Hannover. Auf einer mutigen Pressekonferenz öffnete Robert Enkes Witwe Teresa ihr Herz. Und berichtete über das jahrelange Versteckspiel und die Depressionen ihres Mannes. In seinem Abschiedsbrief entschuldigte sich der Nationaltorhüter für seine "Täuschungen" gegenüber Familie und Freunden
Das Meer der Traurigkeit ist an diesem Mittag so atemraubend tief, dass sogar Fische darin ertrinken würden. Teresa, die Frau von Robert Enke, sitzt im Stadion des Fußball-Bundesligisten Hannover 96 und spricht über den Selbstmord ihres Mannes. Hinter dem Fenster ragen die Tribünen in den Himmel. Der Nationaltorwart hat sich am Abend zuvor vor einen Zug geworfen.
Teresa Enke kämpft mit den Tränen. Die Großbildjäger haben sie umzingelt, die Kameras laufen, aber die Frau in dem schwarzen Pullover hält durch.
Die Krankheit über Jahre weg verborgen
Ihr ist wichtig, dass die Welt die Wahrheit erfährt. Die Wahrheit über den Tod des 32-Jährigen ist eine, die im glitzernden Kosmos der Fußball-Profis zu den Tabu-Themen gehört. Homosexualität ist so ein Thema, oder eben Depressionen. Enke litt unter Depressionen, aber er versuchte seit Jahren, seine Krankheit zu verbergen. Sein Arzt Valentin Markser erklärt, wie der Torwart das schaffen konnte: „Robert hat über Jahre hinweg erfolgreiche Abwehrstrategien entwickelt.”
Er konnte sogar seinen Psychiater täuschen. Markser beteuert, dass er keine konkreten Hinweise auf einen Selbstmord gesehen habe. Noch am Tag seines Todes soll Enke in einer Klinik angerufen haben, um eine empfohlene stationäre Behandlung abzusagen: Ihm gehe es wieder besser.
Szenenwechsel. In Eilvese, 25 Kilometer vor Hannover, hat der Tag schon am Morgen seine Farbe verloren. Im Grau des Regens durchsuchen sechs Polizisten in Warnwesten die Büsche neben der Bahnstrecke, an der sich Enke in den Tod gestürzt hat. Der Lokomotiv-Führer hat psychologischen Beistand erhalten. Ein ICE donnert über die Gleise. Man mag sich nicht vorstellen, was passiert, wenn ein Zug einen menschlichen Körper trifft. Am Bahnhof von Eilvese haben Fans Kerzen aufgestellt. Die Gaststätte „Am Bahnhof” hat geschlossen. Die Menschen stehen in der Kälte, sie reden und rauchen.
Die Familie Enke wohnt nur zwei Kilometer von Eilvese entfernt auf einem Bauernhof. Auch der Friedhof, auf dem Enkes Tochter begraben liegt, ist nicht weit weg. Lara ist 2006 mit zwei Jahren an einem angeborenen Herzfehler gestorben.
Fußball war sein Lebens-Elexier
Wieder zurück in Hannover. Die Mannschaftskollegen von Enke haben die Zugbrücken zu ihren Herzen hochgezogen. Keiner von ihnen will etwas sagen, das Training fällt aus. Am kommenden Montag soll das Leben auf dem Platz wie gewohnt weiter gehen. Teresa Enke spricht über die Bedeutung des Fußballs für ihren Mann: „Es war sein Lebens-Elixier.”
Trotzdem reichte dieses Elixier nicht, um Enke im Leben zu halten. Auch Leila, die achtmonatige Adoptivtochter der Enkes, war Quell der Freude und zugleich wohl auch Ursache für ein quälendes Problem. Enke hatte Sorge, dass das Jugendamt das Sorgerecht für Leila wieder aberkennen könnte, wenn der Vater unter Depressionen leidet. Das Versteckspiel ging weiter. Die Bürde des Menschen ist antastbar – in der Öffentlichkeit sogar gnadenlos. Und genau daher wollte der 32-Jährige sein Schicksal nicht mit der Öffentlichkeit teilen.
„Das war Wahnsinn”, sagt seine Frau. „Jetzt kommt ja doch alles raus.” Aber sie hat das Versteckspiel mitgemacht, das im Jahr 2003 begann. In seiner Zeit beim FC Barcelona spürte Enke die Versagensängste, er begann seine Therapie bei Valentin Markser. „Nach mehreren Monaten war Robert stabil”, so der Mediziner. Enke kehrte 2004 nach Deutschland zurück und unterschrieb beim Bundesligisten Hannover 96.
Eine Virus-Erkrankung zog Enke wieder hinunter
Markser verlor den Kontakt, doch vor sechs Wochen, so berichtet er, habe sich Enke wieder bei ihm gemeldet. Durch eine Virus-Erkrankung, die seine Leistungen beeinträchtige, war der Keeper erneut in eine tiefe Krise gerutscht.
„Diese Phasen waren eine schwere Zeit”, sagt seine Frau. „Robert fehlten Antrieb und Hoffnung. Aber nachdem wir Laras Tod verkraftet hatten, haben wir gedacht: Wir schaffen alles. Wir dachten: Mit Liebe geht das.” Aber es ging nicht.
In den Tagen vor seinem Tod gab sich Enke extrem positiv. Noch am Mittag trainierte er mit der Mannschaft. Für Markser war dies ein Teil des Täuschungsmanövers: „Robert hat auf diese Weise die Zeit nutzen können, um seinen Tod vorzubereiten.” In seinem Abschiedsbrief entschuldigt sich Enke bei seiner Familie und bei seinen Freunden für diese Täuschungen.
Es sind Momente, in denen einem allein beim Zuhören der Atem stockt.
Und dann ist alles gesagt. Teresa Enke verlässt den Raum. Sie will zu Leila. Der Papa wird nicht mehr kommen. Abschied ist ein scharfes Schwert.
Am Abend dann nehmen 1500 Fans bei einem Trauergottesdienst Abschied von Robert Enke. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche und hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann hatte zu der Andacht in die Marktkirche eingeladen.