Dortmund. Der BVB greift am Samstag nach der Meisterschaft. Auch Vereinslegende Stéphane Chapuisat wird mit Dortmund fiebern. Das verrät er im Interview.

An diesem Samstag greift Borussia Dortmund nach dem Meistertitel. Ein Sieg gegen den FSV Mainz 05 und der BVB wäre zum neunten Mal Meister. Vor dem Showdown hat sich eine Vereinslegende im Interview mit CH Media zum großen Finale geäußert. Stéphane Chapuisat (53) stürmte zwischen 1991 und 1999 für den BVB, gewann zweimal den Meistertitel und einmal die Champions League. Im Interview sagt er nun, warum er an den Dortmunder Titel glaubt, was die Bayern falsch gemacht haben. Und er blickt zurück auf das legendäre Duell mit Oliver Kahn.

BVB-Legende verfolgt Saisonfinale vor dem TV

Stéphane Chapuisat, Sie sind eine Dortmund-Legende, haben als Spieler mit dem Verein zwei Meistertitel und die Champions League gewonnen. Wie sehr fiebern Sie in diesen Tagen mit dem BVB mit?

Stéphane Chapuisat: Ich fiebere mit! Aus der Ferne zwar, aber dennoch. Die letzten Jahre waren schwierig mit schwarz-gelbem Herz, weil die Bayern die Sache stets ziemlich früh entschieden haben. Dortmund dagegen hatte viel zu leiden, jedes Jahr war die Hoffnung von neuem da, dass es diesmal klappen könnte. Stets vergebens. Und jetzt kann der BVB tatsächlich Meister werden.

Am Samstag um 15:30 Uhr steht das letzte Spiel an. Ein Sieg zu Hause gegen Mainz reicht zum Titel. Wie verfolgen Sie die Partie?

Ich bin noch nicht ganz sicher, ob es zeitlich reicht, aber sehr wahrscheinlich werde ich voller Vorfreude vor dem TV sitzen. Am Freitagabend beobachte ich im Ausland noch einen Spieler in meiner Funktion als YB-Chefscout.

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Wie groß ist die Gefahr, dass die Spieler von Dortmund nach dem letzten Wochenende und dem Patzer von Bayern München nun bereits das Gefühl haben, die Meisterschaft sei entschieden?

Ich bin sicher, Trainer und Mannschaft von Dortmund wissen genau, worum es geht. Seit elf Jahren träumen sie von diesem Moment, am letzten Spieltag alles in den eigenen Händen zu haben. Ja, die Euphorie rund herum ist riesig. Und es ist auch sehr wahrscheinlich, dass der eine oder andere im Umfeld denkt, die Meisterschale ist schon Tatsache. Ich bin überzeugt, dass die Spieler anders denken und wissen, dass es den letzten Schritt noch braucht. Dass sie einen kühlen Kopf bewahren.

Wie kann man das ganze Drumherum ausblenden?

Seriös trainieren. Fokussiert sein auf das Spiel. Möglichst Abstand nehmen von allem, was gesendet und geschrieben wird. Mehr kann man nicht tun. Dass sie das können, haben sie letzten Sonntag in Augsburg bewiesen. Das war nicht einfach. Die Bayern patzen gegen Leipzig! Und jeder weiß: Jetzt müssen wir.

BVB-Held Stéphane Chapuisat arbeitet heute für die Young Boys Bern.
BVB-Held Stéphane Chapuisat arbeitet heute für die Young Boys Bern. © dpa

Sie selbst wurden mit Dortmund zweimal Meister, 1995 und 1996. Im ersten Jahr entschied der BVB das Titelrennen am letzten Spieltag für sich, Sie fehlten allerdings verletzt...

Ja, das war schlimm... Ich hatte eine super Saison. Wir waren zum Zeitpunkt meines Kreuzbandrisses Tabellenführer...

... in 20 Spielen erzielten Sie 12 Tore...

Genau. Danach kam das fatale Training. Unser Assistenztrainer fiel mir aufs rechte Knie. Bei einem Allerwelts-Einwärmspiel, 5 gegen 2, aber so ist es im Fußball manchmal. Danach musste ich zuschauen. Der große Traum war, erstmals seit 1963 Meister zu werden. 32 Jahre Warten, das ist eine unglaublich lange Zeit. Das wissen wir bei YB ja auch... Wir schlitterten in eine schlechtere Phase, waren plötzlich Zweiter, kämpfen uns aber nochmals ran. Und so kam es zur Finalissima. Wir empfingen Hamburg, mussten gewinnen – und gleichzeitig durfte Werder Bremen bei den Bayern nicht siegen.

Wie haben Sie diesen Nachmittag erlebt?

Ich saß nahe am Spielfeldrand. Bei uns war schon früh im Spiel klar, dass nichts schiefgehen wird. Spätestens nach dem ersten Tor. Ich schaute darum mehr auf den TV-Bildschirm, wo das Bremen-Bayern-Spiel übertragen wurde. Und die Bayern haben wunderbar mitgemacht (lacht). Es gab ja noch keine Handys damals. Als auf der Anzeigetafel das erste Tor in München angezeigt wurde, explodierte das Stadion. Gut möglich, dass Edin Terzic auch auf der Tribüne war. Er hat das ja kürzlich erzählt.

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Konnten Sie die Meisterparty trotz Krücken genießen?

Ja, das schon. Aber ich musste natürlich aufpassen. Am liebsten wäre ich mit den Krücken auf den Platz gerannt. Aber ich kam rechtzeitig zur Besinnung. Das wäre ziemlich viel Risiko gewesen bei all den Menschen auf dem Platz.

Beim Meistertitel ein Jahr später und danach auch beim Champions-League-Triumph standen Sie wieder auf dem Platz – welcher der Titel hat für Sie die größte Bedeutung?

Auch im Rückblick ist jeder Titel groß. Die Champions League ist als Verein halt das absolute Maximum, das du gewinnen kannst. Mein vielleicht wichtigstes Tor habe ich dann ein Jahr später erzielt, im Champions-League-Viertelfinale gegen die Bayern, das entscheidende 1:0 in der Verlängerung des Rückspiels.

Stéphane Chapuisat erzielte 102 Tore für den BVB.
Stéphane Chapuisat erzielte 102 Tore für den BVB. © firo

Wie fühlt es sich an, die Meisterschale in den Himmel zu stemmen?

Großartig. Es ist ein Traum, der in Erfüllung geht. Als Kind habe ich immer die «Sportschau» geschaut, am Samstag um 18 Uhr auf ARD. Wir Romands schauen normalerweise eher nach Frankreich als in Richtung Bundesliga. Aber mein Vater spielte drei Jahre für den FCZ, dort bin ich dann halt auch mit Fußball-Deutschland in Berührung gekommen.

Sind Sie auch heute noch eine Legende in Dortmund?

Das ist schwierig zu beurteilen. Aber ich werde stets herzlich empfangen und ich kenne immer noch ein paar Leute. Und es ist halt so, wir sind bis heute die einzige Dortmunder Mannschaft, die den Champions-League-Titel gewann. Die Bedeutung dieses Moments ist schon noch zu spüren. In dieser Saison war ich beim Spiel des BVB gegen Manchester City im Stadion. Es ist immer wieder schön, mit alten Kollegen Erinnerungen aufzufrischen. Wir hatten einen außergewöhnlichen Zusammenhalt in der Mannschaft. Es kam vor, dass wir nach den Spielen zu zwölft oder noch mehr zusammen essen gingen. Die Kabine war ein wichtiger Faktor für den Erfolg.

Wie haben Sie die Menschen im Ruhrpott wahrgenommen?

Wie groß die Bedeutung des Vereins ist, habe ich rasch gemerkt. Es gibt viele Menschen, für die ist das Spiel am Wochenende das Highlight der Woche. Für manch einen ist die Liebe zum Verein alles.

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Ist der Druck auf die Spieler manchmal zu groß?

Ich habe mir nie Probleme oder zu viel Druck gemacht. Fussball ist meine Leidenschaft, ich habe das immer gerne gemacht. Und so habe ich das auch betrachtet. Natürlich, die Derbys gegen Schalke, die sollte man schon lieber nicht verlieren... das hat man mir rasch eingetrichtert. Aber mir war es nie zu viel.

Wie haben Sie die Rivalität zwischen Bayern und Dortmund erlebt?

Es ist noch speziell. Als ich 1991 nach Dortmund kam, bestand die Rivalität noch gar nicht richtig. Schließlich wartete Dortmund ja auch seit 1963 auf den Meistertitel. Erst als wir begannen, erfolgreich zu sein, wuchs diese Rivalität.

Es gibt dieses Bild von Oliver Kahn, dem «Titan», wie er mit gestrecktem Bein in Ihre Richtung stürmt. Was denken Sie, wenn Sie sich dieses Bild ansehen?

Legendäre Szene: Bayern-Torwart Oliver Kahn springt mit gestrecktem Bein an BVB-Stürmer Stéphane Chapuisat vorbei.
Legendäre Szene: Bayern-Torwart Oliver Kahn springt mit gestrecktem Bein an BVB-Stürmer Stéphane Chapuisat vorbei. © Imago

Darauf werde ich natürlich sehr häufig angesprochen. Nur auf dem Bild betrachtet, sieht die Szene schon sehr brutal aus. Auf dem Platz hat sich das ganz anders angefühlt. Ich sah ihn kommen, wich aus – und vorbei war es.

Wie haben Sie damals Oliver Kahn als Torhüter wahrgenommen?

Er war sehr ehrgeizig und ließ das auch die gegnerischen Spieler spüren. Aber ich erinnere mich gern an die Spiele gegen Bayern mit Kahn, weil ich relativ oft getroffen habe…

Wie nehmen Sie ihn jetzt als Bayern-Chef war?

Man spürt, dass er unter Druck steht. Das ist auch völlig normal, wenn Bayern eine Saison ohne Titel droht.

Als die Meisterschaft nach 15 Runden in die wegen der WM lange Winterpause ging, lag Dortmund neun Punkte hinter den Bayern. Was ist seither passiert?

Es ist relativ rasch das Gefühl aufgekommen: Oha, die Bayern sind nicht so souverän wie sonst. Dieses Gefühl hat Dortmund beflügelt. Als die Bayern im März dann Trainer Julian Nagelsmann entließen, war das ein doppeltes Zeichen: Ein internes 'bei uns läuft es einfach nicht gut', das viele noch mehr verunsichert hat. Und für Dortmund war es das Signal: 'Die Bayern sind nervös – wir müssen dranbleiben'"

Was ist denn schief gelaufen bei den Bayern in dieser Saison?

Aus der Ferne betrachtet ist das schwierig zu beurteilen. Ich habe das Gefühl, auch in den letzten Jahren hatten die Bayern immer wieder Schwierigkeiten – aber bereits im Herbst.

War es ein Fehler, Nagelsmann zu entlassen zu einem Zeitpunkt, wo die Bayern vor dem Direktduell in der Tabelle zwar einen Punkt hinter Dortmund zurückfielen, aber kurz zuvor in der Champions League Paris St. Germain souverän ausgeschaltet haben und auch im DFB-Pokal noch drin waren?

Ob Fehler oder nicht, mag ich nicht beurteilen. Aber es war sicher das Zeichen an Dortmund, dass sie nervös sind. Wohl zum ersten Mal seit elf Jahren.

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Wo sehen sie die größten Stärken der Dortmunder?

Die beginnen beim Trainer. Edin Terzic war selbst ein Dortmund-Fan. Er weiß, wie viel der BVB in den letzten Jahren einstecken und leiden musste. Wie er die Mannschaft moderiert, ist großartig. Es sind viele Spieler sehr wichtig, nicht nur einzelne, von denen das Team abhängig wäre. Es gab immer wieder Verletzte, die dann plötzlich wieder da waren. Sébastien Haller ist das jüngste Beispiel. Er fehlte nach seiner Krebserkrankung lange – und schießt jetzt wichtige Tore. Der Druck ist auf vielen Schultern verteilt. Besonders gönnen würde ich den Titel unserem Schweizer Torhüter Gregor Kobel, er hat sich enorm entwickelt und riesiges Potenzial.

BVB-Trainer Edin Terzic.
BVB-Trainer Edin Terzic. © dpa

Und sich auch nach seinem großen Fehler im Direktduell gegen die Bayern nicht aus dem Konzept bringen lassen.

Genau so ist es.

Für Yann Sommer hingegen wäre es bitter, am Ende ohne einen einzigen Titel dazustehen.

Es ist nicht böse gemeint, aber ich hoffe natürlich trotz Sommer auf den Titel für Dortmund. Aber noch ist ja nichts entschieden.