Hamburg. Die niederländische Fußballschule, das gestand Bundestrainer Joachim Löw vor dem Duell gegen den Vize-Weltmeister, sei prägend. Seit 15 Jahren hat die DFB-Elf nicht mehr gegen „Oranje“ gewonnen. Nun wirken Deutschlands junge Nationalspieler gelegentlich wie „bessere“ Holländer.

Die Frage war, zugegeben, ein wenig schnippisch, die Antwort dagegen ein schmerzender Nadelstich. Ob die DFB-Elf angesichts ihrer spielerischen Blüte das „neue Holland“ sei, wurde Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff gefragt. Der trockene Konter des früheren Stürmers: „Das wollen wir nicht. Denn sonst wären wir ja immer Zweite in den Endspielen.“ Ein bisschen Deutschtum darf es schon noch sein, vor dem heutigen Duell der vermeintlichen Erzrivalen Deutschland und Niederlande in Hamburg (20.45 Uhr, ZDF).

Doch die Frage, inwieweit die DFB-Elf dem bekannt attraktiven Offensivspiel der Niederländer nacheifert, ist damit nicht vom Tisch. Zu offenkundig ist der Paradigmenwechsel innerhalb der DFB-Elf, die sich – von kurzen Hochphasen unterbrochen – ja über knapp drei Jahrzehnte in die Weltspitze ackerte, kämpfte und so manches Mal auch rumpelte. Dagegen stand das Modell des „Voetbal totaal“, von der legendären Ajax-Mannschaft aus Amsterdam Anfang der 70er Jahre als Revolution in den Weltfußball eingeführt, und später in Varianten als Maßstab offensiven Fußballs von den Niederländern bis zur Selbstaufgabe verteidigt – auch wenn es ihnen lediglich einen großen Titel (Europameister 1988) einbrachte.

Löw sieht Niederländer „unglaublich gut geschult“

Die niederländische Fußballschule aber, das gestand Joachim Löw am Tag vor dem Duell des Vize-Europameisters gegen den Vize-Weltmeister, sei schon prägend. „Wir haben über Jahre hinweg auch davon gelernt“, sagte der Bundestrainer, der stets für sich in Anspruch nimmt, „über den Tellerrand hinweg zu schauen“. Und wenn dieser Teller nicht allzu tief ist, dann sieht er sehr schnell die Niederlande, ein kleines Land mit knapp 17 Millionen Einwohnern (weniger als etwa Nordrhein-Westfalen), das eine ewige Talentschmiede zu sein scheint, immer wieder großartige, prägende Fußballer hervorbringt – und dazu stets am offensiven Geist im fast schon heiligen 4-3-3-System festhält. „Die Holländer beherrschen ihr Spiel und ihr System. Sie sind unglaublich gut geschult“, sagte Löw. „In Sachen Ausbildung ist Holland an Beständigkeit kaum zu überbieten.“

Einer ihrer Vorteile: Die Nachwuchskicker spielen in jungen Jahren schon in der Ehrendivision, bekommen so die nötige Wettkampfhärte und sammeln wertvolle Erfahrung, Ein Trend, der nun auch in Deutschland greift, wo in der Ausbildung massiv umgesteuert wurde, wo nun technische statt physische Basisarbeit betrieben wird und wo junge Talente wie Mario Götze und Julian Draxler, obgleich noch minderjährig, schon für ihre Klubs aufgelaufen sind.

Das prägendste Merkmal der holländischen Schule aber ist der Sturm und Drang. „Die Holländer denken fast ausschließlich offensiv und haben dabei eine individuelle Extraklasse“, sagt Löw; das Kompliment kann man getrost zurückgeben – längst hat die DFB-Elf selbst eine enorme Offensiv-Wucht entfaltet, das kreative Potenzial ist extrem.

Van Marwijk trimmte sein Team auf ein deutsches Gebot

Und im gleichen Maße, wie die Deutschen ihre Lust am Spiel statt am Kampf entdeckten, trimmte der niederländische Bondscoach und frühere BVB-Trainer Bert van Marwijk sein Team auf das altdeutsche Gebot: Ziel ist der Sieg, der Zweck heiligt die Mittel. Ästheten wie Johan Cruyff wenden sich mit Grausen ab, aber van Marwijk erreichte mit dieser Art das WM-Finale.

Und so ist die Partie in Hamburg ein Spiel auf Augenhöhe – in allen Bereichen. Seit 15 Jahren hat die DFB-Elf nicht mehr gegen „Oranje“ gewonnen, und oft ließen die Holländer dabei Deutschland schlecht aussehen. Jetzt aber sind Löw und seine gelehrigen Schüler bereit: „Wir haben keine Angst“, sagte der Bundestrainer. Und schob wie selbstverständlich nach: „Warum sollten wir vor Holland Angst haben?“