München. Joachim Löw steht vor seinem 100. Länderspiel als Bundestrainer. Die veränderte Qualität seines Teams zeigt sich an den Werdegängen früherer Debütanten. Der Stempel „Hoffnungsträger“ reicht dem Nationalcoach nicht mehr für eine Nominierung.
Der Rausch der Weltmeisterschaft war noch nicht verflogen, die Nationalmannschaft galt den Deutschen als Herzensangelegenheit, als Joachim Löw im August 2006 seinen Einstand gab: Die Auswahl des neuen Bundestrainers spielte in der Schalker Arena begeisternd auf, fuhr einen lockeren 3:0-Sieg gegen Schweden ein und löste auf den Rängen wieder schwarz-rot-gold eingefärbte Glückseligkeit aus – Spiel eins der postklinsmannschen Fußball-Epoche knüpfte nahtlos an die WM an.
57 DFB-Neulinge in sieben Jahren
Der neue Chef demonstrierte, dass er die bewährte Gruppe nicht als geschlossene Gesellschaft verstand, und wechselte zur Halbzeit zwei Debütanten ein: Manuel Friedrich aus Mainz und Malik Fathi aus Berlin. Während es Friedrich, der gerade mit 34 Jahren von Borussia Dortmund für ein mögliches Comeback getestet wird, immerhin auf neun Länderspiele brachte, war die internationale Karriere des heute 30-jährigen und für Mainz 05 spielenden Fathi nach einer weiteren Einladung schon wieder beendet.
Insgesamt berief Joachim Löw, der am Freitagabend in Mailand gegen Italien zum 100. Mal die Nationalmannschaft führen wird (20.45 Uhr/live in unserem Ticker), in sieben Jahren 57 Neulinge. Deren Namen und Werdegänge dokumentieren deutlich den Wandel der deutschen Nationalmannschaft in der Ära Löw: Ein Stempel mit der Aufschrift „Hoffnungsträger“ reicht heute nicht mehr für eine Nominierung aus. Allein auf der Position im linken offensiven Mittelfeld, auf der jahrelang Lukas Podolski fest gebucht war, drängelt sich mittlerweile die Konkurrenz auf höchstem Niveau: Der zurzeit verletzte „Poldi“ wird sich schwer anstrengen müssen, wenn er wieder an Marco Reus, André Schürrle und Julian Draxler vorbeiziehen will. Und niemand fragt mehr nach den vermeintlichen Talenten, die noch vor wenigen Jahren als Alternativen zu den Etablierten galten, das Zukunftsversprechen aber nicht einlösen konnten.
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Beispiele gefällig? Hier eine Elf der Aussortierten.
Alexander Madlung, 31: Hinter den turniererprobten Per Mertesacker und Christoph Metzelder gab es Bedarf an international tauglichen Innenverteidigern – der Hüne aus Berlin durfte zweimal vorspielen. Heute ist er vereinslos, im Sommer lief sein Vertrag beim VfL Wolfsburg aus.
Jan Schlaudraff, 30: 2006 spielte der heutige Regionalligist Alemannia Aachen tatsächlich in der Bundesliga. Mit Schlaudraff, dem Trickser, der bei Löw debütierte, auf drei Länderspiele kam, zu den großen Bayern wechselte, sich dort den Allerwertesten auf der Ersatzbank wund rieb und heute einer von vielen Profis bei Hannover 96 ist.
Clemens Fritz, 32: Philipp Lahm – und wer sonst? Deutschland sucht seit Jahren hochkarätige Außenverteidiger, deshalb verbuchte auch Fritz 22 Länderspiele. Schon seit 2008 ist der Bremer für Löw aber kein Thema mehr.
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Piotr Trochowski, 29: Noch bei der WM in Südafrika gehörte der damalige Hamburger zum deutschen Aufgebot, heute spielt er für Sevilla und ist nach 35 Länderspielen von der Nationalelf so weit entfernt wie sein Verein vom Gewinn des spanischen Meistertitels.
Roberto Hilbert, 29: Der frühere Stuttgarter ist über den Umweg Istanbul in Leverkusen gelandet. Sein letztes von acht Länderspielen war 2008, und es wird wohl auch keins mehr hinzukommen.
Christian Pander, 30: Welch ein Debüt war das im Jahr 2007, als der damalige Schalker mit dem waffenscheinpflichtigen linken Fuß per Freistoß den 2:1-Siegtreffer gegen England in Wembley besorgte! Doch der Name Pander steht auch als Synonym für Pechvogel, seine Operationen sind kaum zu zählen. So blieb es für den heutigen Hannoveraner bei zwei Länderspielen.
Marko Marin, 24: Der FC Chelsea war eine Nummer zu groß für den kleinen Linksaußen, der auf Leihbasis an den FC Sevilla weitergereicht wurde. Er spielte 16-mal für Deutschland – als Podolski noch konkurrenzlos war.
Marvin Compper, 28: Als Emporkömmling Hoffenheim 2008 die Bundesliga in Atem hielt, stieg der Abwehrmann zum Nationalspieler auf. Für eine Partie. Seit Jahresanfang spielt er für AC Florenz.
Marcel Schäfer, 29: Vor der WM 2010 wurde der Wolfsburger Außenverteidiger nach acht Länderspielen wieder ausgegliedert.
Sascha Riether, 30: Freiburg, Wolfsburg, Köln, heute Fulham, und zwischendurch mal zwei Länderspiele. Und Löw sucht weiter Alternativen für Lahm.
Tim Wiese, 32: Der spektakulärste Absteiger von allen Löw-Debütanten. Aktueller Aufenthaltsort des sechsmaligen Nationaltorhüters: Hoffenheim, Abstellgleis.