Madrid. .
Es gab keinen edlen Schampus, nicht mal billigen Sekt in der Kabine: „Wir trinken Bier, wir sind Bayern“, sagte Kapitän Philipp Lahm.
Und vermutlich just in dem Augenblick, als die Münchner samt der assimilierten Holländer, Franzosen und Brasilianer bierselig ihre Weizengläser erhoben, klopfte der Überraschungsbesuch. Es war Real-Trainer José Mourinho, dieser Egomane, dem grundsätzlich alles Schlechte zugetraut werden darf, der Gedemütigte, der beim Elfmeterschießen „kniend wie Robespierre die Hinrichtung erwartete“ (Gazetta dello Sport), der nun aufrecht in die Bayern-Umkleide ging, reihum seine Aufwartung machte und artig gratulierte.
Es war wie ein Ritterschlag
Es war wie ein Ritterschlag. „Chapeau! Das war nicht nur nobel, das hatte Stil und Klasse“, belobigte Bayern-Trainer Jupp Heynckes.
Und die Gratulation war angebracht. Denn der FC Bayern hatte mit dem 3:1-Triumph im Elfmeterschießen dem furchterregenden Ruf als „Bestia Negra“, der schwarzen Bestie, auch im roten Dress alle Ehre bereitet. Selten zuvor ist ein deutscher Klub im furchteinflößenden Bernabéu so selbstbewusst aufgetreten; selten zuvor hat eine Elf, die nach einer Viertelstunde 0:2 zurückliegt, derart verbissen weiter um ihre Chance gekämpft. Diese Gier, dieser Hunger, der ansonsten gern Borussia Dortmund attestiert wird – es war dieser Wille, der die Bayern zum Sieg trug und ins Endspiel der Champions League am 19. Mai gegen den FC Chelsea.
Das „Finale dahoam“, wie es seit Monaten, ach was, Jahren angeklingelt wird, war Realität geworden. Selbst der Westfale Karl-Heinz Rummenigge wurde im Angesicht der historischen Einzigartigkeit eines Heim-Finales lyrisch. Und so zitierte der Bayern-Vorstandschef den als Fußball-Kenner weithin unterschätzten Walt Disney: „Alle Träume können wahr werden, wenn wir den Mut haben, ihnen zu folgen.“
Lobhudelei war angemessen
Es war in der Tat ein Spiel, dass „in die Geschichte des deutschen Fußballs eingehen wird“, wie Rummenigge bei seiner Bankettrede im Saal Canovas des altehrwürdigen Hotels „Westin Palace“ angemessen euphorisch formulierte. Es fielen viele Superlative an diesem Abend, sie changierten irgendwo zwischen „magisch“ und „historisch“. Die Lobhudelei war angemessen, selbst für das groteske Elfmeterschießen mit vier Treffern bei fünf vergebenen Strafstößen. Zwei Real-Elfmeter hatte Manuel Neuer pariert, den dritten hatte Sergio Ramos in die Madrider Innenstadt gewuchtet; so „wie Uli in Belgrad“, amüsierte sich Heynckes in Erinnerung an Hoeneß’ Fehlschuss im EM-Finale 1976.
Den letzten, entscheidenden Strafstoß aber versenkte Bastian Schweinsteiger, nervenstark, dafür aber kurzzeitig elementarer Dinge beraubt: „Auf dem Weg zum Elfmeter hab’ ich meine Eier kurz verloren“, sagte Schweinsteiger weniger lyrisch. „Aber ich habe sie rechtzeitig wiedergefunden.“ Es waren wohl echte Männer, kernige Typen, die da ins Finale eingezogen waren – wenn auch laut Schweinsteiger offenbar nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte: „Wir sind tot, aber überglücklich.“
Finalsieg gegen Chelsea wird zur Verpflichtung
Denn den Bayern bietet sich nun eine sehr reale Chance, dieses Endspiel auch ohne die gelbgesperrten Holger Badstuber, David Alaba und Luiz Gustavo zu gewinnen – gegen die alten Männer von der Insel, die ihrerseits auch auf vier Stammkräfte verzichten müssen. Der Finalsieg gegen Chelsea wird zur Verpflichtung, ungeachtet der „Fifty-Fifty“-Chancenprognose sämtlicher Münchner Profis. Denn „zum FC Bayern gehört mindestens ein Titel“, stellte Lahm entschlossen klar. Und ein Final-Sieg, der Gewinn der europäischen Krone, würde den Eindruck abrunden, den der Präsident nach dem Erfolg gegen Welt-Klub Real Madrid formulierte: „Der FC Bayern gehört eindeutig zu den Großen der Welt“, sagte Uli Hoeneß. Sein Stolz war unverkennbar; der Gruß nach Dortmund nicht zu überhören.