Dortmund. Torwart Alexander Meyer spricht über seinen ungewöhnlichen Weg bis zum BVB, Geldsorgen und selbstgeputzte Schuhe. Das Interview.
Alexander Meyer erscheint leicht verspätet in der Sport-Geschäftsstelle von Borussia Dortmund, aber dafür kann er nichts: „Heute war die Trainingseinheit ungewohnt lang, zwei Stunden“, sagt er entschuldigend. Aber derzeit macht das BVB-Training ja ein wenig mehr Spaß, weil es die reale Aussicht auf Pflichtspiele gibt: Stammtorhüter Gregor Kobel ist verletzt, Alexander Meyer könnte ihn auch im Bundesligaspiel beim 1. FC Köln vertreten. Vier Spiele hat er in dieser Saison bereits gemacht – und damit im zarten Alter von 31 Jahren sein Debüt in der Bundesliga und der Champions League erlebt. Im Interview erzählt er, warum es bei ihm besonders lange gedauert hat, wie er sich fühlte, als es endlich klappte – und warum die vielen Rückschläge in seiner Karriere ihm heute auch helfen.
Sagt Ihnen der Name Jörg Sievers etwas?
Alexander Meyer: Natürlich. Der war Torwart bei Hannover 96 und ist jetzt Trainer.
Stimmt genau. Er hat lange in der Vierten, Dritten und Zweiten Liga gespielt, hat sich im DFB-Pokal den Ruf des Elfmeterkillers erarbeitet – und debütierte im zarten Alter von 35 Jahren in der Bundesliga.
Alexander Meyer: (grinst) Ich erkenne gewisse Parallelen.
Sie haben vor ein paar Jahren noch gegen Meuselwitz gespielt – und jetzt mit 31 Jahren auf einmal Bundesliga und Champions League. Wie hat es sich angefühlt, dass der Traum endlich in Erfüllung ging?
Alexander Meyer: Sensationell, einfach unbeschreiblich! Ich weiß ja, welchen Weg ich dafür gehen musste. Deswegen versuche ich das noch mehr zu genießen. Weil ich auch weiß, wie es anders laufen kann und dass es viele gute Fußballer gibt, die das vielleicht nicht schaffen – gerade auch wegen Verletzungen. Deswegen war es bei mir pure Freude. Die Bundesliga war immer mein großes Ziel und dann kam auch noch die Champions League obendrauf.
Es hat lange gedauert, bis der Traum endlich in Erfüllung ging.
Alexander Meyer: Das stimmt. Ich bin erst mit 26 Jahren Profi geworden – ich habe also einen anderen Weg hinter mir als die meisten anderen Profis. Ich habe zwar die Jugend beim Hamburger SV durchlaufen und sollte dort auch dritter Torwart werden und in der U23 spielen. Dann hatte ich allerdings meine erste schwere Schulterverletzung, bin ein Jahr ausgefallen und der HSV hat einen anderen Torwart geholt. Ich hatte diverse Angebote, wollte aber eins nehmen, wo ich in jedem Fall spiele – und bin deswegen in die Regionalliga zum TSV Havelse gegangen, wo damals André Breitenreiter Trainer war. Allerdings hatte ich dann dort die gleiche Verletzung an der anderen Schulter, was mich wieder rund zehn Monate gekostet hat. Und danach hatte ich gleich noch mal eine schwere Knieverletzung, mit der ich ich sechs Monate raus war. Also drei schwere Verletzungen in relativ kurzer Zeit im Alter von 19 bis 21, in dem man eigentlich den Sprung zu den Profis macht.
BVB-Torhüter Alexander Meyer: "Ein unglaubliches Tor"
Sie haben den Traum von der Profikarriere dennoch nicht aufgegeben?
Alexander Meyer: Gott sei Dank hatte mein Körper keine Folgeerkrankungen, alles ist gut verheilt. Und ich habe mir dann gesagt: Ich spiele, so lange es geht, und setze alles daran, irgendwie Profi zu werden. Das hieß also: mindestens in die 3. Liga kommen. Mit 26 ging es dann so richtig los, als mich der VfB Stuttgart geholt hat. Da habe ich als Nummer 2 hinter Ron-Robert Zieler zwar leider kein Profispiel gemacht – bin danach aber bei Jahn Regensburg Stammtorhüter in der 2. Bundesliga geworden.
Und jetzt hat es endlich geklappt mit der Bundesliga. Sie hatten vier eher undankbare Spiele für einen Torhüter: Fünf Paraden stehen fünf Gegentore gegenüber und sie konnten sich kaum auszeichnen.
Alexander Meyer: Im ersten Spiel gegen Kopenhagen musste ich einmal richtig eingreifen. In Leipzig sind wir dann als komplettes Team nicht ansatzweise an unser Limit gekommen und es war sehr schwierig, sich auszuzeichnen. Und bei Manchester City waren die Gegentore etwas ärgerlich. Beim ersten sehe ich den Ball spät…
Über den Fernschuss von John Stones sagte Ihr Sportdirektor Sebastian Kehl später: Normalerweise hält Alex den. Hat er recht?
Alexander Meyer: Wenn ich den Ball früher sehe, habe ich ihn. So war es etwas unglücklich mit Nico Schlotterbeck in der Schussbahn, der da aber auch wenig machen kann. Ich habe den Ball erst spät gesehen und dann konnte ich nicht mehr reagieren.
Und dann der Treffer von Erling Haaland…
Alexander Meyer: Ein unglaubliches Tor! Wie er da noch rankommt und dann noch Druck auf den Ball bekommt – das kann man auch nicht verteidigen. Die Flanke kann man vielleicht verhindern, aber im Strafraum hast du gegen diese Weltklasse keine Chance.
Das Revierderby war dann ein ganz anderes Spiel.
Alexander Meyer: Da sind wir sehr dominant aufgetreten und ich hatte entsprechend wenig zu halten. Aber das kann ich als Torwart nicht beeinflussen. Man muss abwarten, ruhig bleiben – und dennoch war es für mich ein gutes Spiel.
Was zeichnet Sie eigentlich aus als Torhüter?
Alexander Meyer: Ich versuche, eine gute Ausstrahlung zu haben. Die Mitspieler sollen merken: Da steht jemand hinten drin, auf den man sich verlassen kann, der immer anspielbar ist, der mutig agiert und den Vorderleuten hilft, der Selbstbewusstsein ausstrahlt.
Interessanterweise ging es jetzt immer ums Spiel mit dem Ball. Was ist denn mit den klassischen Torwartfähigkeiten?
Alexander Meyer: Die muss natürlich jeder mitbringen. Ich will gerade auch in Eins-gegen-eins-Situationen mutig sein. Lieber soll der Ball volles Rohr ins Gesicht als ins Tor gehen. Aber das Torwartspiel hat sich in den letzten Jahren sehr verändert und ist enorm facettenreich.
Alexander Meyer über weitere BVB-Einsätze: "Ich versuche, die ganze Woche über Gas zu geben"
Wie groß ist die Hoffnung, dass Sie auch am Samstag gegen Köln spielen?
Alexander Meyer: Darüber mache ich mir erstmal keine Gedanken. Ich versuche, die ganze Woche über Gas zu geben. Ich weiß auch nicht, wie es mit Greg aussieht. Aber wenn ich gebraucht werde, werde ich bereit sein – dafür bin ich ja geholt worden.
In Stuttgart haben Sie in zwei Jahren kein einziges Spiel gemacht. Warum haben Sie sich trotzdem erneut auf eine Rolle als Nummer zwei eingelassen?
Alexander Meyer: Ich hatte nach Stuttgart ja drei sehr erfolgreiche Jahre in Regensburg und dort endlich als Profi gespielt. Aber ich hatte immer das große Ziel, irgendwann noch ein Bundesligaspiel zu machen. Mindestens eins. Es gab auch noch mit anderen Vereinen Gespräche, aber als Borussia Dortmund kam, brauchte ich eigentlich gar nicht lange zu überlegen – weil es hier auch die Chance auf Champions-League-Spiele gab und weil man sich bei so einem Klub noch richtig weiterentwickeln kann als Torhüter.
Wie war das denn, als der Berater anrief und sagte: Es gibt die Chance, nach Dortmund zu gehen.
Alexander Meyer: Ich war im Auto unterwegs und ich habe gesagt: Ich rufe dich gleich zurück, ich bin nicht sicher, ob ich dich richtig verstanden habe. Der Empfang war nicht so gut und ich hatte noch ein, zwei andere Dinge im Kopf, das war ein recht stressiger Tag. Fünf Minuten später stand ich dann und habe ihn zurückgerufen. Die Freude war natürlich groß, aber man weiß ja auch, dass im Fußball viel erzählt wird. Als sich dann die Verantwortlichen bei mir meldeten, war natürlich klar: Das kann was werden.
Bei den ganzen Rückschlägen auf dem Weg dahin: Haben Sie auch mal ans Aufgeben gedacht?
Alexander Meyer: Es war auf der einen Seite eine sehr schwierige Zeit, weil ich auch allgemein sehr sportbegeistert bin, weil ich auch mit Freunden oft Basketball oder Fußball spiele. All das kannst du dann nicht machen. Klar kommen auch mal Zweifel. Auf der anderen Seite habe ich aber auch immer schnell versucht, das Positive zu sehen, für die Persönlichkeitsbildung etwa. Du lernst zu kämpfen, du lernst, dass Talent alleine nicht ausreicht – sondern auch Wille und Disziplin nötig sind.
Ist es also mehr als eine hohle Phrase, wenn Sportler nach schweren Verletzungen ankündigen, stärker zurückzukehren?
Alexander Meyer: Man macht in einer Reha tatsächlich viel mehr für seinen Körper: Man trainiert viel mehr, man beschäftigt sich viel mehr mit Dingen wie Ernährung, Stabilität und anderen Themen. Man bekommt ein viel besseres Gespür für seinen Körper. Je älter du dann wirst, desto mehr macht es aus, wie du deinen Körper pflegst, wie du mit Ernährung und Schlaf umgehst. Das kann schon ein paar Jahre mehr an Karriere ausmachen, und die will ich auf jeden Fall mitnehmen – ich habe ja am Anfang ein bisschen verpasst.
BVB-Torhüter Alexander Meyer: "Es ist finanziell eine ganz andere Nummer"
Profitieren Sie heute von den Umwegen, die Sie in der Karriere nehmen mussten?
Alexander Meyer: Die helfen enorm! Ich kann das alles viel besser einordnen und genießen, was ich jetzt erlebe. Und die Selbstständigkeit ist eine ganz andere. In der vierten Liga trainiert man auch fast täglich und hat einen ähnlichen Arbeitsaufwand wie bei den Profis – aber es ist finanziell eine ganz andere Nummer und man muss sehr viel Eigenverantwortung mitbringen. Man putzt die Schuhe selbst, man muss viel mehr selbst anpacken, weil es weniger Betreuer rund ums Team gibt.
Und man macht sich eher Gedanken um einen Plan B.
Alexander Meyer: Genau. Ich habe ein Fernstudium angefangen, ich habe einen Trainerschein gemacht und Torwarttraining gegeben, ich habe eine Fußball-AG gemacht. Ich war mir für nichts zu schade, weil ich wusste, dass ich einerseits die Zeit überbrücken, mir aber andererseits auch ein finanzielles Polster schaffen muss, um über die Runden zu kommen. Wegen der vielen Verletzungen war das nicht ganz leicht, weil ich eben noch kein Profi war. Ich habe vieles nebenbei gemacht, was mich geprägt hat – und heute hilft mir das noch, weil ich sehr viel ruhiger, gelassener sein kann und alles noch mehr genießen kann.
Ist es also schlecht, dass jungen Spielen so vieles abgenommen wird?
Alexander Meyer: Viele können ja gar nichts dafür. Sie werden sehr früh Profi, verdienen richtig viel, werden gehypt und ihnen wird alles hinterhergetragen, sie müssen sich um nichts kümmern. Da ist es nicht leicht, auf dem Boden zu bleiben und selbstständig zu sein. Bei mir war es einfach anders: Ich hatte Rückschläge, aber habe dadurch in Sachen Persönlichkeit und Selbstständigkeit enorm dazugelernt. Und ich weiß: Am Ende ist jedes Spiel nur ein Spiel, egal ob in der Vierten Liga oder in der Champions League – auch wenn ich natürlich jedes Spiel gewinnen will.
Fernstudium, Trainerschein – wie wichtig ist Ihnen der Blick über den Tellerrand?
Alexander Meyer: Sehr wichtig, denn die Fußball-Bundesliga spiegelt natürlich nicht das reale Leben wider: Sportlich ist sie eine enorme Herausforderung, aber ansonsten wird einem enorm viel abgenommen und finanziell hat man auch ganz andere Möglichkeiten. Ich bin froh, dass ich auch die andere Welt kennengelernt habe, das normale Arbeitsleben. Dass ich da gut klarkam, hilft beim Blick auf das, was nach der Karriere kommt. In Regensburg hatte ich auch ein Café eröffnet – zwei Monate vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Das gab dann auch wieder viele Baustellen und Herausforderungen. Und da hilft es, die Dinge zu nehmen wie im Sport: Die Situation ist, wie sie ist – wie können wir sie jetzt lösen oder das Beste daraus machen?
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Aktuell ist die Situation: Bundesliga und Champions League. Hätten Sie daran vor zwei, drei Jahren noch geglaubt?
Alexander Meyer: Die Bundesliga war mein klares Ziel. Und als ich in Regensburg endlich im Profibereich angekommen war, habe ich gemerkt: Da ist noch mehr drin. Also ja, ich habe daran geglaubt, dass ich noch Bundesliga spielen kann. An die Champions League habe ich ehrlicherweise aber nicht mehr gedacht.
Wie haben Sie sich denn abseits vom Sport eingelebt?
BVB-Torhüter Alexander Meyer: "Dortmund gefällt mir"
Alexander Meyer: Ich habe schon in der Vorbereitung versucht, relativ viel zu sehen. Ich habe mir auch einige Wohnungen angeschaut, weil ich mich selbst um die Suche gekümmert habe. So lernt man auch die einzelnen Stadtviertel besser kennen. Und Dortmund gefällt mir. Es gibt viele Grünflächen, im Süden hast du deine Ruhe und kannst auch spazieren gehen. Aber während der Saison mit den ganzen englischen Wochen hat man nicht so viel Zeit, die Stadt kennenzulernen – da ist man dann auch mal froh, wenn man einfach zu Hause ist und ein bisschen entspannen kann.
Wir haben schon Ihr Studium und den Trainerschein angesprochen. Wissen Sie schon, was nach der Profikarriere kommen soll?
Alexander Meyer: Früher habe ich mich eher als Trainer gesehen, jetzt interessiert mich der Managementbereich mehr. Auf jeden Fall im Fußball. Aber es ist alles noch sehr lose. Ich freue mich auf die Zeit nach der Karriere und bin sicher, dass ich keine Probleme haben werde, eine vernünftige Aufgabe zu finden, die mich reizt und in der ich voll aufgehe. Aber erst einmal will ich die Profikarriere noch möglichst lang ausreizen.
Was soll denn noch kommen in den nächsten Jahren?
Alexander Meyer: Ich will bestätigen, was ich erreicht habe. Und ich will Titel gewinnen – gerade, wenn ich für eine Mannschaft wie Dortmund spiele. Dagegen hätte hier sicher auch niemand etwas.