Bremen. Im Sommer wechselte Nuri Sahin vom BVB zu Werder Bremen. Im Interview spricht er über seine Rückkehr - und Dortmunds Meisterschaftschancen.
Ganz in Schwarz gekleidet betritt Nuri Sahin den kleinen Raum im Weserstadion, grüßt freundlich, nimmt Platz in einem der cremefarbenen Sessel – und erzählt. 30 Minuten Interview waren eingeplant, es werden deutlich mehr. Denn der 30-Jährige hat einiges zu erzählen vor dem großen Wiedersehen: Heute kehrt er mit Werder Bremen Spiel zurück zu Borussia Dortmund (18.30 Uhr/Sky) – dem Klub für den er insgesamt 14 Jahre spielte.
Herr Sahin, Wie fühlt es sich an, ein Auswärtsspiel in Dortmund zu gewinnen?
Nuri Sahin: Das hatte ich ja noch nicht so oft. Es sei denn, Sie meinen mit dem RSV Meinerzhagen.
Genau. Ihr Heimatverein in der Westfalenliga, den Sie mit Geld und Ihrem Know-How unterstützen.
Da haben wir eine ziemlich gute Quote. Mit Meinerzhagen haben wir schon einige Dortmunder Vereine geschlagen, und noch gar nicht in Dortmund verloren, glaube ich. Erst am Sonntag gab es ein 2:1 bei Westfalia Wickede. Vielleicht ist das ja ein gutes Omen.
Lässt sich die Quote halten?
Gegen den BVB wird es natürlich deutlich schwieriger. Aber ich würde mich sehr freuen, wenn wir aus den drei Spielen bis zur Winterpause noch einige Punkte holen. Dann wäre es für uns eine gute Hinrunde.
Die erlebt der BVB gerade auch. Sind Sie überrascht, dass es so schnell wieder so gut läuft?
Das hat wohl keiner erwartet. Aber dass es in die Richtung gehen würde, war mir vom ersten Tag und dem ersten Training bei Lucien Favre klar.
Warum?
Da war eine ganz andere Dynamik drin. Er war ganz klar in seinen Ansagen: Das will ich, das werden wir machen, das sind die Ideen. Die erste Übung war: Spielaufbau durch den Torwart. Das hatte ich relativ selten, dass die erste Trainingsübung, die du in der Vorbereitung machst, sofort Spielaufbau durch den Torwart ist. Ich dachte nur: Geil, so muss Fußball aussehen. Und wenn du dann noch die Spieler holst, die Borussia Dortmund geholt hat, wird es automatisch gut.
Es wird schon sehr oft der Vergleich zur Meistersaison 2010/11 gezogen…
Ja, das habe ich auch schon gelesen. Von der individuellen Qualität her ist die aktuelle Mannschaft sogar stärker. Man muss nur sehen, was für Talente da Stammspieler sind und wie breit der Kader ist. Unsere Stärke damals war, dass wir eine echte Mannschaft waren. Und wir hatten einen Trainer, der die Richtung klar vorgegeben hat und wir haben das knallhart durchgezogen. Das scheint im Moment auch so zu sein.
Blöderweise steht diese Mannschaft am Samstag auf der Gegenseite.
Ja, das wird sehr, sehr schwer, vielleicht das schwerste Spiel in dieser Saison, weil wir gegen die momentan beste deutsche Mannschaft spielen. Die Jungs sind absolut verdient Tabellenführer. Am meisten beeindruckt mich, dass sie auch Spiele gewinnen, in denen es nicht unbedingt so läuft. Das ist ein Zeichen von Qualität. Sie sind zu einer echten Ergebnismaschine geworden. Aber ich glaube, dass wir eine gute Idee haben werden und an einem guten Tag Dortmund ärgern können.
Für Sie persönlich wird es sicher auch kein ganz einfaches Spiel.
Ich glaube nicht, dass es schwer für mich wird, auf der anderen Seite zu stehen. Denn ich bin ja nicht im Streit aus Dortmund gegangen, sondern ich habe ein tolles Verhältnis zum Verein, zu den Verantwortlichen und zur Mannschaft. Ich freue mich auf die Leute. Mit den Jungs auf dem Platz habe ich ja Kontakt. Aber ich freue mich sehr auf die Physios, die Leute aus der Presseabteilung und andere, die ich lange nicht gesehen habe. Das werden schöne Momente sein.
Aber ein ungewohntes Gefühl wird es doch sicherlich schon?
Spiele gegen Dortmund müssen nicht wirklich sein, das sage ich ganz ehrlich. Deswegen habe ich mich auch geärgert, dass wir Dortmund im Pokal zugelost bekommen haben. Schmelle (BVB-Linksverteidiger Marcel Schmelzer, Anm. d. Red.) und ich hatten eigentlich abgemacht, dass wir erst in Berlin gegeneinander spielen. Dann hätte ich entweder als Fan oder Spieler den Pokal geholt. Jetzt ist es doch relativ früh. Andererseits ist es unser Beruf und es gibt Schlimmeres als im Westfalenstadion Fußball zu spielen.
Gerade deswegen waren viele überrascht, als Sie am letzten Tag der Transferperiode nach Bremen wechselten. Was waren die Gründe?
In Dortmund fand ein Umbruch statt. Unter anderem sind in Thomas Delaney und Axel Witsel zwei Spieler für das Zentrum gekommen und mir war klar, dass ich vor allem zu Saisonbeginn nicht die ganz große Chance auf Spielzeit bekommen würde. Das wurde auch immer offen und ehrlich mit Michael Zorc, Aki Watzke und Lucien Favre besprochen.
Dem Sportdirektor, dem Geschäftsführer und dem Trainer…
Ich hätte auch in Dortmund bleiben können und hätte sicherlich auch meine Spielanteile bekommen. Aber dann kam der Anruf aus Bremen und da hatte ich das Gefühl: Das passt. Das war genau das, was ich mir vorgestellt hatte. Es hat vom ersten Kontakt an gepasst und deswegen habe ich entschieden, noch einmal was anderes zu machen anstatt in Dortmund auf meine Chance zu warten. Ich wollte auch nicht einfach meinen Vertrag aussitzen, dafür ist mir der Verein viel zu wichtig.
Wenn Sie heute dann sehen, wie erfolgreich der BVB spielt…
Ich habe schon kommen sehen, dass Borussia Dortmund um Titel spielen wird. Ich hätte nochmal Deutscher Meister werden können, denn ich gehe davon aus, dass die Jungs das dieses Jahr schaffen. Aber das war nicht meine Motivation.
Weil Sie schon Meister waren?
Man will natürlich immer Titel gewinnen. Aber mir war einfach wichtig, dass ich tagtäglich Spaß habe. Den hätte ich in Dortmund vielleicht auch gehabt. Es musste in Dortmund eine Veränderung stattfinden, weil nach der Zeit von Jürgen Klopp sehr, sehr viel an Identität verloren gegangen war. Deswegen war es in Ordnung, dass der BVB diese Entwicklung eingeschlagen hat.
Wie sehen Sie Ihre Rolle jetzt in Bremen?
Ich habe von zwölf möglichen Spielen sieben oder acht gemacht, was okay ist. Am Anfang habe ich gute Spiele gemacht, zuletzt habe ich nicht ganz das gezeigt, was ich leisten kann. Ich denke, ich spiele auch in der Kabine eine gewichtige Rolle und ich habe ein gutes, offenes Verhältnis zum Trainer. Aber was mir fehlt, ist die Vorbereitung. Denn die Art, wie wir Fußball spielen wollen, ist schon speziell, da musst du genau wissen, was auf deiner Position zu tun ist – und das wurde in den sechs Wochen der Vorbereitung erarbeitet. Aber ich habe trotzdem schon gute Spiele für Werder gemacht. Ich habe meinen Teil dazu beigetragen, dass wir jetzt da sind, wo wir sind. Ich kann natürlich mehr leisten, das weiß ich auch und das werde ich auch. Aber es macht mir Spaß, wir haben eine interessante Mannschaft und viele junge Spieler, denen man helfen kann, an die ich meine Erfahrung weitergeben kann.
Sind die jungen Spieler heute anders als der 16-jährige Nuri Sahin vor 14 Jahren?
Ich behaupte ja von mir, dass ich sehr selbstbewusst bin, genau wie Mats Hummels. Aber gegen die Jungen heutzutage waren wir viel demütiger. Das ist unglaublich, wie selbstbewusst die Jungs sind. Aber das ist auch immer ein schmaler Grat zur Arroganz. Ein junger Spieler sollte auf dem Platz Vollgas geben und in der Kabine total bodenständig bleiben. Natürlich muss man sich nicht kleiner machen, als man ist, aber ich bin ein Fan von Hierarchien in der Kabine. Ein 35-Jähriger sitzt dort nicht, weil er gut aussieht, sondern weil er in seiner Karriere etwas geleistet hat. Davor muss man schon Respekt haben. Da muss sich ein junger Spieler erst hinarbeiten.
Sie haben das schon hinter sich, sind 30 Jahre alt und haben noch einen Vertrag bis 2020. Was kommt dann?
Da habe ich schon ganz klare Ideen. Man wird mich nicht vom Platz tragen müssen, das kann ich garantieren. Dafür habe ich zu viel erlebt und zu viel erreicht und ich hoffe, dass jetzt auch noch ein bisschen was dazu kommt. Mein Körper wird mir irgendwann ein Signal geben, und darauf werde ich hören. Ich will nach meiner Karriere nicht mit Schmerzen Treppen runtergehen oder morgens mit Arthrose aufstehen wie andere Fußballer.
Sehen Sie sich als Trainer?
Ich weiß nicht, ob es in die Richtung gehen wird, aber das reizt mich total. Denn ich denke, dass ich ja schon ein bisschen Ahnung von dem Spiel habe.
Wann ist es so weit?
Ich sitze in der Kabine neben Claudio Pizarro. Das ist für mich ein Phänomen, dass der mit 40 hier sitzt, obwohl er auch schon mit 17 oder 18 angefangen hat. Ich werde mit 40 definitiv nicht mehr Profi sein. Ich hatte eine tolle Karriere, habe auch jetzt einen tollen Verein, eine Stadt, die für den Verein lebt, ein tolles Stadion. Aber ich weiß auch, dass eine Karriere endlich ist. Ich habe aber auch gar keinen Bammel davor, sondern freue mich auf die Zeit.
Hans-Joachim Watzke wünscht sich, dass Sie dann zum BVB zurückkehren.
Zu Aki und Michael habe ich sowieso ein sehr spezielles und enges Verhältnis. Und meine Verbundenheit zur Borussia wird ein Leben lang bestehen, ob als Fan, Spieler, Trainer, Fanbeauftragter oder was auch immer. Ich gehe auch mal davon aus, dass sie mir nach dem Karriereende Dauerkarten schenken, dann kann ich mir die Spiele angucken. (lacht) Wir werden sowieso immer in Dortmund leben, wir haben unser Haus da – und von dort sind die Wege zum Westfalenstadion kurz.