Hamburg. Bundestrainer Joachim Löw hat die Schalker Leon Goretzka und Max Meyer sowie Marcell Jansen vom HSV und den Bald-Gladbacher André Hahn aus dem Dreißiger-Kader gestrichen. Gladbachs Christoph Kramer indes darf mit ins WM-Trainingscamp - für den Fall des Khedira-Ausfalls.
Es gibt ruhigere Adressen in Hamburg, als das Side-Hotel an der Drehbahn in Nähe der Binnenalster. Wer sich für angesagt hält, der erkundet vom Szene-Mittelpunkt das pulsierende Leben der Elbmetropole. Und doch bietet die Fünf-Sterne-Herberge noch Rückzugsmöglichkeiten, um sich vertiefende Gedanken zu machen. So wie Joachim Löw, Hansi Flick oder Urs Siegenthaler das in der Nacht zu Mittwoch taten, als Bundestrainer, Assistent und Chefscout über die nächsten Personalentscheidungen bei der deutschen Nationalmannschaft brüteten. Und siehe da: Mitunter verschieben sich die Trennlinien schneller als gedacht, um die 23 fähigsten Fußballer für die WM in Brasilien zu finden.
Jedenfalls hat der Trainerstab den um Mitternacht an den Weltverband Fifa in elektronischer Form zu übermittelnden 30er Kader auf einer Position modifiziert: Entgegen der aufwendig inszenierten Vorstellung vergangenen Donnerstag in der Frankfurter Verbandszentrale taucht dort jetzt der Gladbacher Mittelfeldspieler Christoph Kramer auf. Gestrichen wurde der an den Niederrhein wechselnde Andre Hahn, wobei sich Löw in der am Mittwoch um einen entschuldigenden Tonfall an den 23-Jährigen bemühte. „Das hat nichts mit der Leistung von Andre Hahn zu tun.“
Jansen zeigt sich enttäuscht
Die Gründe seien rein positionsbezogen. „Im zentralen Mittelfeld haben wir einige Spieler, die zuletzt längere Pausen hinter sich haben.“ Und der 23-jährige Kramer, Leihgabe aus Leverkusen, hatte die Nullnummer gegen Polen immerhin am Abend noch dazu genutzt, sich als disziplinierte Lösung zu präsentieren, auch wenn ihm sicherlich die spielerische Raffinesse abgeht.
Im Grunde gibt der robuste Kramer nun den Backup für Sami Khedira. Dessen zweiter Pflichtspieleinsatz kündigt sich bei Real Madrid zwar am Wochenende an, und wegen der Sperre für Xabi Alonso scheint nicht mal ein Mitwirken im Champions-League-Finale unmöglich, aber niemand weiß genau, wie belastbar Löws Lieblingsspieler wirklich ist. „Wir sind ständig mit ihm im Austausch“, verriet der DFB-Coach, „er kommt unglaublich gut voran.“ Dr. Hans-Wilhelm Müller Wohlfahrt habe bestätigt, „dass Knie und Muskulatur absolut in Ordnung sind.“
Neben Hahn traf der Bannstrahl zwei Schalker Talente und einen Hamburger Wackelkandidaten: Der erst 18-jährige May Meyer und der nur sieben Monate ältere Leon Goretzka sowie der 29-jährige Marcell Jansen brauchen nicht erscheinen, wenn sich am nächsten Mittwoch 27 Spieler in St. Leonhard im Passeiertal versammeln. Das gestrichene Trio soll sich auf Abruf bereithalten. Meyer und Goretzka gelten als Lösung für die Zukunft, wie Löw verlauten ließ: „Sie haben noch viele Möglichkeiten, große Turniere zu spielen.”
Bei Jansen, der gleich via Twitter seine Enttäuschung mitteilte, könnte die Nationalmannschaftskarriere indes den entscheidenden Knick bekommen. Löws Urteil: „Sein Fitnesszustand ist noch immer nicht ganz optimal.“ Und fürs zehntägige Trainingslager als wichtigste Zwischenstufe der weltmeisterlichen Mission kann der 54-Jährige eben nicht zu viele Kicker brauchen, die seinen Anforderungen an Fitness nicht genügen.
Spiel „schlimmer als der HSV“
Für den endgültigen 23er Kader, den die Fifa einen Tag nach dem nächsten Testspiel gegen Kamerun (1. Juni in Mönchengladbach) abfragt, will sich der oberste Fußballlehrer im Lande wieder bis zum Meldeschluss „Zeit lassen“. Trainingseindrücke und Trainingsspiele gegen die eigene U 20 sollen in die Beurteilung einfließen. „Ich will sehen, dass die Spieler ums WM-Ticket kämpfen.“ So wie die gegen Polen erprobten Innenverteidiger, der 20-jährige Freiburger Matthias Ginter und der 22-jährigen Genua-Legionär Shkodran Mustafi, die für ihn „kompakte Arbeit“ erledigten.
Dennoch klang es wie Hohn, dass Löw allen Ernstes nach dem historischen Rekord mit einem Dutzend Debütanten und der jüngsten DFB-Elf aller Zeiten beteuerte, er habe ein „unterhaltsamen Spiel mit sehr hoher Intensität“ gesehen. Und wenn er behauptete, die Zuschauer seien sehr zufrieden, „ich kann mir nix anderes vorstellen“, hätte er sich beim Abgang aus dem Volkspark umhören sollen: „Schlimmer als der HSV“ war da noch die netteste Umschreibung für ein fragwürdiges Länderspiel, auf das auch Neulinge wie Hahn, Meyer oder Goretzka nun irgendwie zwiespältig zurückblicken müssen.