Dortmund. . Durch die 1:3-Niederlage gegen den Rekordmeister verliert Borussia Dortmund den Kontakt zur Spitze. Schlimmer noch: Kurz vor dem Derby ist man sogar punktgleich mit Schalke 04 – und weiter außer Form.

Wie fast immer zuletzt griffen die sogenannten Automatismen: Die Spieler von Borussia Dortmund traten vor die Südtribüne und bedankten sich für die Unterstützung, dort versammelte Fans besangen sich und ihre Vereinstreue, später traten Trainer und Sportdirektor vor die Journalisten und zählten ihre Spieler an. Denn während des Spiels waren funktionierende Automatismen nur selten zu sehen, weshalb das Bundesliga-Spitzenspiel gegen den in der Abwehr keinesfalls überragenden FC Bayern München 1:3 (0:2) verloren ging.

„Heute waren wir keine Spitzenmannschaft“, urteilte Trainer Peter Bosz. „Wir sind mehrheitlich hinterhergelaufen“, kritisierte Sportdirektor Michael Zorc. „Wir haben keinen Zugriff gefunden, weil wir immer zu weit weg von den Gegnern waren.“ Kurioserweise aber hatte der BVB trotz aller Unterlegenheit gute Gelegenheiten, die Partie deutlich ausgeglichener zu gestalten. „Die Chancen dafür waren da“, sagt der frühere BVB-Kapitän Sebastian Kehl im Gespräch mit dieser Zeitung. „Insgesamt aber hat der FC Bayern absolut verdient gewonnen, nicht zuletzt, weil sie deutlich effektiver und souveräner waren.“

Zu viele individuelle Fehler

Und weil sie in den brenzligen Situationen konzentrierter verteidigten. „Der BVB hat bei den Gegentoren unnötige Fehler gemacht, gerade in der ersten Halbzeit nicht gut und aggressiv genug verteidigt“, sagt Kehl. „Man war oftmals zu weit von den Gegenspielern entfernt. Das kann man den Bayern so nicht anbieten, sie haben dies eiskalt genutzt.“

Nur zwei Spieler wollte Zorc ausnehmen aus seiner Generalkritik: Torhüter Roman Bürki, der mit einigen guten Paraden eine höhere Niederlage verhinderte. Und Christian Pulisic, der mit seinen Dribblings permanent für Gefahr sorgte, mehrere Torchancen und auch den Treffer zum 1:3 von Marc Bartra (88.) einleitete. „Der hat den Mut auf dem Platz gehabt, den ich mir mehr erhofft hätte bei dem Spiel“, so Zorc.

Dass es ein 19-Jähriger war, der als einziger die richtige Einstellung fand, vertieft die Sorgenfalten in Dortmund. Denn es war eine Mannschaft aus gestandenen Spielern, die sie gegen die Bayern ins Spiel geschickt hatten, das Durchschnittsalter der Startelf betrug 27,1 Jahre. Bei den Bayern waren es 26,8 Jahre.

Doch zu viele der erfahrenen Spieler sind derzeit zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Ömer Toprak etwa, im Sommer für zwölf Millionen Euro als Abwehrstabilisator von Bayer Leverkusen geholt, patzte bei allen drei Gegentoren und bestätigte den schwachen Eindruck, den er bisher in Dortmund macht. Abwehrchef Sokratis war ebenfalls weit entfernt von der Stabilität früherer Tage und musste zu allem Überfluss kurz vor der Halbzeitpause verletzt ausgewechselt werden.

„Wir haben bei den Gegentoren schlecht verteidigt, wir waren jeweils nicht konsequent und scharf in den Zweikämpfen“, kritisierte Zorc. So fielen die Treffer durch Arjen Robben (17.), Robert Lewandowski (37.) und David Alaba (67.) fast zwangsläufig.

Es krankt in allen Mannschaftsteilen

Was ihnen fehlte, konnten die Dortmunder auf der Gegenseite beobachten, wo der frühere BVB-Spieler Mats Hummels Souveränität und Selbstsicherheit ausstrahlte und das Spiel seiner Mannschaft mit präzisen Steilpässen ankurbelte.

Doch auch in anderen Mannschaftsteilen krankt es: Julian Weigl war im Mittelfeld die fehlende Spielpraxis anzumerken. Andrey Yarmolenko vergab beste Gelegenheiten, ebenso wie Pierre-Emerick Aubameyang – der zudem abermals kaum am Spiel beteiligt war.

Die Konsequenz: Der BVB schlittert nach fulminantem Saisonstart immer tiefer in die Krise, der Rückstand auf die Bayern ist auf sechs Punkte angewachsen. Schlimmer noch: RB Leipzig ist vorbeigezogen, vom viertplatzierten FC Schalke 04 trennt Schwarz-Gelb nur die bessere Tordifferenz. Und schon das zweite Spiel nach der nun anstehenden Länderspielpause ist das Derby gegen die Königsblauen, die derzeit im Aufwind sind (siehe Seite 3).

Eine ähnliche Schwächephase erlebte der BVB zuletzt in der Saison 2014/15, als er sogar bis auf Platz 18 abrutschte. Das sei zwar mit der aktuellen Situation „nicht vergleichbar“, sagt Kehl, der damals dabei war. „ Trotzdem spielt das Selbstvertrauen auch jetzt eine große Rolle. Und man sieht der Mannschaft an, dass sie momentan verunsichert ist. Sie kann sich nur gemeinsam selbst daraus befreien, das nötige Glück muss sie sich nun wieder hart erarbeiten.“

30 Punkte bis zur Winterpause

Dabei ist vor allem Bosz gefragt, der es gegen Bayern erstmals mit einer vorsichtigeren Variante versuchte und einen zusätzlichen defensiven Mittelfeldspieler installierte – ohne Erfolg. „Wir haben uns vorgenommen, kompakt zu stehen“, erklärte er. „Das haben wir nicht geschafft.“

Noch bleibt man im Verein ruhig, die Bosse wissen, „dass ein Trainerwechsel und eine neue Philosophie, die damit einhergeht, immer eine gewisse Zeit braucht“, wie es Kehl formuliert. Aber sollte das Saisonziel Nummer eins, die Qualifikation für die Champions League, in Gefahr geraten, wird man auch beim BVB nervös werden. 30 Punkte sollen es bis zur Winterpause sein, so lautet die interne Vorgabe. Zehn fehlen also – bei nun noch sechs ausstehenden Spielen.