Rio de Janeiro. Die Sicherheitslage in Brasilien wird immer prekärer. Nach Protesten durch mehr als eine Million Menschen in der Nacht zum Freitag berief Staatspräsidentin Dilma Rousseff ihr Kabinett zu einer Krisensitzung ein. Erste wichtige Sponsoren begehen derweil denselben Fehler wie FIFA-Boss Sepp Blatter.

Die massiven Proteste am Rande des Confed Cups in Brasilien haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Insgesamt 1,25 Millionen Menschen in gut 100 Städten gingen offiziellen Angaben zufolge in der Nacht zum Freitag auf die Straße, auch infolge von massiver Polizeigewalt wurden Hunderte Personen verletzt. Ein Demonstrant starb bei einem Zwischenfall an einer Straßenblockade.

Staatspräsidentin Dilma Rousseff sagte eine für die kommende Woche geplante Japan-Reise ab und berief ihr Kabinett zu einer Krisensitzung ein. Auch für die Politik stellt sich angesichts der Proteste gegen soziale Ungerechtigkeit und Milliardenkosten für Großevents offenbar immer mehr die Frage, wie realistisch eine sichere Austragung der Fußball-WM 2014 und der Olympischen Spiele 2016 im größten südamerikanischen Land wirklich ist.

Dass wegen der Proteste sogar ein vorzeitiges Ende des Turniers in Erwägung gezogen werde, wies der Weltverband am Freitagmorgen entschieden zurück. "Weder die FIFA noch das Organisationskomitee haben je einen Abbruch des Confederations Cups in Erwägung gezogen", hieß es in der offiziellen Stellungnahme. Es habe auch noch keine Delegation um eine vorzeitige Abreise gebeten.

Friedliche Demos - bis die Polizei einschritt

Allein in Rio de Janeiro demonstrierten rund 300.000 Menschen überwiegend friedlich, bis die Situation durch Polizeigewalt eskalierte. Als Tränengasgranaten auf den Protestzug abgefeuert wurden, flogen aus der Menge Steine und andere Wurfgeschosse. Im Verlauf der Nacht kam es zu Plünderungen, überall brannten Autos, der Schaden durch Vandalismus dürfte in die Hunderttausende gehen.

In der Hauptstadt Brasilia versuchten Protestierende, das Gebäude des Außenministeriums zu stürmen. Sie warfen mit brennenden Gegenständen. Die Tageszeitung O Estado de Sao Paulo berichtete von völlig verängstigten Politikern und Mitarbeitern innerhalb des Gebäudes. In Sao Paulo gingen 110.000 Personen auf die Straße, um Rousseffs Links-Regierung aufzufordern, die Sozialausgaben aufzustocken. Auf einem Transparent stand geschrieben: "Sieg, das ist erst der Anfang."

IOC-Vizepräsident Thomas Bach nahm am Freitag die brasilianische Regierung in die Pflicht. "Friedliche Proteste sind immer Ausdruck einer lebendigen Demokratie. Ich bin deshalb sicher, dass die brasilianische Politik die Argumente der Demonstrationsbewegung ernst nimmt", sagte Bach dem SID. Der Wirtschaftsanwalt hob den positiven Beitrag hervor, den die Spiele 2016 in Rio zu leisten imstande seien: Sie seien ein "großartiger Katalysator, um durch Sport positive Veränderungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft anzustoßen" und würden "einen enorm positiven Beitrag leisten, um die Infrastruktur und die Verkehrssituation zu verbessern. Darüber hinaus wird viel bezahlbarer Wohnraum für die einheimische Bevölkerung geschaffen", sagte IOC-Präsidentschaftskandidat Bach.

Brasilien beklagt erstes Todesopfer 

Das Organisationskomitee lege im Einklang mit dem IOC größten Wert auf Nachhaltigkeit: "Wohl auch deshalb zeigen alle Umfragen, dass eine große Mehrheit der Einwohner von Rio die Spiele unterstützt."

Das erste Todesopfer der Massenproteste wurde in der Kleinstadt Ribeirao Preto beklagt, rund 300 Kilometer von Sao Paulo entfernt. Ein Autofahrer hatte eine von Demonstranten errichtete Blockade ignoriert und einen 18-Jährigen erfasst. Dieser erlag seinen Verletzungen, zwei weitere Personen wurden verletzt.

In Salvador demonstrierten am Rande des Spiels Uruguay gegen Nigeria etwa 20.000 Menschen, darunter zahlreiche Studenten. "Wir haben genug, und während der WM wird es noch schlimmer werden", sagte einer der Teilnehmer. Unter anderem prangerten die Menschen die Millionen-Investitionen in das örtliche Fonte-Nova-Stadion an, während das Aristides-Maltez-Hospital vergeblich Geld für eine dringend notwendige Renovierung beantragt haben soll.

Auch bei diesen Kundgebungen setzte die Polizei Tränengas ein. Die inter-amerikanische Kommission für Menschenrechte kündigte bereits Untersuchungen verschiedener Zwischenfälle an. Sie will den Vorwürfen nachgehen, die Polizei sei mit exzessiver Gewalt gegen Demonstranten und auch Journalisten vorgegangen.

Blatters Rückkkehr nach Brasilien

Krawallmacher in Salvador beschädigten auch Fahrzeuge des Weltverbandes FIFA, der seit Tagen die immer gleiche Kritik übt, die Menschen in Brasilien benutzten den Fußball und das WM-Vorbereitungsturnier nur als Bühne für ihren Protest. FIFA-Boss Joseph S. Blatter hat dem Land bereits den Rücken gekehrt und eröffnete in der ebenfalls krisengeschüttelten Türkei am Freitag die U20-WM. Die Rückkehr des 77-Jährigen ist für den kommenden Mittwoch geplant.

Blatter hatte irrtümlich angenommen, die Demonstrationen während des Confed Cups würden enden, "sobald der Ball rollt". Einer der wichtigsten FIFA-Sponsoren ist mit Blick auf die WM noch immer dieser Meinung. "Ich glaube, dass wir diesen Trend seit einiger Zeit sehen, dass große Sportereignisse für Demonstrationen genutzt werden, weil sie internationale Aufmerksamkeit garantieren. Sobald die WM beginnt, sind die Demonstrationen vorbei", sagte Herbert Hainer, Chef des Herzogenauracher Sportartikelkonzerns adidas, dem Wirtschaftsdienst Sponsors. (sid)