Essen. . Auch sieben Jahre nach seinem Karriere-Ende besucht Jens Nowotny fast an jedem Wochenende Fußball-Plätze und Stadien: Als Spielerberater schaut er besonders auf die Regionalliga West. Im Interview spricht er über Gefahren für den Nachwuchs, eigene Fehler und die Talentdichte der Vierten Liga.

Jens Nowotny kam in seiner Karriere unter anderem auf 231 Bundesliga-Einsätze für Bayer Leverkusen und 48 Spiele für die deutsche Nationalelf. Eine ansehnliche Karriere, die aber ohne Titel endete. Mit dem 40-Jährigen sprach Dirk Hein.

Sie waren ein Jahr lang sportlicher Berater bei Fortuna Köln. Wie professionell arbeiten die Vereine in der Regionalliga?

Nowotny: Bei den Strukturen ist noch extrem viel Luft nach oben. Ich habe den Eindruck, dort tummeln sich zu viele Leute, die sich dagegen verweigern, Hilfe anzunehmen. Oft weiß man nicht, wie man Hilfe einsetzen kann. Es gibt viele Ex-Profis, die Sport-Management studiert haben. Doch manchmal scheuen sich die Vereine trotzdem, vielleicht aus Angst, ein Stück Macht abgeben zu müssen. Ich war bei Fortuna Köln nur bei einer Sitzung dabei.

Ihr Ex-Verein hat sich die Dienste des nicht als bequem geltenden ehemaligen Profis Albert Streit gesichert. Halten Sie die Entscheidung für richtig?

Nowotny: Albert Streit hat bewiesen, dass er in der Bundesliga spielen kann. Fortuna Köln ist nah dran am Aufstieg. Kurzfristigkeit hilft Albert Streit der Fortuna weiter. Das ist ein Weckruf für andere Vereine. Für die Zukunft wäre es aber sinnvoller, in einen jüngeren Spieler zu investieren. Bei solch einer Diskussion sollte man immer überlegen: Gibt es Alternativen?

Was macht die Regionalliga West für Spielerberater interessant?

Nowotny: Viele junge Spieler der Bundesligisten machen in der Regionalliga ihre ersten Schritte. Darum gibt es dort viele Scouts und Berater. Ob der Reiz für die Zuschauer höher wird, weil Bayer Leverkusen II jetzt mit 12 Fans anreist, weiß ich dagegen nicht.

Sie verstehen Fans, die finden, dass zweite Mannschaften die Attraktivität der Liga bremsen?

Nowotny: Bundesligisten haben ganz andere Möglichkeiten. Sie könnten viel Geld in die Hand nehmen, um vorne mit dabei zu sein. Bei vielen Vereinen heißt die Devise aber: Jugend forscht. Der 1. FC Köln oder Bayer Leverkusen spielen oft gegen den Abstieg. Fortuna Düsseldorf ist in dieser Saison oben mit dabei, weil sie es geschafft haben, eine Mannschaft zusammenzuhalten. Die Zweitvertretungen sind ein Sprungbrett, um in die erste Mannschaft zu kommen. Ich habe aber die Vermutung, das ist eher ein Trugschluss. Viele Talente machen aus der A-Jugend ihren Weg über andere Vereine.

Warum?

Nowotny: Wenn ein A-Jugendlicher als Deutscher Meister gegen einen erfahrenen Spieler spielt, wird er meistens weggeputzt. Wenn ein gestandener 30-jähriger Regionalligaspieler auf dem Platz steht, der Geld verdient, um seine Familie zu ernähren, ist das mental schon eine andere Sache als in der A-Jugend.

Nowotny über seinen Tagesablauf als Spielerberater 

Wie sieht heute Ihr Tagesablauf aus?

Nowotny: Ich halte den Kontakt zu Spielern. Ich frage, wie es ihnen geht. Ich besuche die Plätze, beobachte Spieler, bewerte die Entwicklung und schaue, ob die Einstellung stimmt. Ich frage, welche Typen die Vereine benötigen, um zu sehen, ob wir helfen können.

Worauf achten Sie besonders?

Nowotny: Den meisten Spaß macht es mit der Jugend. Es ist wichtig, vor Ort zu sein, nicht nur zu sehen, wie sich der Einzelne, sondern auch der Fußball weiterentwickelt. Daraus ziehe ich Schlüsse, wie ich meine eigenen Spieler besser beraten kann. Es geht um das Spiel, den Druck und die Ausbildung. Ich könnte viele meiner alten Geschichten erzählen, aber das Geschäft hat sich selbst in sieben Jahren nach meiner aktiven Laufbahn sehr stark verändert.

Was meinen Sie genau?

Nowotny: Die Konkurrenz ist enorm groß. Selbst bei Bayern München bekleiden Spieler mit einem extrem jungen Alter eine tragende Rolle. Bei Mannschaften wie Leverkusen, Gladbach und Köln ist der Leistungsstand so nah beieinander. Es kämpfen zehn Konkurrenten um eine Position. Zu meiner Zeit in der Jugendnationalmannschaft hattest du zwei oder drei Konkurrenten. Danach kam dann lange nichts.

So etwas kann motivieren, einen jungen Spieler aber auch zermürben…

Nowotny: Ich bin da im Zwiespalt. Die Spieler haben früh wenig Luft zum Atmen. Wenn einer sagt, dass sie den Druck später als Profi auch hätten, kann ich das nicht nachvollziehen. Jugendspieler haben Druck nicht nur auf dem Platz, sondern auch daneben. Das sind Heranwachsende. Wenn sie sich daneben benehmen, fliegen sie raus. Sie haben den Druck des Erwachsenwerdens - mit der Schule, Freunden und falschen Freunden. Ich frage mich oft, ob das nicht zu viel ist und die jungen Spieler nicht zu früh verbrannt werden.

Was also muss geschehen, damit sich die Situation verbessert?

Nowotny: Einige marschieren da durch. Bei anderen musst du die Notbremse ziehen. Das kann aber nur der Verein machen. Junge Spieler suchen oft den Druck, sie wollen den Anschluss ja nicht verlieren. Du musst den Jungs das Gefühl geben, dass sie sich in schwierigen Situationen anlehnen können. Das betrifft die Familie. Wenn man sich ständig bei den Spielern meldet, ist das aber auch nicht richtig. Man sollte sie nicht entmündigen.

Nowotny über seine Suspendierung bei Leverkusen 

Trotzdem kann es nicht schaden, von der Meinung der Kollegen zu profitieren. Welchen Eindruck hatten Sie selbst als Spieler?

Jens Nowotny: Ich habe das in Leverkusen erlebt, als ich 2005 suspendiert wurde. Es ging um eine Lohnfortzahlung nach mehreren Verletzungen. Ich habe mich persönlich enttäuscht und angegriffen gefühlt. Wenn ich die Sache emotionsloser besprochen hätte, wären viele Scherben vermeidbar gewesen.

Wer eignet sich in der Regionalliga West für höhere Aufgaben?

Jens Nowotny: Christoph Zimmermann von Gladbach II wächst als Innenverteidiger immer mehr mit seinen Aufgaben. Bei ihm gibt es keine Ausreißer nach oben oder unten. Von der Einstellung her ist das schon „oberstes Regal“. Pascal Talarski von Rot-Weiß Oberhausen ist ein Instinktfußballer. Auch er hat das Potenzial, den nächsten Schritt zu gehen. Du brauchst bei aller Qualität das Quäntchen Glück. Zum richtigen Zeitpunkt muss die Leistung stimmen, der Trainer sollte auf dich stehen und das alles muss auch wahrgenommen werden.

Nicht einmal der Meister spielt automatisch in der Dritten Liga, sondern muss in die Relegation. Haben Vereine ohne Geld überhaupt eine Chance, aus der Regionalliga aufzusteigen?

Nowotny: Es gibt immer wieder Vereine, die über die geschlossene Mannschaftsleistung durchstarten können. Wenn du Finanzkraft ausgleichst, wird es schon ein Jahr nach einem Aufstieg schwer, die Leistung aufrechtzuerhalten. Nur mit jungen Spielern aus der eigenen Jugend funktioniert das nicht. Du musst dir Erfahrung einkaufen.