Essen. Nach dem Spiel gegen Polen bereitet sich die deutsche Nationalmannschaft in Oliver Bierhoffs Heimatstadt Essen auf das Duell gegen Irland vor. Wir sprachen mit dem Manager der deutschen Nationalmannschaft über Luxus in Titel-Unterkünften, abgeschaffte Ascheplätze und zweifelhafte WM-Vergaben.
Im brasilianischen WM-Quartier Campo Bahia herrschte ein besonderer Geist, der auch zum Titel geführt hat. Haben Sie schon nach einem Quartier in Frankreich Ausschau gehalten?
Oliver Bierhoff: Der offizielle Quartierkatalog ist schon erschienen, also müssen wir uns damit frühzeitig beschäftigen. Viele Nationen werden durch den WM-Titel auf die Campo-Bahia-Geschichte aufmerksam geworden sein und gesehen haben, dass die Auswahl des Quartiers kein unwichtiger Aspekt bei so einem Erfolg ist.
Wie läuft so eine Suche ab?
Bierhoff: Erstmal gibt es Unterschiede zwischen Fifa und Uefa: Das Reglement der Fifa verpflichtet jeden Teilnehmer, ein Quartier aus dem Katalog auszusuchen, die Uefa bietet nur an. Ich werde mir in jedem Fall selbst ein Bild vor Ort machen. In Brasilien war ich acht- oder neunmal, logistisch wird dies in Frankreich natürlich einfacher. Außerdem kenne ich ja noch einige Regionen, bei der WM 1998 war ich ja dabei.
Hat sich für die nächsten Turniere die Variante mit einer Appartment-Anlage bewährt oder gehen Sie lieber wieder ins Hotel?
Bierhoff: Ich bin ein Freund davon, neue Reize zu setzen und nicht immer das Gleiche zu machen; ich schaue also nicht nach einer Kopie. In erster Linie müssen wir uns sportlich top vorbereiten können, wollen während des Turniers aber auch regenerieren. Nicht nur körperlich, sondern auch mental. Dazu braucht es eine gewisse Ruhe, ein gewisses Ambiente. Damit meine ich nicht Exklusivität im Sinne von Luxus oder teurer Ausstattung. Sondern es geht um die Frage: Haben wir die Möglichkeit abzuschalten, können wir uns hier ohne störende Einflüsse richtig konzentrieren? Jeder Einfluss von außen kann stören. In dieser Hinsicht ist es schwer, das Campo Bahia zu toppen.
Bei dem guten Händchen: Suchen Sie eigentlich für Ihren privaten Urlaub das Hotel aus oder macht das Ihre Frau?
Bierhoff: Das sucht meine Frau meistens aus, aber wir haben den gleichen Geschmack. Ich mag lieber die ruhigen, abgelegenen, authentischen Flecken als jene, zu denen die Masse fährt.
Bierhoff über seine Wurzeln und die Profite des DFB
Nach dem Spiel gegen Polen bereitet sich das Team in Essen auf die Irland-Partie vor. Ist der ETB eine ähnlich gute Wahl wie das Campo?
Bierhoff: Das hoffe ich. Ich freue mich, dass wir nach zehn Jahren endlich mal nach Essen kommen. Leider erging es dem ETB in letzter Zeit ja nicht so gut.
Haben Sie mit der Wahl des Uhlenkrugs als Trainingsstätte Ihren alten Bekannten einen Gefallen getan?
Bierhoff: Zumindest hoffe ich, dass man mit der Präsenz der Nationalmannschaft dem Verein wieder ein wenig Schwung geben kann. Der Verein hat ja schließlich immer eine sehr gute Jugendarbeit gemacht. Nicht nur ich komme dort her, sondern ja auch Jens Lehmann.
Kleinere Vereine, viele von ihnen mit großer Tradition, kämpfen immer mehr ums Überleben. Der DFB macht ordentliche Gewinne - was hat der deutsche Fußball von der Nationalmannschaft?
Bierhoff: Man muss grundsätzlich sagen: In Rio ist nicht nur Jogi Löw Weltmeister geworden, nicht nur Mario Götze und auch nicht nur Oliver Bierhoff - da ist der ganze deutsche Fußball Weltmeister geworden. Im übertragenen Sinne alle 165.000 Mannschaften, die unter dem Dach des DFB organisiert sind. Der Titelgewinn in diesem Sommer ist auch das Ergebnis der jahrelangen intensiven Talentförderung in den Leistungszentren und an der Basis. Jeder Weltmeister hat mal in einem kleinen Verein angefangen, jeder von ihnen hatte einen Jugendtrainer. Sie alle haben ihren Anteil.
Was bekommt die Basis dafür?
Bierhoff: Wir haben auch die WM wieder mit einem Gewinn abgeschlossen, sind mit der Nationalmannschaft der große Ertragsbringer des Verbandes: Natürlich gehören die wirtschaftliche Seite und die Vermarktung dazu, aber es geht dem DFB immer auch darum, die Basis im Blick zu behalten. Wir sorgen für rund 70 Prozent der Gesamteinnahmen des DFB, 20 Prozent benötigen wir zur Deckung unserer Kosten, der Rest geht an die 26.000 Vereine im Land. Über die Verteilung entscheidet das Präsidium. Aber es ist sicher, dass große Landesverbände wie Westfalen oder der Niederrhein ordentlich bedacht werden, weil sie große Mitgliederzahlen haben.
Haben Sie eigentlich noch Kontakte zu Spielern aus alten Essener Zeiten?
Bierhoff: Ich habe noch Freunde da, auch wenn ich schon lange aus Essen weg bin. Einer von ihnen ist Linksverteidiger, er schreibt mir immer, dass er zur Verfügung stünde, wenn wir mal jemanden mit einer linken Klebe brauchen. Es war schon eine besondere Zeit. Schade, dass es den Ascheplatz nicht mehr gibt. Ich hätte den Nationalspielern gern mal gezeigt, wo ich Fußballspielen gelernt habe.
"Die Nationalmannschaft ist mein Kind"
Stört es Sie eigentlich manchmal, als Blitzableiter für viele Belange, die die Nationalmannschaft betreffen, herhalten zu müssen?
Bierhoff: Das ist Teil meines Jobs, Teil des Profils. Es ist meine Aufgabe, Druck wegzunehmen. Und auch mal unbequeme Dinge zu sagen, die Spieler oder Trainer so nicht sagen können. Die Nationalmannschaft ist mein Kind, das verteidige ich dann auch.
Zum Beispiel?
Bierhoff: Ich habe klar gesagt, dass es mir auf den Keks geht, wenn immer so getan wird, als gehe die große Belastung der Spieler auf die Rechnung des DFB und der Einsätze bei Länderspielen. Nach den Belastungen im Verein wird viel zu wenig gefragt. Bei vielen Verletzungen spielt die WM gar keine Rolle. Und der ungeliebte August-Termin ist aus dem Spielplan heraus.
Nicht ganz bequem sind auch Aussagen zur sportpolitischen Großwetterlage. Zwischen Korruptionsverdacht und Menschenrechtsverletzungen: Sind Sie dafür, dass Katar und Russland die WM behalten?
Bierhoff: Grundsätzlich muss man sich fragen, ob es noch sinnvoll und zeitgemäß ist, dass die großen Sportverbände ehrenamtlich geführt werden und nicht wie Wirtschaftsunternehmen. Es geht um wichtige Entscheidungen von großer Tragweite, hinzu kommen die immense mediale Wahrnehmung und die gesellschaftliche Bedeutung. In der Frage Russland 2018 und Katar 2022 kann man sich gar nicht unpolitisch verhalten. Aus heutiger Sicht wäre es bestimmt schwierig, die WM dahin zu vergeben. Aber hier laufen FIFA-intern ja die Untersuchungen, diese sollte man auch abwarten.