Hamburg. Professor Ingo Froböse von der Sporthochschule Köln warnt davor, dass viele Profisportler ihre Verletzungen nicht richtig auskurieren. Durch den Druck auf die Sportler, möglichst schnell wieder einsatzbereit zu sein, “werde gemacht was gerade noch geht“ und Raubbau an der Gesundheit betrieben.
Naldo hatte keine Lust zu reden. "Das ist bitter", sagte der Brasilianer von Werder Bremen kurz angebunden und ließ die Tür zum Reha-Zentrum des Fußball-Bundesligisten ins Schloss fallen. Den Weg kennt der Verteidiger von seinem gerade überstandenen Außenbandriss im Knie. Gegen Mainz 05 feierte er am Samstag nach 105 Tagen ein 40-Minuten-Comeback - und ist nun schon wieder Stammgast in der sportmedizinischen Abteilung. "Es ist ein Muskelfaserriss des rechten Hüftbeugers", erklärt Vereinsarzt Götz Dimanski.
Spitzensportler verkaufen ihren Körper
Hat Naldo nur Pech gehabt? Oder hat er zu früh wieder angefangen wie vor kurzem wohl auch Bastian Schweinsteiger nach seiner Sprunggelenkverletzung? Gefährden Spitzensportler permanent ihre Gesundheit? Professor Ingo Froböse von der Sporthochschule in Köln sagt: ja. Der Leiter des "Zentrums für Gesundheit" geht sogar noch einen Schritt weiter: "Sie verkaufen ihren Körper."
Der Druck auf Spieler, Trainer und Manager ist groß. Nicht erst in der Schlussphase der Saison, wenn es um Titel, Europacup-Teilnahme oder Abstieg geht, "lebt man auf des Messers Schneide", wie es Froböse ausdrückt: "Sie treiben Raubbau an ihrer Gesundheit." Es werde gemacht, was gerade noch geht. "Bei einer Außenbandverletzung wie bei Schweinsteiger gehen wir davon aus, dass es zwölf Wochen dauert. Da kann auch ein Wunderheiler nichts dran ändern." Der Nationalspieler hatte es bereits nach gut drei Wochen wieder versucht, aber prompt einen Rückschlag erlitten.
Auuutsch!
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Klaus Allofs wehrt sich gegen Anschuldigungen
Jede Verletzung braucht ihre Zeit. Das bestimmt die Natur. Das müssen Hochleistungssportler akzeptieren wie jedermann. Tun sie aber nicht - jedenfalls nicht immer, behauptet Froböse und führt als abschreckendes Beispiel Jens Nowotny an. "Kunstfehler oder Künstlerpech", titelte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" im Jahr 2003, als sich Nowotny seinen zweiten Kreuzbandriss zuzog, und zitierte den Hamburger Sportmediziner, Bernd Kabelka: "Vielleicht hat man sich über biologische Einheilvorgänge hinweggesetzt.“
Das Thema ist aktuell wie eh und je. "Mindestens jede vierte Verletzung hat eine Wiederschädigung an derselben Stelle. Die Sportler sind nicht austherapiert." Freunde macht sich Froböse mit solchen Sätzen selbstverständlich nicht. In der Branche gilt Kritik von außen ohnehin als unangebracht. Werder-Geschäftsführer Klaus Allofs wehrt sich gegen die Vorwürfe Froböses, "dass Manager und Vereine verantwortungslos mit der Gesundheit der Spieler umgehen".
"Das kann ich für Werder Bremen ausschließen", sagt Allofs. Angesichts der vielen Verletzten und der daraus resultierenden latenten Vorwürfe, bei Werder häuften sich muskuläre Probleme, reagiert der frühere Nationalspieler genervt: "Es gibt Kommentare, die sind wenig fundiert."
Werder-Arzt Dimanski sieht im Fall Naldo keinerlei Hinweise auf irgendwelche Versäumnisse. Von der Therapie über die Reha, das Fitnesstraining bis hin zu den fußballspezifischen Übungen sei alles optimal gewesen. "Besser kann man es nicht machen", sagt Dimanski. Es hätte jeden anderen Spieler treffen können, meint er.
Vereine gehen verantwortungslos mit Spielern um
Dass Spieler möglicherweise einen unprofessionellen Lebensstil haben, wie es Werder-Verteidiger Sebastian Prödl unlängst ansprach, kann nur bedingt verhindert werden. Die Ideen von Jürgen Klinsmann findet Froböse deshalb nicht schlecht. "Buddha und Räucherstäbchen braucht man nicht. Aber was die physiologische und medizinische Vorsorge und Betreuung anbelangt, hat er einiges bewegt."
Der immense Druck auf alle Beteiligten am Showgeschäft Profifußball wird dadurch nicht geringer. Aber das Bewusstsein wird geschärft, wie Froböse fordert. "Ihr wisst ja gar nicht, wann ihr die Sportler wieder in den Wettkampf schicken könnt", lautet seine provokante These. Oft würden das sogar die Trainer entscheiden, "die davon überhaupt keine Ahnung haben", sagt Froböse. "Und dann sagt der Arzt, der ja seinen Job behalten will, ja okay, ich spritze eine Betäubung - aber die Struktur ist nicht belastbar."
Froböse lobt BVB im Götze-Fall als vorbildlich
Bei Werder Bremen wäre so ein Vorgehen undenkbar, sagen Allofs und Dimanski. Die sportliche Situation dieser Saison ohne doppelte Belastung durch den Europacup macht es den Hanseaten leicht, den Spielern die notwendigen Ruhepausen zu gönnen. Froböse: "Muskeln brauchen in der Regel 48 bis 72 Stunden, um sich wieder normal zu regenerieren. Das gilt auch für durchtrainierte Spitzensportler."
Naldo wird mindestens zwei Wochen nicht spielen können. Den Bremern fehlt er damit in Köln, gegen Mönchengladbach und wohl auch am 13. April in Stuttgart. Unter Druck gesetzt wird niemand. "Für uns ist die Gesundheit des Spielers das höchste Gut", sagt Allofs. Auch Mario Götze bekommt von seinem Klub Borussia Dortmund alle Zeit, seine Schambeinentzündung auszukurieren. Froböse: "Ihm wird die Zeit für eine ausreichende Therapie gegeben. Vorbildlich!" (dapd)
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