Warschau. . Bundestrainer Joachim Löw reist als Weltmeister wieder an den Ort zurück, wo aus „Super-Jogi“ der „Depp der Nation“ wurde. Im EM-Qualifikationsspiel gegen Polen will er die weiße Weste des DFB sauber halten - noch nie verlor Deutschland gegen den Nachbarn.
Polens Hauptstadt Warschau zeigte sich am Freitagmittag von ihrer schönsten Seite, als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft pünktlich um 12.25 Uhr auf dem Flughafen Chopin landete. Blauer Himmel, Sonne und sommerliche Temperaturen um die 22 Grad - und das im Oktober. Es hatte fast den Anschein, als ob sich Polens malerische Millionenmetropole an der Weichsel vor dem EM-Qualifikationsspiel an diesem Samstag im Nationalstadion Kazimierz Gorski (20.45 Uhr / LIVE bei uns im Ticker) auf charmante Art und Weise beim DFB für etwas entschuldigen wollte, das gut zwei Jahre zurück lag und doch vor einer gefühlten Ewigkeit gewesen sein muss.
„Ach, daran habe ich eigentlich gar nicht mehr gedacht“, beantwortete Bundestrainer Joachim Löw zunächst etwas ausweichend die Frage nach seinen Gedanken an die Rückkehr in das Stadion, in dem Deutschland vor knapp 28 Monaten die wahrscheinlich bitterste Niederlage seiner gesamten Amtszeit hatte erleben müssen. Mit 1:2 hatte die DFB-Auswahl am 28. Juni das EM-Halbfinale 2012 gegen Italien verloren.
Und trotz der dritten Halbfinalteilnahme in Folge bei einem großen Turnier, da war sich ganz Deutschland später einig, war es Löws Tiefpunkt als Nationaltrainer. „Selbstverständlich war die Niederlage damals sehr enttäuschend. Ich muss auch zugeben, dass diese Niederlage Nachwirkungen hatte. Man darf ein Halbfinale verlieren, aber die Art und Weise, wie wir dieses Spiel verloren haben, war frustrierend“, gab dann auch Löw im luxuriösen Mannschaftshotel Westin mitten im Stadtzentrum zu, um aber umgehend positiv nach vorne und sogar ein bisschen zurück zu schauen: „Im Nachhinein kann man auch aus solchen Niederlagen Energie und Kraft ziehen. Vielleicht haben wir sogar in Brasilien von den Nachwirkungen dieser bitteren Niederlage profitiert.“
Halbfinalpleite ist so gut wie vergessen
Tatsächlich erinnert 480 Tage nach der traumatischen Pleite von Warschau, die binnen 90 Minuten aus „Super-Jogi“ („Bild“-Zeitung) den Depp der Nation machte, nur noch wenig bis gar nichts an das frustrierende Erlebnis. Löw, dem damals taktische Fehlentscheidungen vorgeworfen wurden und der auch selbst Fehler zugab, wird nach dem Triumph in Rio de Janeiro längst wieder als „Super-Jogi“ gefeiert. Und aus der Anfangself, die vor zwei Jahren gegen die Squadra Azzurra auflief, dürften am Samstag mit Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels, Toni Kroos und Lukas Podolski gerade mal fünf Nationalspieler übrig bleiben, die nun gegen Polen starten sollen.
Doch mehr als die personelle Besetzung scheint sich das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein der Deutschen mit dem anschließenden WM-Titel gewan-delt zu haben. „Natürlich hat die Niederlage lange an uns genagt“, sagte DFB-Manager Oliver Bierhoff, „aber den Ballast haben wir abgeworfen, als wir Weltmeister geworden sind.“
Den Fehler, als Weltmeister Gastgeber Polen zu unterschätzen, will allerdings niemand aus dem deutschen Lager ernsthaft riskieren. Insbesondere nicht, weil die beiden Duelle gegen Polen und Irland (Dienstag, 20.45 Uhr in Gelsenkirchen) als Schlüsselspiele in der Qualifikationsrunde für die Europameisterschaft 2016 in Frankreich gelten. „Ich habe das Flugzeug nach Warschau mit dem Gefühl betreten, dass uns ein ganz heißes Spiel erwartet“, sagte Löw. „Die Polen wollen nicht den Weltmeister feiern, sondern den ersten Sieg gegen Deutschland.“
Dabei spricht die Statistik wirklich eine eindeutige Sprache. Von 18 Duellen konnten die Deutschen zwölf Partien gewinnen, sechs Spiele endeten Remis. Auf einen Sieg gegen Deutschland warten die Polen bislang vergeblich.
Löw will die DFB-Weste weiß halten
Diese weiße Weste will Löw, passend am Freitag im blütenweißen Hemd, trotz großer Verletzungssorgen unbedingt behalten. Und es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass der Nationaltrainer ausgerechnet Toni Kroos ein Sonderlob gewährte. Schließlich war es eben jener Neu-Madrilene, der vor zwei Jahren im EM-Halbfinale überraschend in die Startelf rotierte, Italiens Maestro Andrea Pirlo manndecken sollte und nach dessen Geniestreichen später als Sündenbock herhalten musste.
Zwei Jahre später ist aus dem „Versager von Warschau“ ein „Schweini-Sami-Mesut-Klon“ ge-worden, der Deutschland zum WM-Titel führte. Die mutmaßlich Hauptverantwortlichen des EM-Aus vor zwei Jahren werden nun als die Protagonisten des WM-Titels gefeiert. „Ich will nicht von Genugtuung sprechen, aber schon von Befriedigung oder Bestätigung“, sagte Löw, und erklärte: „Wir haben immer an unserem Weg festgehalten. Es war ein langer Weg, aber er ist im Sommer gekrönt worden.“