Köln/Berlin. Bei der im Juni startenden Fußball-EM steht Co-Gastgeber Ukraine in der Kritik. Nicht nur deutsche Politiker stört der Umgang mit der ehemaligen Ministerpräsidentin Julija Timoschenko - BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke will aus Protest voraussichtlich keine Spiele in der Ukraine besuchen.
Sechs Wochen vor der Fußball-EM wächst in Deutschland der politische Druck auf Co-Gastgeber Ukraine. Der Fall Julija Timoschenko rief am Mittwoch unter anderem Innenminister Hans-Joachim Friedrich (CSU) und die Sportausschussvorsitzende Dagmar Freitag (SPD) auf den Plan. Friedrich sprach von "sehr klaren Erwartungen" an die Regierung in Kiew, Freitag bezeichnete die "Freilassung oder zumindest endlich eine menschenwürdige Behandlung" der inhaftierten ehemaligen Ministerpräsidentin Timoschenko als "richtiges Signal".
EM-Gastgeber Ukraine muss sich kritische Fragen gefallen lassen
Beide sprachen sich aber gegen einen EM-Boykott aus. "Ich würde nicht mit Boykott drohen", sagte Friedrich am Mittwoch in Berlin. Er halte Boykott-Ideen im Bereich des Sports grundsätzlich für nicht geeignet, weil Sport ja eigentlich für das "Völkerverbindende und den fairen Wettbewerb der Jugend" stehe.
Zugleich müsse sich aber die Ukraine, die zusammen mit Polen vom 8. Juni bis 1. Juli EM-Gastgeber ist, kritische Fragen gefallen lassen, sagte Friedrich, der als Innenminister auch für den Sport zuständig ist. Die Bundesregierung habe "sehr klare Erwartungen" mit Blick auf die frühere ukrainische Regierungschefin Timoschenko.
Ukraine hat Chance sich positiv zu präsentieren
Sie war im Oktober in einem international vielkritisierten Verfahren wegen Amtsmissbrauchs in ihrer Zeit als Ministerpräsidentin zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Aus Protest gegen ihre Haftbedingungen war die gesundheitlich schwer angeschlagene Timoschenko am vergangenen Freitag in einen Hungerstreik getreten.
Friedrich mahnte die Ukraine, die "Chance, ihr Land positiv zu präsentieren", nicht zu vernachlässigen. Es wäre schade, wenn ein "negatives Image hängenbleiben würde", sagte er. Er gehe aber davon aus, dass es Gespräche und Bemühungen gebe, Reaktionen auch unterhalb der Boykott-Schwelle überflüssig zu machen.
Watzkes möglicher Ukraine-Boykott findet Zustimmung
Freitag unterstützt derweil das Vorhaben, die Eishockey-WM 2014 in ein anderes Land als Weißrussland zu vergeben, Boykott-Androhungen gegen die Fußball-EM äußerte sie dagegen ebenfalls nicht. "Im Vergleich zwischen beiden Sachverhalten gibt es Unterschiede. Man könnte der UEFA zugute halten, dass zu dem Zeitpunkt, als die EM an die Ukraine vergeben wurde, die Hoffnung bestand, dass das Land eine demokratische Entwicklung nehmen könnte", sagte Freitag dem SID: "Bei der Vergabe der Eishockey-WM nach Weißrussland liegt die Sache anders. Jeder Funktionär wusste bei der Abstimmung, dass es sich um ein totalitäres Regime handelt." Das dürfe aber nach Freitags Meinung Politik und Sport nicht daran hindern, auch zur EURO in der Ukraine "dezidiert Stellung zu nehmen".
"Der Sport ist national und international aus meiner Sicht in der Pflicht, sich zu äußern - die, die heute an der Spitze stehen und die, die damals an der Vergabe der Endrunde an die Ukraine mitgewirkt haben", sagte Freitag. Sie lobte ausdrücklich Hans-Joachim Watzke, den Geschäftsführer des deutschen Fußball-Meisters Borussia Dortmund, für dessen Ankündigung, wegen des Umganges des Regimes mit Timoschenko möglicherweise nicht in die Ukraine reisen zu wollen.
Wird Vergabe der Eishockey-WM an Weißrussland revidiert?
Die Eishockey-WM 2014 in Weißrussland geriet zuletzt wegen der totalitären Herrschaft von Staatspräsident Alexander Lukaschenko vermehrt in die Kritik. Freitag verweist auf einen Antragsentwurf von SPD und Grünen im Bundestag, "der die Bundesregierung und den Deutschen Eishockey-Bund auffordert, im Mai beim Kongress des Internationalen Eishockey-Verbandes IIHF in Helsinki darauf hinzuwirken, dass die Vergabe der WM 2014 an Weißrussland zurückgenommen wird." Freitag betonte: "Es sind noch zwei Jahre bis zur Endrunde, eine Vergabe an ein anderes Land sollte noch möglich sein."
Die CDU hat dagegen wie der Innenminister generelle Bedenken hinsichtlich eines Boykotts oder ähnlicher Maßnahmen und will mit Blick auf die Eishockey-WM in zwei Jahren einen eigenen Antrag einreichen. "Wir fordern darin, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, aber nicht die Rücknahme der WM", sagte Klaus Riegert, CDU-Obmann im Sportausschuss, dem SID.
Uwe Harnos, Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes, hielt sich in der Causa zurück. "Wir stehen in Kontakt mit dem DOSB, dem BMI und dem Auswärtigen Amt. Das ist ein sensibles Thema, das wir ernst nehmen", sagte er dem SID: "Das Thema steht beim Kongress des Weltverbandes in Helsinki auf die Agenda, dann wird diskutiert. Ich will jetzt noch keine Stellung beziehen, bevor ich mir nicht alle Meinungen angehört habe. Innerlich bin ich zwiegespalten, ich kann auf Anhieb nicht sagen, welcher Weg der richtige ist." (sid)