Dortmund. Thomas Tuchel war zu ungemütlich und musste den BVB verlassen. Sein Nachfolger Peter Bosz gilt in seiner Heimat jedoch ebenfalls als Hardliner. Passt das mit ihm und Dortmund? Der holländische Kult-Stürmer und Ex-Borusse Harry Decheiver gibt seine Einschätzung dazu ab.
- Thomas Tuchel war zu ungemütlich und musste den BVB verlassen
- Sein Nachfolger Peter Bosz gilt in seiner Heimat jedoch ebenfalls als Hardliner
- Ex-Borusse Harry Decheiver gibt seine Einschätzung dazu ab
Seine Tore waren oft trocken und humorlos. Ganz anders meldet sich Harry Decheiver am Telefon. Das locker lässige "met Harry!" zur Begrüßung hat er nach wie vor nicht abgelegt.
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Decheiver machte sich als erster Bundesliga-Stürmer, den man "Knipser", nannte einen Namen Mitte der Neunziger. Zwei Jahre überzeugte er im Trikot des SC Freiburg, wenig später landete er beim BVB. Auch weil er nach dem Ende der Karriere eine Videothek betrieb, wurde er zum Kult. Schluss war für den Niederländer allerdings bereits mit 28. Hüftprobleme machten ihn zum Frührentner. Kurz zuvor hatte der Mann mit der Mähne mit Borussia Dortmund die einzige Trophäe seiner Laufbahn in die Höhe gestemmt: Den Weltpokal.
Titel soll möglichst auch der neue Coach der Schwarz-Gelben gewinnen. In der abgelaufenen Saison stand der inzwischen 47-Jährige Decheiver als Assistenztrainer seines Heimatverein Go Ahead Eagles an der Seitenlinie und hatte es in Hollands höchster Spielklasse auch mit Peter Bosz zu tun, der in dieser Saison das Erbe von Thomas Tuchel bei Borussia Dortmund antritt. Ob das passen könnte zwischen der Borussia und dem Hardliner Bosz? Decheiver gibt seine Einschätzung dazu ab.
Herr Decheiver: Was ist ihr erster Gedanke, wenn der Name Peter Bosz fällt?
Harry Decheiver: Die Vereine, bei denen ich angestellt war und die Peter Bosz als Trainer hatten, spielten stets ein Fußball mit wiedererkennbarer Handschrift. Seiner Handschrift. Einer ganz klaren Linie.
Bosz gilt als taktischer Hardliner, der seine Vision konsequent durchzieht.
Decheiver: Er möchte extrem offensiven Fußball spielen. Egal welchen Club er trainiert hat, genau das hat er dort umgesetzt. Egal ob bei vergleichsweise kleineren Vereinen, Underdogs oder eben einem großen Traditionsverein wie Ajax.
Hat Borussia Dortmund mit Bosz die richtige Wahl getroffen?
Decheiver: Das weiß man nie. Er hat gezeigt, dass er seine Spielphilosophie überall umsetzen kann. Egal, wie die Mittel waren. Dabei ist man für Offensivfußball noch abhängiger von der Qualität eines Kaders. Die ist in Dortmund absolut vorhanden. Im Normalfall müsste das passen zwischen Bosz und dem BVB.
Derzeit ohne Verein ist Thomas Tuchel. Die Scheidung zwischen ihm und Borussia Dortmund verlief äußerst unschön.
Decheiver: Was nun wirklich alles im Detail vorgefallen ist, wissen nur die Beteiligten. Einiges ist in den Medien gelandet. Mich hat es überrascht, dass sich diese internen Probleme so entwickelt haben. Letztendlich hat Tuchel sportlich aber hervorragende Arbeit abgeliefert.
Nachdem Dortmund Bosz verpflichtete, wurde bekannt, dass es auch in Amsterdam erhebliche Dissonanzen zwischen Vereinsführung und dem Cheftrainer gab. Ist Bosz ein Ungemütlicher?
Decheiver: Das glaube ich gar nicht so sehr. Die Taktung der Medien ist hoch, auch in Sozialen Netzwerken wird so schnell ein Bild kreiert. Früher war es besser möglich, mit jemanden produktiv zusammenzuarbeiten, mit dem man vielleicht nicht auf einer Linie ist. Man konnte - im wahrsten Sinne des Wortes - in Ruhe arbeiten. Wenn man täglich den Journalisten Kommentare abgeben muss, landet alles Mögliche unter dem Vergrößerungsglas. Alles muss erklärt werden. Ich glaube nicht, dass die Probleme zwischen Bosz und der Ajax-Führung größer waren, als sie bei anderen Clubs der Fall sind.
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Diese Nebenkriegsschauplätze hinderten weder Tuchel in Dortmund, noch Bosz bei Ajax sportlich abzuliefern.
Decheiver: Weniger die Reibereien zwischen den Ajax-Verantwortlichen, sondern viel mehr diese große Gelegenheit bei Dortmund war Bosz’ Bewegggrund, Amsterdam zu verlassen. Unbestritten ist Ajax einer dieser besonderen Traditionsvereine. Dortmund ist aber inzwischen die größere Hausnummer. Vor allem aber ist die Bundesliga eine viel größere Adresse als die niederländische Eredivisie. Unterm Strich ist dieser Wechsel auf allen Ebenen eine Verbesserung, sicher auch finanziell.
Ihre Begegnungen mit Peter Bosz...
Decheiver: ...fanden vor allem auf dem Fußballrasen statt. Früher wir oft gegeneinander gespielt. Wir stammen ja quasi aus ein- und derselben Generation. Nach wie vor halten wir an, grüßen, reden kurz, wenn wir uns begegnen.
Es hat Monate gedauert, bis Ajax Bosz’ krasse Konzepte erfolgreich adaptiert hatte. Trotz bedrohlicher Ergebnis-Flaute hielt er konsequent an seiner Linie fest. Muss man in Dortmund möglicherweise auch erst geduldig mit dem sturen Niederländer sein?
Decheiver: Wenn man als neuer Trainer einen anderen Spielstil implementieren will, muss jeder im Verein akzeptieren, dass das Zeit kostet. Mich würde es nicht überraschen, wenn Dortmund gerade zu Beginn häufig eine „Aufstehen-und-Mund-abputzen-„Mentalität an den Tag legen muss.
Sie als Niederländer und Ex-Borusse: Glauben sie, dass das passt mit Bosz und dem BVB?
Decheiver: Ich denke, dass Bosz’ sehr extremes Pressing und Gegenpressing prima zum BVB passen könnte. In Dortmund hat man zudem ein Publikum, dass sich absolut für diesen intensiven Fußball begeistern kann - und dahinterstehen würde. Bosz und BVB? Das könnte funktionieren.
Hätten Dortmund eine bessere Wahl treffen können diesen Sommer?
Decheiver: Nein. Ich denke, das ist eine fantastische Wahl. Er hat bei Ajax sehr gute Arbeit geleistet und ist reif für den nächsten Schritt. Aber auch wird lernen müssen, sich anzupassen. Das Niveau in der Bundesliga liegt eine Etage höher als in der Eredivisie. Ich denke, diese Aufgabe passt zu Peter Bosz.
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Wie intensiv verfolgen sie noch ihren Ex-Club Borussia Dortmund, mit dem sie 1997 den Weltpokal gewannen?
Decheiver: Ich verfolge die Bundesliga, als Gesamtwettbewerb - vor allem dann, wenn der SC Freiburg im Oberhaus vertreten ist. Da niemand, den ich persönlich richtig gut kenne, gerade irgendwo tätig ist, konzentriere ich mich nicht primär auf einzelne Vereine. In den Niederlanden kann man alle deutschen Spiele empfangen, wenn man will. Ich schaue mir regelmäßig Bundesligaspiele an, die Liga weckt mehr mein Interesse als es andere Länder tun.
Der SC Freiburg hat dennoch eine Sonderstellung bei Ihnen, wie es klingt.
Decheiver: Ja, Freiburg ist in Deutschland sozusagen mein Club. Der, der mir mehr am Herzen liegt.
Und welcher Aufgabe widmet sich Harry Decheiver nach der Sommerpause?
Decheiver: Höchstwahrscheinlich werde ich in die Vereinigten Arabischen Emirate gehen. Bei Al-Jazeera kann ich als Assistenztrainer von Henk ten Cate loslegen.