Bad Ragaz/St. Gallen. Der BVB beendet sein Trainingslager in Bad Ragaz. Die Testspiele waren vielversprechend - doch Trainer Tuchel stehen harte Entscheidungen bevor.
Vier? Wirklich vier? Thomas Tuchel stutzt, als er das im Stadion von St. Gallen jemanden sagen hört. Und er wäre nicht Thomas Tuchel, wenn er nicht kontrollierte, was er auch nur im geringsten in Zweifel zieht. Also rechnet er die Wochen laut nach, in denen er nun schon mit den Fußballern von Borussia Dortmund an der Zukunft feilt. Er kommt auf vier - und lacht.
Des Trainers Laune ist bestens nach dem 2:0-Sieg gegen den italienischen Champions-League-Finalisten Juventus Turin zum Abschluss des Trainingslagers in Bad Ragaz. Schon in drei Tagen steht das erste Pflichtspiel an: Europa-League-Qualifikation gegen den Wolfsberger AC. Und wie ist der BVB nach vier Wochen Vorbereitung und einer Woche in der Schweiz in Schuss? Antworten? Erkenntnisse? Stehen hier.
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Die Innenverteidigung
In den ersten Testspielen beorderte Tuchel Abwehrchef Mats Hummels von der gewohnten linken auf die rechte Innenverteidigerseite. Doch diese Testreihe scheint wieder vorbei zu sein. "Für Mats ist das kein Hexenwerk", wiegelt Tuchel ab, der die Pärchen im Zentrum aber eifrig tauschte. "Wir haben ganz bewusst mal durchgemischt und jeden mit jedem spielen lassen, damit nicht das Gefühl aufkommt, dass wir uns zu früh festgelegt hätten. Das werden wir bis zum Punktspielstart auch so beibehallten." Hummels hat seinen Platz sicher, neben ihm scheint derzeit Sokratis die größte Reputation zu genießen.
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Die Balance
In den vergangenen zwei Spielzeiten scheiterte die Borussia daran, die Defensive in den Griff zu bekommen. Einfachste Gegentore, für die sich der Gegner kaum anstrengen musste, erschwerten Schwarz-Gelb immer wieder das Leben. In diesem Bereich ist zumindest in den vergangenen Testspielen eine deutliche Steigerung zu erkennen, auch weil Tuchel zuletzt intensiv üben ließ, wie und wo der Ball erobert werden soll. Noch gegen Bochum (1:2) vor zehn Tagen sah vieles nach dem alten BVB aus: viele Chancen vergeben, einfache Tore zugelassen. Gegen Luzern und Juventus Turin allerdings war der Fortschritt unübersehbar. "Wir haben die Reihen eng gehalten und die entscheidenden kleinen Wege schon gemacht, bevor die Gefahr entstand", lobte Tuchel.
Das System
In den jüngsten zwei Testspielen im Trainingslager schickte Tuchel nach vielen taktischen Experimenten zu Beginn der Vorbereitung die Mannschaft im Wohlfühlsystem auf den Platz: zwei zentrale Mittelfeldspieler vor einer Viererabwehrkette, davor drei offensive Männer hinter einer Spitze. 4-2-3-1, das System von Tuchels Vorgänger Jürgen Klopp. Dass sich die Mannschaft darin derzeit noch am wohlsten fühlt, bezeichnet Tuchel als "völlig normal, weil sie das schon länger gespielt hat. Ich bin ja nicht hier, um krampfhaft etwas zu ändern." Grundsätzlich aber schwebt ihm eine taktische Variabilität vor, aber kurzfristiger Erfolg kommt in diesem Jahr vor langfristiger Planung. "Was mir vorschwebt ist nicht entscheidend. Wir dürfen uns nicht verleiten lassen von einer Idee, die theoretisch gut ist, wenn wir nicht bereit sein sollten, das zu spielen."
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Der Plan
Unabhängig vom System soll der Dortmunder Fußball aktiv sein. Gegen den FC Luzern und vor allem gegen Juventus Turin gelang es dem BVB auf erstaunliche Weise, gefährliche Räume selbst gegen einen sehr kompakten Gegner zu erschließen und Chancen zu kreieren. Der Ball zirkulierte schnell und zielsicher. Ein erster Erfolg von Tuchels Arbeit. "Er hat bei den einfachen Sachen angefangen: Mit welchem Fuß nehme ich den Ball mit, mit welchem Fuß spiele ich den Pass in welchen Fuß meines Mitspielers? Das sind Details, die klein erscheinen, die unser Spiel aber ein bisschen schneller machen können", sagt Stratege Ilkay Gündogan. Tuchel fordert den Mut, nach vorne gerichtet zu agieren. Und geht der Ball in der Nähe des gegnerischen Tores verloren, beginnt die Jagd nach dem Ball, um gegen einen ungeordneten Gegner zuzuschlagen - wie schon unter Klopp.
Die Härtefälle
Die wird es vor allem im Mittelfeld geben. Denn nirgendwo ist das Angebot so reichhaltig wie dort. Ilkay Gündogan und Marco Reus sind feste Größen, Henrikh Mkhitaryan überzeugte bislang ebenfalls. Um die wohl zwei verbleibenden Plätze neben ihnen streiten sich bald die derzeit noch nicht ganz belastbaren Jakub Blaszczykowski, Kevin Großkreutz und Nuri Sahin sowie Gonzalo Castro, Shinji Kagawa, Sven Bender, Jonas Hofmann, Kevin Kampl, Moritz Leitner und der mit seiner Unbekümmertheit bestechende Julian Weigl. Renommierte Profis werden auf der Bank sitzen, das steht jetzt schon fest. "Es wird harte Entscheidungen geben", schwant Tuchel. Allerdings: Bis zum Winter könnte der BVB 30 Spiele zu absolvieren haben. Pausen und Einsatzzeiten lassen sich so gut verteilen.
Die Psychologie
"Wir fahren jetzt mit einem guten Gefühl nach Hause", sagte Tuchel nach dem Sieg gegen Juventus, mit dem seine Mannschaft "aus einer guten Woche eine Top-Woche gemacht" habe. In der Tat war bei diesem Spiel - und auch auch schon beim Spiel in Luzern - sehr viel von dem zu sehen, was der Trainer auf den Lehrplan für das Trainingslager gesetzt hatte. Siege untermauern das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.
"Man hofft immer, dass man so eine psychologische Verstärkung bekommt. Das kann man nicht trainieren, das kann man niemandem reinreden, die Spieler müssen fühlen, dass die Dinge greifen", erklärt Tuchel, "und wenn sie dafür auch noch so ein Ergebnis bekommen gegen einen solch großen Gegner, dann hilft das mehr als alles andere." Am Ende des Ausflugs in die Schweizer Berge scheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass sich die Borussia zukünftig wieder in der Nähe des Gipfels aufhalten könnte.