Hamburg. In der Ukraine probierte es Joachim Löw mit einer Dreierkette in der Abwehr, auch das System mit zwei Stürmern ist für den Bundestrainer eine Option. Sieben Monate vor Beginn der EURO 2012 befindet sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft noch in der Experimentierphase.

Den Ort der Pressekonferenz fand Joachim Löw irgendwie passend, das Forschungs- und Entwicklungszentrum der Beiersdorf AG in Hamburg. „Wir forschen ja auch noch ein bisschen an unserem System“, sagte der Bundestrainer mit einem Augenzwinkern.

In der Tat befindet sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gut sieben Monate vor der EURO 2012 in Polen und der Ukraine weiter in der Experimentierphase. Nach einer glanzvollen EM-Qualifikation mit zehn Siegen, in der sich weitgehend eine 4-2-3-1-Taktik bewährt hatte, bastelt Löw derzeit an verschiedenen Varianten, um das Spiel der DFB-Auswahl noch flexibler zu gestalten und um im kommenden Jahr endlich wieder einmal einen Titel nach Deutschland zu holen.

Löw führt den "Zwischenspieler" ein

Schon seit seinem Amtsantritt im August 2006 feilt der Bundestrainer an der optimalen Taktik. War es bei der WM 2010 noch ein System mit zwei klassischen Sechsern, so gefiel die DFB-Auswahl in den letzten Spielen der EM-Qualifikation oder auch beim 3:2 gegen Brasilien mit nur einem echten defensiven Mittelfeldspieler und einem „Zwischenspieler“ (Löw).

Dies kommt der offensiv ausgerichteten Philosophie von Löw noch näher. Der Gegner kann so noch früher attackiert werden, die Angriffe noch schneller eingeleitet werden. Es sind nur Feinheiten. Die sind im modernen Fußball aber entscheidend.

Lieber offensiv statt defensiv

„Der taktische Ansatz ist sehr offensiv. Wir wollen ständig nach vorne spielen, agieren, aktiv sein. Mir ist ein 4:2 lieber als ein 1:0“, sagt Löw, der vor dem Abschluss des Jahres am Dienstagabend im Prestigeduell gegen die Niederlande in Hamburg auch die Variante mit seinen zwei Top-Stürmern Miroslav Klose und Mario Gomez in Betracht zog.

Unabhängig von der Systemfrage ist Löw mit den spielerischen und taktischen Fortschritten in den letzten Jahren „sehr zufrieden“. Die Mannschaft sei „stilsicherer geworden. Wir wollen und müssen aber weiter an den Details arbeiten.“

In der Abwehr gibt es noch die meisten Fragezeichen

Da kommt es dann schon einmal vor, dass sich Löw wie beim 3:3 in der Ukraine für eine Dreier-Abwehrkette entscheidet, um zu testen, wie flexibel seine Stars sind. „Wir müssen auch in einem Turnier auf verschiedene Situationen reagieren können“, erklärt Teammanager Oliver Bierhoff die Hintergründe solcher Aktionen.

Personell gibt es derzeit in der Abwehr noch die meisten Fragezeichen, nur Philipp Lahm ist dort gesetzt. Doch dies ist für Löw kein Problem. Die Feinarbeit erfolge ohnehin erst in der direkten Vorbereitung auf die EM, „und bis dahin haben wir noch viel Zeit. Da kann sich noch viel tun.“ Deshalb will er sich auch nicht an den zahlreichen Spekulationen über einzelne Spieler beteiligen.

Auch personell experimentiert der Bundestrainer derzeit noch.
Auch personell experimentiert der Bundestrainer derzeit noch. © Imago

Löw lässt die letzten Abläufe vor dem Tor des Gegners trainieren

Viel wichtiger ist für den Bundestrainer und seinen Assistenten Hansi Flick derzeit, dass die eingesetzten Spieler die taktischen Vorgaben richtig umsetzen. Es geht weniger um das Personal als um den Inhalt.

Dies wird auch im Training forciert. „Inzwischen ist es ja so, dass sich die meisten Gegner gegen uns hinten reinstellen und selbst auf Konter lauern. Das heißt für uns, dass wir neue Lösungen brauchen“, verdeutlicht Flick in der SZ: „Wir lassen jetzt verstärkt die Abläufe auf den letzten 20, 25 Metern vor dem gegnerischen Tor trainieren.“ Am letzten Drittel arbeiten, nennt er das auch.

Dominanz führt zum Erfolg

Früher reagierten deutsche Teams oft auf den Gegner, jetzt befindet sich die DFB-Auswahl meist in der Favoritenrolle und muss agieren. Dies strebt Löw sogar bei einem möglichen EM-Duell mit Topfavorit Spanien an, wie er der FAZ verriet: „Der schlechteste Ansatz, den manche haben, ist die Aggressivität zu erhöhen. Die Spanier sind nur zu schlagen, wenn man ihnen fußballerisch Paroli bieten kann.“

Das Ideal sei deshalb eine „attraktive und effektive Spielkultur. Dominanz zu haben im spielerischen Bereich. Das macht den Erfolg aus“, führte der Bundestrainer weiter aus. Wenn dann die Mannschaft nach seinen Vorstellungen spiele, „dann werden wir auch erfolgreich sein“. Bis dahin wird aber noch etwas experimentiert.