Dortmund. Im Interview spricht BVB-Sportdirektor Zorc über Planungen für die kommende, Lehren aus der vergangenen Saison – und sagt, wen er halten möchte.

Michael Zorc erscheint gut gelaunt zum Termin in der Geschäftsstelle von Borussia Dortmund. Kein Wunder, der BVB-Sportdirektor hat einen Großteil seiner Aufgaben für den Sommer bereits erledigt, hat Nico Schulz, Julian Brandt und Thorgan Hazard für rund 75 Millionen Euro verpflichtet. Im Interview spricht er über Personalplanungen, die Lehren aus der vergangenen Saison – und darüber, was ihn nach über 20 Jahren im Geschäft noch antreibt.

Sie scheinen schnell in den Sommerurlaub zu wollen.

Michael Zorc: Sie spielen auf die drei Transfers direkt nach Saisonende an? Ja, das sieht so aus (lacht). Aber wenn man diese Kategorie Spieler verpflichten möchte, passiert das eben häufig nicht erst in den letzten Tagen des Juli oder August. Da wollen alle früh Klarheit haben, und da bist du ja nicht der einzige interessierte Verein. Außerdem hat uns deutlich geholfen, dass wir den Transfer von Christian Pulisic bereits frühzeitig abgewickelt hatten und dadurch ein hohes Maß an Planungssicherheit hatten.

Was hat für diese drei Spieler gesprochen?

Zorc: Wir holen zwei deutsche und einen belgischen Nationalspieler. Sie haben über viele Jahre nachgewissen, dass sie in der Bundesliga Topleistungen bringen können. Bei allen dreien erhoffe ich mir zudem noch einen Leistungssprung durch den Wechsel zu uns.

Gehen wir sie mal einzeln durch…

Zorc: Julian Brandt spielt schon fünf Jahre in der Bundesliga, ist aber im Mai erst 23 geworden. Nico Schulz hat in den letzten anderthalb bis zwei Jahren einen enormen Sprung gemacht und spielt als Linksverteidiger auf einer Position, auf der wir uns verstärken wollten. Thorgan Hazard passt durch seine spielerischen Fähigkeiten sehr gut zu uns und zu unseren anderen Offensivkräften.

BVB-Sportdirektor Michael Zorc (Mitte) mit unseren Reportern Marian Laske (l.) und Sebastian Weßling (r.).
BVB-Sportdirektor Michael Zorc (Mitte) mit unseren Reportern Marian Laske (l.) und Sebastian Weßling (r.). © Ralf Rottmann / FUNKE Foto Services

Wie wichtig ist es für den BVB, deutsche Nationalspieler im Kader zu haben?

Zorc: Das wird immer ein wichtiger Punkt bleiben. Wir sind ein deutscher Klub und wir wollen uns weiter in der deutschen Spitze etablieren. Und dazu gehören dann auch deutsche Nationalspieler.

Geht es da ums Prestige, geht es um Marktwerte?

Zorc: Der Marktwert interessiert mich persönlich wenig. In erster Linie geht es um Leistung und Identifikation.

Wird es weitere Zugänge geben?

Zorc: Wir werden natürlich weiter versuchen, den Kader zu optimieren. Aber das Gros ist getan. Wir wollen ja auch keinen aufgeblähten Kader haben. Deswegen liegt ein Hauptaugenmerk jetzt auf der Abgangsseite. Da wird sich in den nächsten Monaten sicher noch etwas tun.

Was sehen Sie denn noch für Baustellen im Kader? Einen großen Stürmer, der den Ball auch mal halten kann?

Zorc: Baustelle ist ein viel zu hartes Wort. Ich kann übrigens wirklich nicht erkennen, dass wir nicht Deutscher Meister geworden sind, weil wir zu wenig Tore geschossen haben. Das hatte andere Gründe.

Aber man hätte eine Option mehr im Spiel, man könnte auch mal einen langen Ball schlagen.

Zorc: Das ist richtig, aber es muss trotzdem alles passen. Es muss zur Spielweise passen, es muss zur Mannschaft insgesamt passen.

Auf dem Wunschzettel stand auch ein Mittelfeldspieler vom Typ Thiago oder Gündogan.

Zorc: Ich weiß von keinem Wunschzettel. Wir haben momentan in Weigl, Witsel, Delaney und Dahoud vier zentrale Mittelfeldspieler – und zwar vier gestandene Spieler. Auch Mo Dahoud hat ja schon 98 Bundesligaspiele für Mönchengladbach und uns gemacht. Dazu kommt der junge Tobias Raschl aus unserer U19. Und dann haben wir in unserem Nachwuchs mit Patrick Osterhage noch einen interessanten jungen Spieler, der in der Vergangenheit leider öfter verletzt war, den wir aber weiter im Blick haben.

Ein Abgang von Julian Weigl ist also kein Thema?

Zorc: Nein. Julian hat einen langfristigen Vertrag bei uns, und wir haben überhaupt keine Intention, irgendetwas daran zu ändern.

Es geht also bei Abgängen vornehmlich um die sieben Leihspieler, die zurückkommen und eher überschaubare Perspektiven haben?

Zorc: Genau.

Wie sieht es bei Raphael Guerreiro aus, dessen Vertrag 2020 ausläuft und bei dem es noch keine Vertragsverlängerung gibt?

Zorc: Das ist momentan eine ungeklärte Situation

Um noch eine Ablöse zu bekommen, müssten Sie ihn also jetzt verkaufen.

Zorc: Wie gesagt: Die Situation ist noch ungeklärt.

Dann sprechen wir über Marcel Schmelzer, der wenig gespielt hat und damit nicht zufrieden sein kann.

Zorc: Ich halte große Stücke auf Marcel, in jeglicher Hinsicht. Er hat sich, obwohl er nicht gespielt hat, immer tadellos verhalten. Nicht nur neben dem Platz, er hat auch konsequent erstklassige Trainingsleistungen gezeigt. Er ist ein wichtiger Faktor für uns, auch in der Kabine. Er verkörpert ein Höchstmaß an Identifikation mit Borussia Dortmund. Ich möchte Marcel weiter beim BVB sehen.

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In der vergangenen Woche haben Sie mit dem Trainer die Saison analysiert. Ein Manko waren die vielen Gegentore.

Zorc: Absolut. Wir haben vor allem in der Rückrunde zu viele und zu einfache Gegentore kassiert, auch immer wieder durch individuelle Fehler. Die haben uns am Ende um die Früchte der Arbeit gebracht. Wir haben 2:0 bei Werder Bremen geführt, wir haben 3:0 gegen Hoffenheim geführt, wir haben gegen Schalke geführt – und wir haben keins dieser Spiele gewonnen. Sie können sich ausrechnen, wo wir gelandet wären, wenn wir alle drei gewonnen hätten.

Sehen Sie da auch personell Handlungsbedarf?

Zorc: Ich setze vor allem auf die Weiterentwicklung unserer jungen Spieler. Und auch Lucien Favre ist ja erst seit einem Jahr unser Trainer. Er hat seitdem mit der Mannschaft sehr viel daran gearbeitet, unser Offensivspiel zu entwickeln, in dieser Hinsicht hatten wir eine ganz klare Struktur mit viel Ballbesitz. Lucien wird in der kommenden Saison – da bin ich sicher, und das ist sein ureigener Wunsch – natürlich einen Schwerpunkt darauf legen, defensiv noch einmal an Stabilität zuzulegen.

Was kam sonst heraus bei Ihrer Analyse?

Zorc: Wir haben uns natürlich Gedanken darüber gemacht, wie wir mit den verschiedenen Situationen und Tabellenständen umgegangen sind, die wir im Laufe der Saison hatten. Und daraus – und aus dem Wissen, dass wir unsere Mannschaft verstärkt und sich die Spieler weiterentwickelt haben – haben wir abgeleitet, dass wir offensiver in der öffentlichen Zielsetzung werden wollen. Es ist ja auch schwierig, wenn du mit nur zwei Punkten Rückstand Vizemeister geworden bist, ein anderes Ziel als das Mitspielen um die Meisterschaft auszugeben. Das hat sich auch aus der Mannschaft selbst entwickelt. Wir möchten zumindest versuchen, den Titel wieder nach Dortmund zu holen.

Was hat Lucien Favre für einen Eindruck auf Sie gemacht?

Zorc: Sehr analytisch, wie er natürlich immer ist, aber auch sehr aufgeräumt. Es herrschte eine große Übereinstimmung zwischen uns, was mich nicht überrascht. Wir alle fühlen uns in dieser Konstellation wohl.

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Hätten sie sich von ihm in der vergangenen Saison auch mal ein feurigeres Auftreten gewünscht?

Zorc: Überhaupt nicht. Man muss ja wissen, welchen Trainer man verpflichtet. Und, nur mal als Beispiel: Wenn du in Bremen zu einem ganz wichtigen Zeitpunkt in der Saison 2:0 führst, kannst du ja kein Problem mit der Motivation haben. Das ist ein aufgebauschtes Medien-Thema. Wir müssen auch sehen, wie wir überhaupt in diese Verlegenheit gekommen sind, um die Deutsche Meisterschaft mitzuspielen – natürlich mit Lucien Favre als Trainer, mit seiner Herangehensweise, mit seiner Struktur und Aufstellung, die er dem Team gegeben hat. Das passt wunderbar.

Das klingt stark nach einer Vertragsverlängerung.

Zorc: Natürlich werden wir mit ihm in die Gespräche gehen, und ich persönlich wüsste nicht, was dagegen sprechen sollte. Aber ich kann das Ergebnis nicht vorwegnehmen, weil die Gespräche noch zu führen sind.

Wenn Sie auf die vergangene Saison zurückschauen: Gibt es irgendetwas, was Sie anders hätten machen sollen?

Zorc: Im Rückblick hätten wir vielleicht offensiver mit dem Ziel Meisterschaft umgehen und das früher verkünden können. Aber wir werden ja nie wissen, wie es dann ausgegangen wäre. Möglicherweise wäre uns auch das im Falle eines Scheiterns negativ ausgelegt worden.

Das hat ja auch Auswirkungen auf die Mannschaft. Marco Reus hat gesagt, es sei manchmal schwierig gewesen, den jungen Spielern zu vermitteln, dass man in jedem Spiel Gier brauche. Kann sich das durch eine offensive Zielsetzung ändern?

Zorc: Ja. Denn dann weißt du: Wenn du dieses Ziel wirklich erreichen willst, darfst du dir nicht viele Patzer erlauben.

Zum Beispiel ein 0:0 in Nürnberg…

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Zorc: Oder eine Niederlage in Augsburg. Dieses Bewusstsein sollten wir nun vom ersten Tag an haben

In der Rückrunde hatte man das Gefühl: Sobald die Mannschaft etwas zu verlieren hat, fängt sie an zu zittern.

Zorc: Ja, so sah es aus, insbesondere nach der verspielten 3:0-Führung gegen Hoffenheim und nach der zweimaligen Führung im Pokal gegen Werder. Da sind wir bestraft worden mit späten Gegentoren und haben die Spiele nicht gewonnen. Und das hat vielleicht ein bisschen was ausgelöst, dass wir selbst in Spielen, die wir am Ende gewonnen haben, wie gegen Düsseldorf oder Mainz, in den letzten zehn Minuten gewackelt haben. Wir haben die Sicherheit verloren, einen Vorsprung vernünftig über die Zeit zu bringen.

Wie kann man da von außen Einfluss nehmen?

Zorc: So etwas entwickelt sich immer von innen heraus. Genauso wie sich in der Hinrunde das Gefühl entwickelt hat, dass wir jeden Rückstand drehen können. Da entsteht so eine Dynamik, die dann schwer zu stoppen ist. Das kannst du nicht einfach in eine andere Richtung kanalisieren und sagen: ruhig bleiben.

Also setzen Sie auch hier auf persönliche Weiterentwicklung und Lerneffekte?

Zorc: Natürlich. Wir holen ja traditionell immer den einen oder andere Spieler von kleineren Vereinen, wo sie es nicht gewohnt sind, alle drei Tage zu spielen. Das ist in meinen Augen ein unterschätzter Faktor in einem Saisonverlauf. Selbst Axel Witsel musste sich daran gewöhnen, dass du in der Bundesliga 34 Spiele hast, in denen du 100 Prozent bringen musst. Das war in Russland oder China nicht in diesem Maße der Fall. Und ich setze darauf, dass sich Spieler, die das nicht so gewohnt waren, noch einmal weiterentwickeln.

Ist eine Saison wie die vergangene anstrengender als eine, in der man mit großem Abstand auf Rang zwei einläuft?

Zorc: Da wir alle Sportler sind, wollen wir immer das Maximum erreichen. Dann macht es schon mehr Spaß, tut aber am Ende natürlich auch ein bisschen mehr weh. Aber am schlimmsten war es vor einem Jahr, als ich in Hoffenheim ohnmächtig auf der Bank saß und hoffen musste, dass Leverkusen im Parallelspiel nicht noch ein Tor schießt. Dann lieber mehr Aufregung, Anstrengung und auch mehr Enttäuschung.

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Was spornt Sie dann nach so vielen Jahren noch an, es immer wieder zu versuchen?

Zorc: Ich habe Spaß daran, wenn ich sehe, dass die Entscheidungen, die wir treffen, beginnen zu greifen. Wenn sich die Ideen hinter den Entscheidungen auf dem Platz widerspiegeln. Du triffst nie nur richtige Entscheidungen. Aber wenn du viele richtige Entscheidungen getroffen hast, erlebst du in der Regel auch eine gute Saison. Das treibt mich an.

Ihr Job wird immer umfassender und aufreibender…

Zorc: Stimmt.

Wie lange tun sie sich das dann noch an?

Zorc: Ich habe ja noch einen laufenden Vertrag (grinst).

Och Herr Zorc, das ist so eine typische Fußballerphrase. Gibt es nicht auch mal etwas anderes, was sie reizen würde?

Zorc: Ich fühle mich gerade sehr, sehr wohl hier und möchte nichts anderes machen.