Dortmund. Borussia Dortmund spielt sich gegen Wolfsburg in einen Rausch - und Trainer Rose überrascht bei der Aufstellung. Ein deutliches Zeichen.
Am Sonntag hatte Tom Rothe erneut Zeit, Ostereier zu suchen – Borussia Dortmunds Trainer Marco Rose hatte seinen Spielern einen freien Tag spendiert nach dem fulminanten 6:1 (5:0)-Sieg gegen den VfL Wolfsburg. Und das passte gut, denn „Ostereier suchen“ war auch die einzige Antwort, die Rothe eingefallen war, als er gefragt wurde, was er denn vor einem Jahr zu Ostern gemacht habe. Der Linksverteidiger hat ein rasantes Jahr hinter sich, dass wurde auch am Karsamstag deutlich. Während die BVB-Fans im Stadion schon das Topspiel gegen den FC Bayern am kommenden Samstag (18.30 Uhr/Sky) anpeilte und sang, dass man dem Tabellenführer doch bitte die Lederhosen auszuziehen habe, stand Rothe in den Stadionkatakomben und sinnierte über seine anstehenden Aufgaben, nämlich die Finalrunde um die Deutsche U19-Meisterschaft.
Denn Rothe ist ja noch ein halbes Kind, 17 Jahre alt erst. Zum Osterfest 2021 war er nochein weitgehend unbekannter Nachwuchsspieler des FC St. Pauli, der sein Talent kaum auf dem Platz zeigen konnte, weil die Corona-Pandemie den Spielbetrieb im Juniorenbereich weitgehend stilllegte.
BVB stellt gegen Wolfsburg einen Klub-Rekord auf
Dennoch wurden die BVB-Späher auf ihn aufmerksam, holte ihn im Sommer in die Dortmunder U19. Eine gute Entscheidung, wie man knapp neun Monate später endgültig weiß: Gegen Wolfsburg feierte der 17-jährige Linksverteidiger nicht nur sein Profidebüt, und das gleich in der Startelf – nein, er erzielte auch das 1:0, was ihn mit 17 Jahren und 169 Tagen zum jüngsten Spieler der Bundesligageschichte macht, der bei seinem Debüt ein Tor erzielte. Und das auch noch vor der Südtribüne, wo die treuesten und lautesten BVB-Fans stehen – so erträumt es sich wohl jeder Nachwuchsspieler in Schwarz-Gelb. Zumal Rothes Premierentreffer nach 24 Minuten den Auftakt zu einer aberwitzigen Torkaskade bot: Axel Witsel (26.), Manuel Akanji (28.), Emre Can (35.) und Erling Haaland (38.) sorgten für die 5:0-Halbzeitführung gegen völlig auseinanderfallende Wolfsburger – ein Klubrekord. Erneut Haaland (54.) und Ridle Bake (81.) sorgten für den 6:1-Endstand.
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Nun stand er da, nach dem Spiel und bekam das Grinsen gar nicht mehr aus seinem jungenhaften Gesicht. „Das war nicht so schlecht“, meinte er norddeutsch-kühl über seinen Treffer. „Es war abgesprochen, dass ich versuche, vor den Mann zu kommen. Jule hat einen super Ball geschlagen, ich habe ihn gut getroffen – aber erst nach ein, zwei Sekunden realisiert, dass er drin war.“ Doch 79.200 Zuschauer, die lautstark seinen Namen brüllten, beseitigten schnell alle Zweifel. Die Folge: „Gänsehaut, das war unbeschreiblich“, schwärmte Rothe.
BVB-Trainer Marco Rose setzt ein Zeichen
Er hatte erst tags zuvor erfahren, dass er spielen würde, weil sich Thorgan Hazard nach dem Abschlusstraining mit Muskelproblemen im Rücken abmeldete. „Ich bin nicht so gut eingeschlafen wie sonst“, erzählte er vergnügt. „Ich war sehr aufgeregt, aber das gehört dazu.“ Der 17-Jährige erzählte das genauso unbekümmert, wie er in den 90 Minuten zuvor aufgetreten war. „Er war von Anfang an im Spiel“, lobte Trainer Marco Rose. „Es war so, wie ich Tom kenne: eins ehr abgeklärtes Spiel für sein Alter und dafür, dass es sein erstes Bundesligaspiel war.“ Dem allerdings könnten weitere folgen: „Ich hoffe, das ist Ansporn für mehr“, sagte Rose.
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Der Trainer hatte ja selbst ein klares Zeichen gesetzt, auch mit der Einwechslung von Lion Semic und Jamie Bynoe-Gittens, zwei weiteren Teenagern, die zum Debüt kam. Vor allem aber mit der Aufstellung Rothes. Der einstige Nationalspieler Nico Schulz nämlich schmorte 90 Minuten auf der Bank, er verließ das Stadion mit versteinerter Miene und weitgehend unbehelligt. Die Aufmerksamkeit gehörte an diesem Tag anderen, denn es hatte sich öffentlich überdeutlich gezeigt, was intern nach Informationen dieser Redaktion längst klar kommuniziert ist: Mit Schulz wird nicht mehr geplant.
BVB setzt auf Spieler mit Identifikationspotenzial
So war die Partie gegen Wolfsburg auch ein klarer Fingerzeig, wie Rose die verbleibenden Wochen in der Bundesliga angehen will. Bei noch vier Spielen und neun Punkten Rückstand auf Platz eins sowie zwölf Zählern Vorsprung auf Rang fünf ist ein Champions-League-Rang faktisch gesichert – und die verbleibenden Partien können schon in die Vorbereitung für die kommende Saison einfließen.
Rose hat schon mehrfach durchblicken lassen, dass er die restliche Saison auch als Casting für die kommende begreift. Als Möglichkeit, zu sehen, auf wen er sich verlassen kann. Und am Samstag hat der Trainer auch mit seiner Aufstellung den Willen zu neuer Konsequenz demonstriert. Er will seine Vorstellungen vom Fußball endlich durchziehen, er will Vollgasfußball mit hohem Einsatz und viel Begeisterung – und er will keine Rücksicht mehr nehmen auf Spieler, die ihm dabei nicht helfen können.
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Für Schulz bedeutet das wenig Erfreuliches und auch so manch anderer Akteur dürfte sich noch umgucken, wenn das Personaltableau wieder mehr Auswahl bietet. Rose und der künftige Sportdirektor Sebastian Kehl wollen ja einen Kader mit mehr Identifikationspotenzial zusammenstellen, da passen Spieler aus dem eigenen Nachwuchs optimal. Und so darf sich der erfrischende Debütant Rothe berechtigte Hoffnungen machen, dass der erste Einsatz bei den Profis nicht der letzte war.