Essen. . Drei Spiele in Folge verloren, Tabellen-Fünfter in der Bundesliga – beim Rekordmeister Bayern München würden schon allein diese Fakten ausreichen, um sich von Trainer Louis van Gaal zu verabschieden. Aber es gibt mehr als diese Bilanz.
Der FC Bayern hat folgende sechs Großbaustellen in seiner Mannschaft:
Die Abwehr
Die Innenverteidigung ist das größte Problem der Bayern. Martin Demichelis verkauft, Daniel van Buyten zumeist auf der Bank: Bei Louis van Gaal ist nicht der klassische Vorstopper gefragt, sondern ein Abwehrspieler, der das Spiel nach vorne mit einem Pass eröffnen kann. Daher probiert der Holländer gerade Anatoliy Tymoshchuk aus. Ohne großen Erfolg, auch Holger Badstuber schwächelt. Die Folge: Es gab bisher 14 verschiedene Abwehrformationen, Stabilität sieht anders aus.
Die Flügelzange
Arjen Robben und Franck Ribery tragen mit Recht das Prädikat „Weltklasse“. Aber erstens sind die beiden Stars für die rechte und für die linke Außenbahn sehr verletzungsanfällig, und zweitens hat die Liga ihr System durchschaut. Beispiel Robben: Er zieht in Höhe des Strafraums von der rechten Seite nach innen, legt den Ball auf den linken Fuß und sucht den Abschluss. Damit hat er Traumtore am Fließband erzielt und wird das auch weiter tun, doch es wird schwerer. Die Gegner haben sich darauf eingestellt, hat Robben den ersten und zweiten Verteidiger stehen lassen, taucht mittlerweile Verteidiger Nummer drei auf und drängt den Holländer ab. Bayern braucht neue Überraschungsmomente im Spiel.
Der Torwart
In der Winterpause verblüffte Louis van Gaal die Mannschaft und die sportliche Leitung des FC Bayern, als er ohne Rücksprache Torhüter Jörg Butt auf die Bank verbannte und den 22-jährigen Thomas Kraft ins Tor stellte. Kraft hat gute Spiele abgeliefert, doch der Schatten der möglichen Neuverpflichtung von Schalkes Nationaltorwart Manuel Neuer holt ihn immer wieder ein. Dazu bei der 1:3-Niederlage in Hannover ein dummer Patzer: Die Bayern haben das Anschlusstor zum 1:2 erzielt und drängen auf den Ausgleich, als Kraft einen harmlosen Schuss nicht festhält, sondern zum 1:3 ins Netz lenkt. Nach der Ära von Oliver Kahn hat München ein selbst gemachtes Problem auf der Torwart-Position.
Das Mittelfeld
Im defensiven Mittelfeld fehlt die Dominanz der vergangenen Saison. Louis van Gaal hat Kapitän Mark van Bommel weggeschickt. Bastian Schweinsteiger, der in seiner Rolle als zentraler, defensiver Mittelfeldspieler zum WM-Star wurde, rückte vorübergehend ins offensive Mittelfeld, musste weite Wege nach hinten zurücklegen, und kam dann oft einen Schritt zu spät. Luiz Gustavo, den der Rekordmeister in der Winterpause von der TSG Hoffenheim kaufte, stabilisierte das defensive Mittelfeld beim 1:0-Sieg gegen Inter Mailand in der Champions League. Doch der Trainer zog den Brasilianer wieder aus dem Mittelfeld ab und setzte ihn als linken Verteidiger ein. Fragen nach dem Sinn wies er barsch zurück.
Die Einkaufspolitik
Nach einer überragenden Saison mit Meisterschaft, Pokalsieg und dem Erreichen des Finales der Champions League verzichtete Trainer Louis van Gaal auf Neueinkäufe. Dabei wäre der Vorstand bereit gewesen, zum Beispiel Nationalspieler Sami Khedira vom VfB Stuttgart zu verpflichten. Der Coach winkte ab, Khedira wechselte zu Real Madrid. Im Rückblick lässt sich sagen: Die Bayern hätten mindestens einen Abwehrspieler mit internationalem Format verpflichten müssen. Ein Konflikt mit der Philosophie von Louis van Gaal, der Angriff für lohnenswerter als Verteidigung hält. Dass Trainer und sportliche Leitung keinen Kompromiss gefunden haben, schlägt nun auf die Resultate durch.
Die Jugend
Es ehrt Louis van Gaal, dass er junge Profis fordert und fördert. Aber auf dem Niveau des FC Bayern, dessen Anspruch im Halbfinale der Champions League nicht aufhört, müssen Ausfälle auf höchster Ebene aufgefangen werden. Etwa bei Holger Badstuber, dem 21-jährigen Nationalverteidiger. Badstuber ist nach der WM in ein Loch gefallen und zeigt in dieser Saison nicht die nötige Konstanz. Mit Badstuber, Kraft, Lahm, Kroos, Schweinsteiger und Müller haben die Bayern zwar sechs Spieler aus der eigenen Jugend in der Startformation. Doch diese vorbildliche Nachwuchsarbeit hakt ebenfalls. Die zweite Mannschaft des Klubs steht in der dritten Liga abgeschlagen auf dem letzten Tabellenplatz. Zukunft sieht anders aus.