkten von der Spielweiser urplötzlich aber gar nicht mehr so frisch und unbekümmert wie noch im Spätsommer. Damals, als legendäre Derbysiege und Auftaktsiege im Europapokal einen glauben ließen, der Mittelpunkt der Fußball-Welt hätte zwischen Florianturm und Hohensyburg eine neue Heimat gefunden – jenen Ort, den wir Westfalenstadion zu nennen pflegen.
Mit der Fußball-Romantik ist es zumindest seit dem erneuten Pokal-Aus wieder kurzfristig vorbei. Der BVB scheint langsam sowohl personell als auch spielerisch „gewisse Grenzen“ erreicht zu haben. Auch wenn ein Jürgen Klopp es niemals zugeben würde, aber die Dreifachbelastung der letzten Wochen hat beim noch jungen BVB-Team so seine Spuren hinterlassen. Fast störrisch versucht das Team, dem Gegner sein Spiel aufzuzwingen. Die durchwachsene Ausbeute der vergangenen sieben Tage zeigt jedoch, dass der Weg mit dem Kopf durch die Wand nicht immer der Beste zu sein scheint. Vielleicht klingt es hart, vielleicht nicht fair, aber es ist ehrlich.
Die Niederlage von Offenbach war vermeidbar, sie war unnötig und überflüssig, und doch bietet sie eine Chance. Als unsere Mannschaft im Oktober 2009 in Osnabrück mit 2:3 baden ging, folgten in den darauf folgenden Wochen sensationelle neun Spiele (!) ohne Niederlage – sieben Siege, zwei Unentschieden. Die Mannschaft hatte gelernt, dass man den Ball nicht immer ins Tor tragen muss und jeder Gegner so seine ganz eigene Art und Weise hat. Die einen mauerten, die anderen spielten frisch und frech nach vorne, am Ende hieß der Sieger trotzdem immer Borussia. Wie gern hätt’ ich ein Déjà-Vu. Auf geht’s Jungs!
(28.10.10 – Christoff Strukamp – die-kirsche.com)