Dortmund. Thilo Danielsmeyer kümmert sich in Dortmund als Sozialarbeiter um Fußball-Anhänger. Vor allem Ultras stimmen ihre Freizeit auf die Spieltage ab.
Thilo Danielsmeyer korrigiert sich sofort. „Zurzeit sieht man, wie unwichtig der Fußball sein kann“, hat der Leiter des Dortmunder Fanprojekts gerade gesagt, aber das kann und will er so nicht stehen lassen: „In Dortmund ist Fußball natürlich überhaupt nicht unwichtig“, sagt er. „Das ist hier in Dortmund viel mehr als Sport, das ist ein Stück Kultur und beschäftigt viele Leute. Unabhängig vom Ergebnis gehört der Fußball einfach zum gesellschaftlichen Leben.“
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Fußball bestimmt den Puls der Stadt, und Danielsmeyer ist einer, der diesen Puls ganz genau fühlt – normalerweise. Denn zurzeit ist da nichts. Der Fußball ist zum Erliegen gekommen wegen der Corona-Pandemie. Das trifft die Stadt. Das trifft Danielsmeyer und das Fanprojekt. Und vor allem trifft es jene, mit denen er arbeitet: die Fans und insbesondere die Ultras.
Kontakt zu allen Gruppen
Mit ihnen hat der Sportwissenschaftler sonst sehr intensiv zu tun. Die Räumlichkeiten des Fanprojekts sind eine Anlaufstelle nicht nur an Spieltagen. Auch jetzt, da auch das Fanprojekt schließen musste, bemühen sich Danielsmeyer und sein Team, so gut es irgendwie geht, den Kontakt zu halten zu allen Gruppen, mit denen sie sonst zu tun haben. Und deswegen weiß er, wie hart gerade diejenigen, die ihr Fansein am intensivsten leben, vom jähen Stillstand getroffen sind.
Ultra sein, das heißt: für seinen Verein leben. 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Und: miteinander leben. „Die Ultraszene ist eine Jugendkultur, die sehr stark zusammenhält, die Ultras verbringen fast alle Wochenenden gemeinsam“, sagt Danielsmeyer. „Fußball ist der Haupt-Lebensinhalt.“
Besondere Choreos
Und Fußball ist weit mehr als die 90 Minuten auf dem Platz, weit mehr als nur der Samstagnachmittag. Am Freitag wird vorbesprochen, was am Samstag auf der Tribüne passieren soll. Ist eine besondere Choreo geplant, muss die noch viel länger vorbereitet werden. Dann wird Material beschafft, dann wird gebastelt, gemalt und geprobt. „Und das endet erst am Sonntagmorgen“, erzählt Danielmeyer.
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Und fast genauso wichtig wie der Fußball ist die Gemeinschaft, das gemeinsame Erleben. „Gerade auch bei Auswärtsfahrten, da verbringen die 36 Stunden miteinander“, sagt der 61-Jährige. „Die gesamte Freizeit wird darauf abgestimmt.“ Und jetzt? „Jetzt bricht das weg, und da entsteht für die ein Riesenloch. Und wenn das über Monate wegbricht, wird das ein unglaublicher Einschnitt in das Leben dieser Leute sein.“
Einkäufe für ältere Menschen
Danielsmeyer fühlt mit ihnen mit, nicht nur von Berufs wegen sind ihm die Ultras wichtig. „Die sind gesellschaftlich eine sehr wichtige Gruppe“, sagt er – und blendet dabei nicht aus, dass es meist auch Ultras sind, die im Stadion Pyrotechnik zünden, die verunglimpfende Banner präsentieren oder auf andere Art „übers Ziel hinausschießen“, wie es der Streetworker formuliert. „Das wissen die auch, und wir arbeiten daran, dass das nicht überhandnimmt“, sagt er.
Aber es gibt auch die andere Seite, gerade jetzt in der Krise wird sie sichtbar: Das Bündnis Südtribüne, in dem sich die Ultras und viele Fanklubs zusammengeschlossen haben, erledigt Einkäufe für ältere Menschen und andere, die zu Risikogruppen zählen. In Gelsenkirchen haben die Ultras des Dortmunder Erzrivalen Schalke 04 die Initiative #helpgelsen gestartet, bei der sie T-Shirts verkaufen, um lokale Kneipen, Dienstleister, soziale Einrichtungen und Künstler zu unterstützen. Im italienischen Bergamo, wo das Virus besonders schlimm wütet, halfen Ultras beim Bau eines Krankenhauses.
Sorge um den Erhalt der Fanprojekte
„Die engagieren sich nicht nur jetzt in der Krise, die machen das schon viele, viele Jahre“, sagt Danielsmeyer und erzählt von Projekten für die Schwächsten der Gesellschaft, für Kinderheime und andere Einrichtungen. „Sie unterstützen einander sehr stark, in der Gruppe wird nie einer fallen gelassen, es wird sich um jeden gekümmert. Aber auch gesamtgesellschaftlich übernehmen die sehr stark Verantwortung. Und deswegen machen ja auch wir als Fanprojekt uns so für diese jungen Leute stark.“
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Wie das allerdings in Zukunft aussehen wird, das weiß auch Danielsmeyer mit seinen 30 Jahren Erfahrung nicht. Wenn irgendwann mal wieder Fußball gespielt wird, das ist jetzt schon klar, dann wird es für eine ganze Weile ohne Zuschauer sein. Das verstünden inzwischen auch viele, die das anfangs vehement ablehnten: „Die Fans sehen ja auch, dass es den Fußball in seiner jetzigen Form vielleicht gar nicht mehr geben wird, wenn das noch lange dauert.“
Sorgen um die Zukunft
Für das Fanprojekt bedeutet das: Sehr viel von der gewohnten Arbeit, die so sehr von Begegnungen am Spieltag lebt, wird weiterhin nicht möglich sein. Das Dortmunder Team bereitet sich deswegen auf andere Dinge vor, vor allem auf viel Einzelhilfe: Hilfe beim Schreiben von Anträgen, das Begleiten von Jugendlichen zu Prozessen oder bei Amtsgängen. Man bekommt über das Thema Fußball ja manchmal Zugänge zu Menschen, die andere nicht mehr erreichen. Aber wird das auch gehen, wenn es keinen Fußball gibt, zumindest keinen, bei dem man sich treffen kann, ob im Stadion oder vor dem Fernseher? Und wird es überhaupt weitergehen?
Auch Thilo Danielsmeyer macht sich Sorgen um die Zukunft, um den Fortbestand der Fanprojekte. „Neben der öffentlichen Hand ist ja auch die DFL unser Geldgeber“, erklärt er. „Sollten Vereine pleite gehen, werden sicher nicht Fußballsozialarbeiter ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Es ist eine ungewisse Zukunft für uns alle.“