Köln/Oldenburg. In der Diskussion um Konsequenzen aus dem Fall Kevin Pezzoni beim 1. FC Köln schlägt die Vertragsfußballer-Gewerkschaft mit einem Horror-Szenario Alarm. Geschäftsführer Ulf Baranowsky vergleicht die Verhältnisse in Deutschland mit denen in Mexiko, “wo Spieler schon zu Tode gejagt wurden“.
Die Fußballer-Gewerkschaft schlägt mit einem Horror-Szenario Alarm, der Bundestrainer verurteilt die Fan-Chaoten, ein ehemaliger Betroffener zeigt sich ratlos: Die Aufarbeitung des Falls Kevin Pezzoni hält den Fußball in Atem. Allgemein werden Sanktionen gefordert, doch konkrete Lösungsvorschläge bleiben aus.
Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballer, warnte in drastischen Worten vor dem Schlimmstmöglichen. "Wir verfolgen den Fall mit Schrecken. Wenn das so weitergeht, haben wir bald Verhältnisse wie in Mexiko, wo Spieler schon zu Tode gejagt wurden. Auch in Südafrika gab es solche Fälle", sagte Baranowsky der Bild-Zeitung.
Hemmschwelle wird niedriger bei Fußball-Fans
Der Profi-Vertreter hat eine erhöhte Bereitschaft zu Anfeindungen und offener Gewalt ausgemacht. "Die Hemmschwelle wird immer niedriger, die Hysterie immer größer", sagte der 38-Jährige. Als Beleg nannte er Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit: "Autos werden zerkratzt, einem Spieler wurde das Wadenbein gebrochen, einem anderen nach einem Disco-Besuch die Nase. In Dresden wurden als Drohung elf Gräber ausgehoben."
Daniel Bauer hat am eigenen Leib gespürt, was es heißt, bedroht zu werden. Er musste tief durchatmen, als er hörte, was da beim 1. FC Köln geschehen war. Ein Fußballer wird bedroht, vor der Haustür und im Internet, er hat Angst, er flüchtet vor dem Hass der Hooligans - das war für Bauer ein übles Deja-vu. "Da sind absolute Parallelen zu meinem Fall", sagte der 29-Jährige, der Ende 2011 den Regionalligisten 1. FC Magdeburg nach Drohungen der eigenen Fans verlassen hatte, dem SID.
Hetze bei Facebook gegen Magdeburger Spieler
Und nun Kevin Pezzoni. Bauer hatte davon aus der Zeitung erfahren, sofort "kam alles wieder hoch. Bei ihm standen auch einige Verrückte vor der Tür, dazu die Hetze bei Facebook. Bei mir war es noch einen Tick drastischer, weil ich direkt mit den Leuten konfrontiert war. Ich stand direkt an der Tür." Einige Vermummte hatten sich als Pizzaboten ausgegeben und Bauer heruntergelockt, um ihn Auge in Auge bedrohen zu können.
Bauer hat beim Viertligisten VfB Oldenburg seine Ruhe gefunden. Bei der Frage nach Konsequenzen wirkt er ratlos. "Das ist ganz schwierig. In Magdeburg haben wir damals viele Aktionen gemacht bezüglich Fanpflege, ich war da auch sehr aktiv", sagte Bauer, und fügte hinzu: "Aber was kann man noch machen? Wenn Einzelne durchticken und meinen, sie müssen den starken Mann machen, ist das schwer zu vermeiden." Bauer spricht von "absoluten Einzeltätern". Diese "sollte man ausgrenzen und ihnen sagen: Ihr habt hier nichts mehr verloren."
Löw nennt Vorgänge im Fall Pezzoni "inakzeptabel"
Sorgen um den Fußball und ein Appell an Politik und Fans: Auch die Führungsriege der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hat sich angesichts der Gewaltdrohungen gegen Kevin Pezzoni besorgt gezeigt. Vier Tage nach der Vertragsauflösung des Abwehrspielers vom 1. FC Köln, dem vor der eigenen Haustür und im Internet Gewalt angedroht worden war, verurteilte Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff am Dienstag die jüngsten Entgleisungen von Fans gegen Spieler wie Pezzoni oder den Wolfsburger Zugang Emanuel Pogatetz scharf. "Das ist eine Entwicklung, die uns im DFB beunruhigt".
Angesichts der zunehmenden Gewaltbereitschaft einiger Anhänger ist nach Bierhoffs Ansicht "ein Schulterschluss zwischen dem Fußball, der Politik, der Sicherheit und den Fans" gefragt. "Das dürfen wir nicht aufkommen lassen. So etwas wollen wir im Fußball nicht sehen", sagte Bierhoff in Barsinghausen, wo sich das Nationalteam auf das erste WM-Qualifikationsspiel gegen die Färöer vorbereitet.
Neben Pezzoni war auch Pogatetz beim Derby zwischen Wolfsburg und seinem Ex-Klub Hannover am Sonntag von den 96-Fans auf übelste Weise beschimpft worden. Bereits zuvor hatte sich Bundestrainer Joachim Löw ähnlich zum dem Eklat um Pezzoni geäußert. Es sei inakzeptabel, dass so etwas passieren könne, hatte Löw gesagt und betont, dass "wir uns ernsthaft Gedanken machen, wie wir so etwas in Zukunft vermeiden".
GdP fordert von Vereinen klare Regeln und Grenzen für Fans
Unabhängig von der Hetzjagd auf Pezzoni sieht die Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine beunruhigende Entwicklung im deutschen Fußball. Die Sicherheit rund um das Fußballgeschehen sei auf gefährlichem Kurs, sagte der GdP-Bundesvorsitzende Bernhard Witthaut. "Wenn sogenannte Fans es nicht mehr vermögen, zwischen Fußballwelt und Privatsphäre eines Spielers zu unterschieden, dann ist eine neue, zutiefst bedrückende Eskalationsstufe erreicht", sagte Witthaut.
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Die Vereine müssten klare Regeln und Grenzen setzen und diese in der Fanszene auch ausreichend kommunizieren. "Jedem Fan muss glasklar sein, wo die Grenzen der Fanunterstützung in und außerhalb der Kurven erreicht sind. Wer diese Grenzen mutwillig überschreitet, wird als Straftäter behandelt und dauerhaft vom Fußball isoliert", sagte Witthaut.
Ex-Kölner Freis sieht in Vertragsauflösung das falsche Signal
Pezzoni war vor seiner Haustür und im Internet bedroht worden, er bat um Auflösung seines Vertrages. Sein früherer Mannschaftskollege Sebastian Freis (derzeit SC Freiburg) sieht das zwiespältig. "Aus seiner Sicht kann man das natürlich nachvollziehen. Andererseits haben die Chaoten damit eigentlich ihr Ziel erreicht. Und das ist sicher ein falsches Signal", sagte er in einem Interview auf der Klub-Homepage.
Die Situation beim FC bezeichnete Freis als "äußerst bedenklich". Ihm seien zwar persönliche Angriffe und Beleidigungen erspart geblieben, aber von früheren Mitspielern habe er "gewisse Geschichten" gehört. "Das hat sich schrittweise aufgebaut, bis hin zu einer Eskalationsphase, als die Spieler nach Niederlagen von einer Gruppe Vermummter am Parkplatz des Vereinsheims erwartet wurden", berichtete Freis.
Dagegen müsse man einschreiten, auch wenn es schwierig sei, "genau zu sagen, wie". Und das ist momentan das Dilemma. (sid/dapd)