Bochum. Für Schalke und den BVB beginnt die Champions League. Vorher trafen sich die Manager Christian Heidel und Hans-Joachim Watzke zum Doppel-Interview.
Das Ruhrgebiet ist elektrisiert: Die zwei Revierklubs nehmen erstmals seit drei Jahren wieder gemeinsam an der Champions League teil. Anpfiff für beide: Dienstag, 21 Uhr. Schalke 04 spielt zu Hause gegen den FC Porto (aus Portugal), der BVB bei Club Brügge (Belgien).
Beide Begegnungen sind der Auftakt zu einem Millionengeschäft mit sechs Vorrundenspieltagen und drei Gegnern. Nur die zwei Gruppenbesten dürfen im neuen Jahr in die K.o.-Runde einziehen.
Christian Heidel (55) feiert dabei ein Debüt: Der Schalker Sportvorstand, früher bei Mainz 05, arbeitet seit Jahrzehnten in der Bundesliga, erlebt die Champions League aber zum ersten Mal. Anders Hans-Joachim „Aki“ Watzke (59): Der Geschäftsführer stand mit Borussia Dortmund 2013 sogar im Finale.
Auf Einladung dieser Redaktion trafen sich die mächtigen Fußballmanager vorige Woche Freitag zum Doppel-Interview in Bochum.
Die sportlichen Chancen und die Kommerzialisierung in der Champions League, die Übermacht des FC Bayern, das Problem mit dem Nachwuchs, das WM-Aus der Nationalmannschaft und natürlich die Rivalität untereinander – Watzke und Heidel sparten kein Thema aus.
Nur auf eine Frage bekam Watzke keine richtige Antwort: Was Heidel auf Schalke verdient – sein Kontrahent lachte nur. Ohnehin wurde am Tisch des Konferenzraumes Oslo im Hotel Renaissance in Bochum viel gelacht. Die zwei kennen sich ja seit vielen Jahren schon.
Herr Watzke, können Sie dem Kollegen Heidel, der nach 20 Jahren im Profi-Geschäft erstmals mit seinem Verein in die Champions League einzieht, Tipps geben?
Watzke: Zu seiner Ehrenrettung: Mit dem Budget von Mainz 05 war das auch nicht so einfach (lacht).
Heidel: Das stimmt. Also sag’, Aki. wie ist das mit dem feinen Anzug in der Champions League? (lacht)
Watzke: Im Ernst: Wir spielen seit 2010 immer international, davon sieben Mal in der Champions League. Dieser Rhythmus zehrt, das ist schon ein schöner Stress. Christian ist zu clever und zu erfahren, um das nicht auch selbst zu wissen. Aber trotzdem will man das ja haben, und deshalb freuen sich die Schalker zurecht, dabei zu sein.
Wie ist es für Sie, Herr Heidel?
Heidel: Ich merke, dass das eine noch viel größere Nummer als die Europa League ist. Ich spüre die Anspannung, aber nicht negativ, sondern positiv. Ins Stadion zu kommen und die Hymne zu hören – da freue ich mich riesig drauf. Ich bin schon ein emotionaler Typ. Da werde ich sicher Gänsehaut haben, und, glaube ich, in dem Moment auch mal überlegen, was man im Leben so alles angestellt hat.
Das müssen Sie erklären.
Heidel: Ich meine das ganz allgemein. Meine Eltern haben zuletzt Diamantene Hochzeit gefeiert, da haben wir darüber geredet, wie sich alles bei uns in der Familie entwickelt hat. Mein beruflicher Weg war ja nicht prädestiniert, in den Profifußball zu führen. Und wenn man dann da als Verantwortlicher eines Klubs steht und die Hymne hört, ist das schon etwas Besonderes.
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Herr Watzke, waren Sie konsterniert, dass der BVB wieder auf Monaco trifft? Die letzte Begegnung vor anderthalb Jahren wurde von einem Bombenanschlag auf die Mannschaft überschattet.
Watzke: Nein, ich war eher enttäuscht, dass Schalke aus Topf eins Lokomotive Moskau bekam und wir Atlético Madrid (lacht). Wir haben die etwas schwierigere Gruppe. Schalke hat es einfacher.
Heidel: Ich denke nicht, dass die Leute in Istanbul, Moskau und Porto vor Angst vor uns zittern, nach unserem schlechten Bundesligastart noch weniger. Aber umgekehrt ist das eben auch nicht so. Alle Klubs gehen mit der Hoffnung in die Vorrunde, auf Platz eins oder zwei zu landen. Das macht es so schwierig und so spannend.
Der BVB hat sich im vergangenen Jahr international schwer blamiert…
Watzke: Hundertprozentig. Leichte Einschränkung: Richtig blamabel waren vor allem die beiden Unentschieden gegen Nikosia. Dafür hat man keine Argumente, keine Ausreden. Das war der Tiefpunkt.
Haben Sie gelacht oder geweint, Herr Heidel?
Watzke: Ich bin ehrlich: Ich hätte an seiner Stelle geschmunzelt! (lacht)
Heidel: Eine Erfahrung, die ich hier auf Schalke gemacht habe, ist, dass die eigene Stimmungslage durch den Konkurrenten noch einmal potenziert werden kann. Wenn Schalke schlecht spielt und Dortmund gut, ist die Stimmung noch schlechter. Und in Dortmund ist es umgekehrt vermutlich auch so. Wenn man die Zeitung aufschlägt und sieht die Krisenartikel über den eigenen Verein und dann die Jubelartikel des Rivalen… das nervt (lacht). Im letzten Jahr, als wir Zweiter wurden und der BVB „nur“ Vierter, was ja den Ansprüchen nach zu wenig war, war das umgekehrt.
Bereitet es Ihnen, Herr Watzke, körperliche Schmerzen, dass Schalke den BVB bei den Mitgliederzahlen wieder überholt hat?
Heidel: (lacht) Ich glaube, ja.
Watzke: Nein! Wir lagen ziemlich gleichauf, aber durch die gute Saison der Schalker war das absehbar. Wir sollten froh sein, dass das Ruhrgebiet zwei so große und tolle Klubs hat, egal ob nun der eine oder der andere der viertgrößte der Welt ist.
Wie sehr schauen Sie, Herr Watzke, nach Schalke?
Watzke: Es ist richtig, dass sich die Prioritäten bei uns in den vergangenen Jahren etwas verschoben haben. Ich kann mich erinnern, dass wir beim BVB zwischen 2005 und 2010 – was das Interesse für Kontrahenten angeht – auf Schalke fixiert waren, weil sie uns enteilt waren, weil sie die besseren Mannschaften hatten und wir so manche Saison nur gerettet haben, weil wir sie geschlagen haben. Wie 2007. Da haben wir eine Dreckssaison gespielt und den Schalkern die Meisterschaft kaputt gemacht – was in Dortmund gefeiert wurde wie eine eigene Meisterschaft. In diesem Jahrzehnt hatten wir die erfolgreichere Truppe. Wichtig ist, dass wir beiden wissen, dass wir uns nicht nur um den jeweils anderen drehen sollten. Da gibt es noch ein paar andere Ziele.
Sie, Herr Heidel, haben in Mainz ein paar Jahre lang die BVB-Trainer wie Jürgen Klopp und Thomas Tuchel ausgebildet. Das verband Sie beide. Wie viel Platz für Freundschaft lässt die Revier-Rivalität?
Watzke: Für ihn war das in Mainz sicher einfacher. Früher haben wir uns ab und zu zum Essen getroffen. Wenn wir das heute noch machen, dann sagen die auf Schalke: Ist der noch ganz dicht?
Heidel: Die Dortmunder aber umgekehrt vielleicht auch (lacht).
Watzke: Die Dortmunder würden das eventuell nicht so eng sehen, weil ich schon ein paar Tage länger da bin. Aber im Ernst: Unser Verhältnis ist total okay.
Heidel: Aki ist in Ordnung. Wir sind Konkurrenten, keine Frage, das muss so bleiben. Und als ich noch in Mainz war, sind wir auch nicht alle drei Tage essen gegangen und im Sommer zusammen in den Urlaub. Das ist auch entstanden durch die Verbindung und Freundschaft zu Jürgen Klopp, die uns miteinander verband und verbindet. Aber für mich ist das kein Problem, mit Aki Watzke befreundet zu sein. Und trotzdem will ich den BVB unbedingt in jedem Spiel schlagen. Immerhin habe ich noch kein Derby verloren (schmunzelt).
Hat das Freundschaftliche auch sein Ende?
Heidel: Das habe ich ja schon mal erlebt.
Wann?
Heidel: Mit Mainz hatten wir in der letzten Minute den Ausgleich in Dortmund gemacht. Ein Dortmunder Spieler lag aber mit Schmerzen auf dem Boden, was unsere Spieler nicht gesehen hatten. Da ist Aki völlig wütend geworden und hat mich und alle Mainzer angeschnauzt. Eine Stunde später kam er dann aber, um sich zu entschuldigen für seinen Ausbruch.
Watzke: Wir haben am gleichen Abend noch ein Bier zusammen getrunken (lacht). So muss das ja auch sein. Wenn es mal richtig krachen würde zwischen den beiden Klubs, dann würden wir das schnell wieder stabilisiert bekommen. Wir pflegen ein Vertrauensverhältnis, das auch dem Miteinander der Klubs zugute kommt. Das Verhältnis zu Schalke ist so entspannt, wie ich es noch nie erlebt habe.
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Mehr als 1997, als beide Klubs die Europapokale gewannen?
Watzke: Das war eine Momentaufnahme, der Besonderheit des Augenblicks geschuldet. Dazwischen war es aber eher ruppig. Aber wann haben wir in den vergangenen zwei Jahren mal einen Disput gehabt?
Letzte Woche, als Christian Heidel in einem Interview zur 50+1-Debatte meinte, Borussia Dortmund sei ja schon verkauft.
Watzke: Schöner Einwurf (lacht). Aber auch das war kein Disput. Da bin ich ja gar nicht drauf eingegangen.
Heidel: Ich habe nur erklären wollen, dass die Argumentation des börsennotierten BVB in der Debatte eine andere sein wird und muss als die von Schalke. Denn das sind ja zwei völlig verschiedene Konstrukte.
Watzke: Als der Satz in der Welt war und mich alle Zeitungshäuser der Republik angerufen haben, habe ich auch gedacht: Oh, er hat keinen Punkt und versucht, davon abzulenken (lacht).
Heidel (lacht)
Watzke: Nur kurz zur Aufklärung, denn ich verstehe ja, dass man sich von außen nicht intensiv mit unserem Konstrukt auseinandersetzt: Was bei Schalke der eingetragene Verein ist, ist beim BVB die Geschäftsführungs-GmbH. Die gehört dem Verein, und zwar zu 100 Prozent. Ich bin Angestellter der Geschäftsführungs-GmbH. Das heißt: Auch wenn alle Aktionäre dieser Welt sich zusammenschließen und sagen, der Watzke muss weg, dann werde ich immer noch da sein und die Entscheidungen treffen. Das ist eine Form von Sicherheit. Vielleicht geht Schalke irgendwann auch in der Konstellation an die Börse. Dann müssen sie zwei Dinge wissen. Erstens: Man sollte Dividende zahlen, jedes Jahr zahlen wir fünf bis sechs Millionen Euro. Und zweitens: Es gehört viel Zahlen-Transparenz dazu. Aber das wäre gut: Dann kriege ich endlich mal raus, ob der Christian – wie man sich überall erzählt – wirklich mehr verdient als ich (lacht).
Heidel (lacht)
Stichwort „Verdienen“. Dortmund und Schalke sind Volksvereine, die nicht nur in der Champions League dem Kommerz verpflichtet sind. Wie schwer ist der Spagat?
Heidel: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Es ist einfach zu sagen: Wir wollen das alles nicht. Das wäre aber populistisch, wenn wir gleichzeitig sagen: Wir brauchen mehr Geld. Wir müssen acht geben, dass wir einen goldenen Mittelweg finden. Vielleicht ist das eine oder andere aber derzeit übertrieben.
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Wie wäre ein Champions-League-Finale in New York? Würden Sie dort antreten, Herr Watzke?
Watzke: Würden Sie nicht antreten und dem Gegner den Sieg überlassen?
Vermutlich nicht. Aber eine Meinung zu diesen Gedankenspielen haben Sie ja vielleicht.
Watzke: Ich könnte mir vorstellen, dass es solche Dinge irgendwann mal geben wird. Ob es kommt, weiß ich nicht. Ich bin kein Anhänger davon, dass die Bundesliga in einem anderen Land ihre Spiele austrägt. Diese Meinung werde ich immer vertreten! Ebenso bin ich kein Freund davon, dass die Champions League der europäischen Vereine in New York ausgespielt wird.
Die spanische Liga verlegt jetzt ein Punktspiel nach Miami.
Heidel: Das Lustigste daran ist die Begründung. Sie haben nicht gesagt, dass sie Geld verdienen wollen, sondern dass sie den Fußball in Amerika populärer machen wollen. Wäre das unsere originäre Aufgabe, wären wir auf einem völlig falschen Dampfer. Das würde hier keiner mehr verstehen. Die Bundesliga und der Fußball vor der Tür, daraus ziehen wir die Kraft. Die Atmosphäre, wie sie in Deutschland ist, gibt es in keinem anderen Land. Dortmund und Schalke fahren mit 10 000 Fans auf Auswärtsfahrt. Um dieses Gefühl geht es doch: Schal ans Autofenster klemmen und losfahren. Im Flugzeug nach New York ist das schwer. Das wäre für mich ein Schritt, mit dem wir den Fußball und die Basis langsam kaputt machen.
Watzke: Ich glaube, in Deutschland sind wir auf dem richtigen Weg. Wir fahren ja im Sommer nach Asien und Amerika, und wir müssen uns auch im Ausland präsentieren. Aber wir müssen nicht unsere Meisterschaftsspiele hergeben.
Zurück zum Europapokal: Eine derart desaströse Saison wie die letzte können sich die deutschen Vereine schwerlich leisten, weil man im internationalen Vergleich Punkte verliert. Sind Sie optimistisch?
Watzke: Das war eine Momentaufnahme. Dieses Jahr wird erfolgreicher, hundertprozentig. Das letzte Jahr war aus zwei Gründen katastrophal. Erstens, weil wir als Borussia Dortmund versagt haben. Wenn wir die Punkte geholt hätten, die wir sonst immer geholt haben, wäre es nur halb so schlimm gewesen. Und zweitens, weil die klassischen Europa-League-Starter der vergangenen Jahre – Leverkusen, Schalke, Gladbach – sich frei genommen hatten und Klubs reinkamen, die der Sache nicht gewachsen waren. Mit den jetzigen Startern in der Champions League und der Europa League sieht das schon anders aus. Gerade Leverkusen und Leipzig traue ich in der Europa League einiges zu.
Heidel: Ich denke auch nicht, dass wir kurz vor dem Untergang des deutschen Fußballs stehen – selbst wenn auch die WM schlecht war.
Christian Seifert, der Geschäftsführer der Fußball-Liga, sieht das weniger entspannt und sagte das beim Neujahrsempfang deutlich.
Heidel: Dass er ab und zu mal den Finger in die Wunde legen muss, ist klar. Seifert kann ja nicht sagen, dass das alles prima war.
Watzke: Es wäre aber besser gewesen, die Kritik intern zu formulieren. Meine Meinung.
Heidel: Ich sehe das Aus bei der WM auch nicht so dramatisch, wie es dargestellt wird. Das ist allen passiert.
Watzke: Uns aber bis dahin noch nicht.
Heidel: Wir haben geglaubt, das kann uns nicht passieren. Der Jogi Löw hätte ja alle Weltmeister zu Hause lassen können. Die Resonanz hätte ich gern gehört. Den Beweis, dass es mit der tatsächlich nominierten Mannschaft schief geht, hätte er dann nicht führen können. Aber um auf die Champions League zurück zu kommen: Ich kann mich jetzt nicht hinstellen und sagen: Dieses Jahr wird alles besser, weil Schalke wieder mit dabei ist – und dann verlieren wir am Dienstag. Aber die Hoffnung ist auch bei mir groß, dass sich der deutsche Fußball wieder besser präsentiert.
Ist man als deutscher Vertreter schon abgehängt, bevor es losgeht? Mal abgesehen von Bayern München.
Watzke: Es bringt nichts, sich von Stimmungen leiten zu lassen. 2013 waren wir im Endspiel. Vor anderthalb Jahren standen wir gegen die AS Monaco im Viertelfinale – und hatten nicht das Gefühl, chancenlos zu sein. Das Attentat hat dann alles verändert. Wir müssen uns als deutscher Fußball nicht verstecken. Was allerdings stimmt: Im Nachwuchsbereich müssen wir uns in Deutschland besser aufstellen.
Was heißt das genau?
Watzke: Es geht nicht nur darum, mit den Jugendmannschaften Titel zu gewinnen wie wir in den vergangenen Jahren immer, sondern vor allem darum, Spieler in die Profimannschaft zu bringen. Schalke hat das ein paar Jahre lang vorgemacht. Das wird immer schwerer, je höher das Niveau ist. Aber das muss das Ziel sein.
Der FC Schalke hat diese Spieler – Sané, Neuer, Kehrer, Kolasinac, Draxler – aber abgeben müssen.
Heidel: Wenn man Ausnahmetalente hat, muss man sich darüber im Klaren sein, dass die nicht ihr ganzes Leben in Schalke oder Dortmund zubringen. Ich mache mir da nichts vor. Der Traum aller Schalker ist, dass einer in der U12 anfängt, über die U19 zu den Profis kommt und irgendwann sein Abschiedsspiel macht. Das gibt es aber nirgendwo mehr. Die Branche hat sich verändert. Die Spieler bleiben heutzutage meistens drei, vier Jahre in einem Verein. Solange es Vereine gibt, die über deutlich größere finanzielle Mittel verfügen als der FC Schalke – und ich fürchte das wird noch eine ganze Zeit so sein –, werden uns gute Spieler verlassen. Und um ehrlich zu sein: Auch wir haben ein Problem im Nachwuchsbereich.
Welches konkret?
Heidel: Ein Spieler wie Weston McKennie ist ja kein Talent der Knappenschmiede. Den haben wir als A-Jugendlichen verpflichtet, und er ist ein Jahr lang ausgebildet worden für die Bundesliga. Aber die Talente aus der Umgebung haben wir derzeit auch nicht in dem erforderlichen Maße. Wir müssen daher investieren in U14, U15, in Trainer, in Arbeitsbedingungen. Diesen Prozess haben wir angestoßen, aber er wird Jahre dauern.
Watzke: Spieler aus der Region sind der Idealfall. Wir haben Christian Pulisic geholt, als er 15 war. Da kann man schon noch davon sprechen, dass wir ihn ausgebildet haben. Aber trotzdem ist er nicht in der Region verwurzelt. Mit Marco Reus haben wir noch einmal so einen Fall, einen Spieler, der in Dortmund geboren wurde und in der Jugend schon da war. Dem hätten ein paar Türen offen gestanden, durch die er nicht gegangen ist, weil das hier seine Heimat ist.
Zeigt sich im Nachwuchsbereich auch ein strukturelles und gesellschaftliches Problem? Eines, das von Bequemlichkeit erzählt, weil die Kinder ohnehin schon fast alles haben und in den Nachwuchsleistungszentren auch noch alles hinterhergetragen bekommen?
Watzke: Der soziale Aufstieg über den Fußball ist heute nicht mehr so krass wie früher möglich. Wer aus einer normalen deutschen Familie kommt, dem geht es in der Regel schon ganz gut. Ich kann mich erinnern: Als ich acht, neun oder zehn Jahre alt war, haben wir den ganzen Tag Fußball gespielt. Und wenn der eine, dem der Ball gehörte – und es gab nur einen –, nach Hause ging, dann war Schluss. Dann hast du 20 Minuten mit dem verhandelt, ob er nicht wenigstens den Ball da lässt. Aber das war aussichtslos, der wäre ja auch schön blöd gewesen. Heute? Kommt jeder mit zwei Bällen unter dem Arm – wenn sie überhaupt auf dem Platz spielen und nicht an der Konsole. Es ist natürlich ein Sättigungseffekt da.
Heidel: Daran sind wir aber auch schuld. Jeder will sein Nachwuchsleistungszentrum noch perfekter machen, in dem von morgens bis abends alles durchorganisiert ist. Wir müssen ein bisschen darauf achten, dass man die Kinder und Jugendlichen weiterhin zu Selbstständigkeit erzieht. Wenn unser Pass damals abgelaufen war, dann sind wir in die Stadt gelaufen und haben das geregelt. Heute wird schon den Jugendlichen alles abgenommen. Das ist eine Gefahr. Aber ehrlicherweise: Wenn alle erfolgreicher gewesen wären, würden wir darüber jetzt auch nicht reden.
Wie erfolgreich werden denn Borussia Dortmund und Schalke 04 in diesem Jahr sein? Warum fällt die Kampfansage an die Bayern immer komplett aus?
Heidel: Weil man dadurch kein Spiel gewinnt und wir nach unserem Start sicher nicht in dieser Position sind.
Watzke: Wir sind 2011 Meister geworden, ohne eine Kampfansage an den FC Bayern. Das ist der einzige Weg. Bayern ist wirtschaftlich zu weit weg, um einen Konkurrenzkampf auf Augenhöhe ausrufen zu können. Wenn du es schon vorher beschreist, haben die Bayern alle Warnsysteme hochgefahren. Und du musst sie erwischen, wenn sie sie gerade alle runtergefahren haben.
Heidel: Mir hat noch keiner erklärt, dass man durch eine Kampfansage erfolgreicher wird. Julian Nagelsmann wurde von manchen Medien fast glorifiziert, weil er gesagt hat, dass er Meister werden will. Meister wird Hoffenheim deswegen aber auch nicht. Ich bin sicher, dass die durch die Aussage auch keinen Punkt mehr holen. Viel größer ist die Gefahr, dass man diesen Satz später um die Ohren gehauen bekommt.
Watzke: Diese Rolle liegt auch den Menschen im Ruhrgebiet nicht. Die Menschen hier sind keine Lautsprecher. Mein Vater kommt aus Bochum aus einer alten Bergarbeiter-Familie. Bochum-Hamme, Zeche Carolinenglück. Die Menschen hier sind geerdet, realistisch. Und deswegen nehmen wir eine andere Rolle auch nicht ein, selbst wenn wir es sportlich könnten.