Essen. Der Fußball hat sein politisches Bewusstsein geschärft, aber der Fußballer muss kein Politiker sein. Wenn in diesen Tagen über einen Boykott der EM in der Ukraine philosophiert und gestritten wird, dann lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit.

Buenos Dias Argentina / Guten Tag, du fremdes Land / Buenos Dias Argentina / Komm, wir reichen uns die Hand / Buenos Dias Argentina / So heißt meine Melodie / Und sie soll uns zwei verbinden / mit dem Band der Harmonie.

Ja, die Vorfreude war offensichtlich ungetrübt bei der deutschen Fußball-Nationalelf, als sie damals, mit Udo Jürgens singend, im Jahre 1978 nach Argentinien zog, um dort bei der WM fröhlich ihren Titel zu verteidigen. Das hat bekanntlich nicht wirklich gut geklappt (Cordoba!), aber nicht nur deshalb war diese Weltmeisterschaft die vielleicht größte Schmach der DFB-Elf und ihres Verbands. Es war der ultimative Offenbarungseid eines Verbands, der gänzlich blind war für die Umstände dieser WM in einem Land, das durch den Putsch des Generals Jorge Rafael Videla im Jahre 1976 eine Militär-Diktatur samt Folterungen geworden war.

Das Debakel von 1978

Wenn in diesen Tagen über einen Boykott der Fußball-EM in der Ukraine philosophiert und gestritten wird, wenn Uli Hoeneß wie Theo Zwanziger unisono den „mündigen Nationalspieler“ propagieren und die Fußballer ermuntern, doch eindeutig Position zu beziehen zur politischen Gemengelage vor Ort, dann lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit.

Wie politisch ist der Sport, wie politisch ist insbesondere der Fußball als populärstes aller Spiele? Und wie engagiert, meinungsstark sollen, nein, dürfen die Kicker sein?

Fußballer mit ausgeprägtem politischen Selbstverständnis waren damals wie heute selten. Sehr selten. Paul Breitner wurde in den 70ern berühmt, weil er auf die Frage nach seiner Lieblingslektüre pfiffig antwortete: „die Mao-Bibel“; fortan war Breitner der „linke Paul“. Oder Ewald Lienen, der 1985 für die „Friedensliste“ für den NRW-Landtag kandidierte und dafür als „linker Rebell“ ge(t)adelt wurde. Sie waren Ausnahmen in einem Klima, in dem Fußballer, nun ja, Fußball spielten.

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Damals, anno 1978, quartierte der DFB seine Spieler in einem Erholungsheim für Generäle in Ascochinga (zu deutsch: „toter Hund“) ein. Einzige Abwechslung in der verwaisten Pampa, neben dem Geklimper auf der Orgel von Franz Lambert: der Empfang des früheren Wehrmachtsoffiziers und Ritterkreuz-Trägers Hans-Ulrich Rudel im DFB-Quartier. Der Verband war sich, so die positive Interpretation, der Tragweite, der Symbolik dieser Aufwartung nicht bewusst. Die schlimmere Deutung in der Causa Rudel stützte der damalige DFB-Präsident Hermann Neuberger: „Ich hoffe doch nicht, dass man ihm seine Kampffliegertätigkeit während des Zweiten Weltkriegs vorwerfen will.“

Entsprechend arglos präsentierten sich die deutschen Nationalspieler. Berti Vogts etwa, damals Kapitän der Auswahlmannschaft, wird der inzwischen legendäre Satz zugeschrieben: „Ich habe in der ganzen Zeit keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.“ Naiv? Tumb? Ignorant?

Der Fußball hat eine politische Dimension

Seither sind mehr als drei Jahrzehnte vergangen, genug Zeit auch für den DFB, seine Rolle neu zu definieren, sich bewusst zu machen, dass der Fußball nolens volens immer auch eine politische Dimension hat (die sich die Uefa in ihrem Statut im übrigen selbst zubilligt). Schließlich kann „das populäre Spiel eine demokratisierende Wirkung haben“, meint etwa die Historikerin Christiane Eisenberg. Und so hat auch der DFB seine Rolle als gesellschaftlicher Repräsentant, als Botschafter gemeinsamer Ideale längst verinnerlicht. Der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung etwa gehört zu den Korsettstangen der Verbandsarbeit, von niemandem infrage gestellt – und etwa vom früheren DFB-Boss Theo Zwanziger zuletzt stark betont.

Auch die Nationalspieler, denen man noch bis tief in die 90er-Jahre mangelnde Reflexion vorwarf, werden längst vorbereitet. Schon unter Jürgen Klinsmann, verstärkt noch unter Joachim Löw und DFB-Manager Oliver Bierhoff, werden die Fußballer zu „mündigen Spielern“ herangebildet, geformt, bekommen etwa vor Länderspielen die gesellschaftliche und politische Situation des jeweiligen Landes erklärt. Denn woher soll ein 19-, 20-jähriger Fußballer, der weder Politik noch Geschichte studiert, sondern in ganz jungen Jahren zum Profi wird, die Befähigung nehmen, über komplexe Sachverhalte kompetent zu urteilen? Die damalige Fußballer-Generation war arglos, bisweilen desinteressiert – die heutige mag mündiger erscheinen, gleichwohl wird, der heutigen Mediensituation geschuldet, jedes Wort gewogen wie auf der Diplomatenschule. Man sollte die Spieler also nicht überfordern mit dem Wunsch nach klarer Haltung.

Die deutsche Nationalelf etwa wird im Rahmen der EM 2012 die Gedenkstätte Auschwitz besuchen. Es ist als Zeichen, als erkennbares Symbol des geschichtlichen Bewusstseins gedacht. Nicht weniger. Aber eben auch nicht mehr.