Bonn. Die Nationalspieler können nicht zur Tagesordnung übergehen. Der DFB sagt das für Samstag in Köln geplante Länderspiel gegen Chile ab.
Das Klicken der Kameras, es klingt diesmal unwirklich. Es fehlt das Gemurmel dazu, die übliche Unruhe, wenn viele Medienmenschen zusammenkommen. Niemand spricht, als DFB-Präsident Theo Zwanziger, Nationalmannschaft-Manager Oliver Bierhoff und Mediendirektor Harald Stenger am frühen Mittwochnachmittag den Saal in der Telekom-Zentrale in Bonn betreten. Stenger bittet um eine Gedenkminute für Robert Enke, in einem kurzen Nachruf würdigt er den verstorbenen Nationaltorhüter als Ausnahmesportler und Freund. Stengers Stimme bricht kurz. Nie zuvor hat er eine Pressekonferenz des Verbandes so eröffnen müssen. So traurig.
Die Nacht war furchtbar, die Nachricht vom Freitod des Torhüters, die Bierhoff den Spielern überbracht hatte, ließ sich nicht „verarbeiten”, nichts ist wie sonst vor Länderspielen. Das Training am Morgen ist abgesagt worden, die für den Mittag vorgesehene Pressekonferenz auf unbestimmte Zeit verschoben. Die DFB-Verantwortlichen haben zuerst abwarten wollen, was in Hannover gesagt werden würde, bei der Pressekonferenz von Robert Enkes Verein Hannover 96. Dort spricht Enkes Frau Teresa davon, wie sehr ihr Mann seinen Sport geliebt habe, dass der Fußball ihm Halt und Kraft gegeben habe, dass er es genossen habe, Teil einer Mannschaft zu sein.
Diese Worte hätten als Begründung dienen können, wenn sich der DFB dafür ausgesprochen hätte, das Länderspiel am Samstagabend gegen Chile in Köln wie geplant auszutragen. Am Morgen aber haben die DFB-Spitze, die sportliche Führung der Nationalmannschaft und der Spielerrat eine andere, außergewöhnliche Entscheidung getroffen: „Es war einvernehmlich klar, dass wir das Länderspiel gegen Chile in Köln nicht durchführen können”, sagt Theo Zwanziger. „Ich habe Spieler erlebt, die nicht zur Tagesordnung übergehen können, die ehrliche Trauer zeigen und auch deutlich machen, dass man zum Trauern Zeit braucht. Wir wollen nicht oberflächlich damit umgehen.”
Eine schlüssige Erklärung
Die Erklärung klingt schlüssig, verständlich, angemessen. Die Absage ist nicht nur eine Frage der Pietät, sondern vor allem auch eine der mentalen Verfassung. Die Spieler haben einfach nicht die Kraft, auf Arbeitsalltag umzuschalten, sie trauern um einen aus ihrer Mitte. Robert Enke war in der Gruppe höchst anerkannt. Er habe immer „unglaublich positiv” auf die Mannschaft eingewirkt, sagt Oliver Bierhoff. Umso mehr sind nun alle schockiert, weil keiner geahnt hat, wie tief Robert Enkes Seele verwundet war. „Bei uns herrschen Fassungslosigkeit, Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit”, sagt Bierhoff. „Weil wir festgestellt haben, dass wir nicht tiefer hineinschauen konnten, wie es in Robert aussah.”
Wie Theo Zwanziger hält auch Oliver Bierhoff die Absage des Länderspiels für alternativlos. Er beginnt zu weinen, als er an den Moment erinnert, in dem er die Mannschaft informieren musste. „So wie ich jetzt fühle, so fühlen auch die Spieler”, sagt er und dreht den Kopf zur Seite.
Zwanziger betont, er wisse, dass der DFB mit der Länderspiel-Absage „vielen Menschen wehtut”. Aber sogar die chilenische Nationalmannschaft und ihr Verband, die seit Montag in Leverkusen logieren, hätten die Entscheidung sofort respektiert. „Sie haben uns versichert, dass sie genauso gehandelt hätten”, berichtet Zwanziger. „Wir müssen auch einmal innehalten können und nicht geschäftsmäßig weitermachen.”
Im Mittelpunkt müsse der Mensch Robert Enke stehen – und der Gedanke, „was wir besser machen können”. Denn: „Die Frage nach dem Warum begleitet uns seit gestern Nacht.” Der DFB-Präsident will sich nicht damit abfinden, dass Robert Enkes Erkrankung intern unbemerkt bleiben konnte. „Wir sind es ihm schuldig, dass wir Antworten auf die Frage finden, warum junge Leistungssportler, die bejubelt und als Idole gefeiert werden, in eine solche Situation kommen können.”
Spieler nach Hause geschickt
Noch am Mittwochnachmittag werden die Nationalspieler nach Hause geschickt, sie kommen erst am Sonntag in Düsseldorf zur Vorbereitung auf das nächste Länderspiel am nächsten Mittwoch gegen die Elfenbeinküste in Gelsenkirchen zusammen. Robert Enke war zu beiden Spielen nicht eingeladen worden, er sollte sich nach seiner bakteriellen Darminfektion erst wieder stabilisieren. Dass er nicht nominiert wurde, kommentierte er mit den Worten: „Ich kann damit leben.”