Dortmund. Angreifer Niclas Füllkrug erlebte spät den Durchbruch. Dass er nun den Henkelpott holen kann, ist aus vielerlei Gründen erstaunlich.

Niclas Füllkrug ist eine Erscheinung. 1 Meter und 89 Zentimeter misst Borussia Dortmunds langer Stürmer. Sein Trikot spannt an Schultern und Rücken. Das Gewichtestemmen erfüllt ganz offensichtlich seinen Zweck. Schießt Füllkrug ein Tor, spannt er den Bizeps an und zeigt mit der anderen Hand stolz auf seine Muckis. Auf dem Rasen schleudert er seinen Körper in Zweikämpfe, schirmt Bälle gegen die ebenso kräftigen Innenverteidiger der Gegner ab.

Das ist Niclas Füllkrug, der robuste Profi.

Und dann gibt es noch Niclas Fülkrug, den Fußballer mit dem weichen Kern, der zwar schon 31 Jahre alt ist, sich aber immer noch wie ein kleines Kind freuen kann.

BVB: Niclas Füllkrug erfüllt sich seinen Kindheitstraum

Vor etwa neun Monaten wechselte Füllkrug als Bundesliga-Torschützenkönig von Werder Bremen zum BVB. Er sprach in dieser Zeit überdurchschnittlich viel mit den Medien. Er kritisierte, er lobte – und man sah ihm immer wieder ein schwärmerisches Grinsen und funkelnde Augen an. Dann ging es meist um die Champions League, diesen besonderes Wettbewerb mit den Sternen und der Hymne, die einem ganzen Stadion Gänsehaut bescheren kann. 30 Jahre musste Füllkrug werden, um einmal um diesen Pokal spielen zu dürfen.

Großer Jubel bei den Dortmundern in Paris: (von links) Marcel Sabitzer, Youssoufa Moukoko, Nico Schlotterbeck und Niclas Füllkrug.
Großer Jubel bei den Dortmundern in Paris: (von links) Marcel Sabitzer, Youssoufa Moukoko, Nico Schlotterbeck und Niclas Füllkrug. © DPA Images | Robert Michael

An diesem Samstagabend (21 Uhr/ZDF und DAZN) kann er den Henkelpott sogar gewinnen. Der Gegner heißt Real Madrid, der Klub, der wie kein Zweiter für die Champions League steht. Und dann auch im Wembley-Stadion, einem der legendärsten Arenen der Welt.

Niclas Füllkrug ist der unwahrscheinlichste Teilnehmer dieses Endspiels. Und das hat mehrere Gründe.

Weitere Infos zum BVB und dem Champions-League-Finale

Im Übergangsbereich von der Jugend zu den Erwachsenen galt Füllkrug als Talent. Doch die große Karriere blieb zunächst aus, weil seine Knie immer wieder Probleme bereiteten. Viele Jahren spielte Füllkrug, ausgebildet bei Werder Bremen, in der Zweiten Liga: bei Hannover 96, beim 1. FC Nürnberg und bei Greuther Fürth. Champions League? Nationalmannschaft? Das schien so weit weg.

BVB: Niclas Füllkrug wechselte erst spät nach Dortmund

Und kam dann plötzlich nahe. Den Durchbruch erlebte Füllkrug erst nach seiner Rückkehr nach Bremen, nach einem überstandenen Kreuzbandriss. Er schoss Werder zurück in die Bundesliga, wurde dann Torschützenkönig und war plötzlich sogar der unverhoffte Hoffnungsträger der DFB-Elf bei der Weltmeisterschaft in Katar. Im vergangenen Sommer erfolgte der Transfer nach Dortmund auf den letzten Drücker, kurz vor Ende der Transferfrist. Der BVB benötige einen Neuner, weil Sebastien Haller nicht in Form kam. Inzwischen ist Füllkrug aus der Startelf nicht mehr wegzudenken und ein Ankerpunkt im Dortmunder Spiel.

Lange in der Zweiten Liga unterwegs: BVB-Profi Niclas Füllkrug, hier 2018 im Trikot von Hannover 96.
Lange in der Zweiten Liga unterwegs: BVB-Profi Niclas Füllkrug, hier 2018 im Trikot von Hannover 96. © DPA Images | Swen Pförtner

Dabei war der gebürtige Hannoveraner zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Falsche Neuner sind wieder Echten gewichen. Kanten treiben im Strafraum ihr Unwesen, nicht mehr bloß die filigranen Techniker. Ausnahmen bestätigen die Regel. Zum Beispiel Final-Gegner Real, wo nach Karim Benzemas Abschied nun Spieler wie Vinicius Junior und Rodrygo wirbeln. Manchmal auch Joselu. Das ist ja auch so eine kuriose Geschichte: Füllkrug und den Spanier, 34, verbindet ein gemeinsamer Ex-Klub, Hannover 96. „Das zeigt: Wir haben auch mal gute Entscheidungen getroffen“, merkte Hannovers Geschäftsführer Martin Kind süffisant an.

BVB: Niclas Füllkrug mit zwei ganz wichtigen Toren

Niclas Füllkrug hat in allen zwölf Dortmunder Champions-League-Partien von der ersten Minute an auf dem Rasen gestanden. Drei Treffer erzielte er insgesamt, zwei in der K.o.-Runde. Sein Kopfball zum 3:2 im Viertelfinal-Rückspiel gegen Atlético Madrid brachte die grauen Betonstufen der Südtribüne ins Wackeln, der Jubel der 80.000 Fans pflanzte sich wie ein Tinnitus ins Ohr. Zwei Wochen später stieß er die Tür nach Wembley weit auf, als er gegen Paris Saint-Germain einen feinen Ball von Nico Schlotterbeck im höchsten Tempo verarbeitete und zum 1:0 im Halbfinal-Hinspiel einschob.

Ein Tor, das im Gedächtnis bleibt: Der Kopfball von BVB-Angreifer Niclas Füllkrug gegen Atlético Madrid.
Ein Tor, das im Gedächtnis bleibt: Der Kopfball von BVB-Angreifer Niclas Füllkrug gegen Atlético Madrid. © AFP | Ina Fassbender

Nicht alles lief glatt in dieser Saison, Füllkrug musste eine längere Flaute überstehen. Kritiker hinterfragten plötzlich, ob der Angreifer in einem Klub wie dem BVB nicht fehl am Platz sei. „Wenn du Stürmer von Borussia Dortmund bist und neun Spiele lang nicht getroffen hast, dann ist das natürlich ein Thema in der Öffentlichkeit“, sagte Edin Terzic. Der Trainer betonte, dass der Stürmer auch ohne eigenen Treffer wichtig für die Mannschaft sei, stellte allerdings klar: „Er weiß, dass wir auf seine Tore angewiesen sind.“

Der Knoten platzte, Füllkrugs Kindheitstraum spitzt sich nun zu: Am Samstag spielt er gegen die Königlichen aus Madrid. Im Wembley-Stadion von London. Viel zu verarbeiten für den Mann mit dem weichen Kern.