Bochum. . Etwa 100 Spiele sollen in den letzten fünf Monaten manipuliert worden sein. Die Tendenz ist noch steigend, warnt Carsten Koerl von der Wettüberwachungsfirma Sportradar.
Die Drahtzieher im größten Wettskandal im europäischen Fußball sitzen hinter Gittern, doch es wird fleißig weiter manipuliert. In 24 Ländern sollen schon Spiele verschoben worden sein, allein in den vergangenen fünf Monaten wurden bis zu 100 Partien als manipuliert gemeldet. Diese Zahlen nannte Carsten Koerl, Geschäftsführer der Wettüberwachungsfirma Sportradar, die unter anderem für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und die Europäische Fußball-Union (UEFA) ein Frühwarnsystem entwickelt hat.
"Manipulationen nehmen zu", sagte Koerl, der am Mittwoch als Sachverständiger und Zeuge im Prozess um den Fußball-Wettskandal vor dem Bochumer Landgericht aussagte. "Die Entwicklung ist ganz klar. In den letzten fünf Monaten gab es 70 bis 100 Spiele in Europa, von denen wir ausgehen, dass sie manipuliert waren", sagte der 46-Jährige weiter, "zu über 90 Prozent konnte ich voraussagen, wie das Spiel ausgeht."
Die steigende Tendenz habe auch mit der deutlich gewachsenen Vielfalt der Wettmöglichkeiten zu tun. "Da spielt es eine große Rolle, dass es heute viel mehr Möglichkeiten gibt, damit Geld zu verdienen", sagte Koerl. Das Frühwarnsystem, das auch der Weltverband FIFA nutzt, stütze sich vor allem auf die Bewegungen im Wettmarkt, 70 bis 80 Prozent der Wettanbieter werden mit ihren Quoten erfasst. Zudem sind 3500 freie Mitarbeiter in 80 Ländern im Einsatz, um alle möglichen Informationen über Spiele zu bekommen.
Dennoch waren Sportradar die Partien nicht aufgefallen, die durch die Ermittlungen der Bochumer Staatsanwaltschaft 2009 unter Manipulationsverdacht gerieten. Im Zuge dieser Ermittlungen sind mittlerweile allein in Deutschland 69 Spiele verdächtig. Den mutmaßlichen Haupttätern Ante S. und Marijo C., die seit November 2009 in Untersuchungshaft sitzen und ab 21. März vor Gericht stehen, werden Bestechungen in 47 Fällen vorgeworfen. Im laufenden Prozess geht es um 32 Partien, davon 17 in Deutschland. "Wir können nur die Daten auswerten, die wir haben", sagte Koerl, "wir können keinen Stempel geben und sagen: Wir haben 100 Prozent getroffen."
450 Millionen Datensätze pro Tag von 300 Wettanbietern mit 4000 Spielen würden verarbeitet. 4500 Fernsehsender verfolgt, zudem "Scouts vor Ort" eingesetzt, wenn ein Spiel nicht übertragen werde. Spieler und Schiedsrichter würden erfasst, eventuelle Verbindungen untereinander festgestellt. Die Zahl der als manipuliert gemeldeten Partien bewege sich aber "im Promillebereich", sagte Koerl, im Jahr würden 33.000 Spiele beobachtet.
Auf dem deutschen Wettmarkt würden allein vier Milliarden Euro umgesetzt, der staatliche Anbieter Oddset erreiche bei sinkendem Volumen nur noch einen fünf- bis zehnprozentigen Anteil. Die rund 4000 Wettshops hätten dagegen 80 Prozent Marktanteil. Für Zocker, die mit Sportwetten ihren Lebensunterhalt verdienten, seien besonders asiatische Buchmacher interessant, weil sie zum einen hohe Einsätze zuließen und zum anderen selbst nur eine Gewinnspanne von einem bis 1,5 Prozent haben. Staatliche Anbieter und Monopolisten behielten dagegen bis zu 50 Prozent als Gewinn ein. Ante S. und Marijo C. hatten als Zeugen des laufenden Prozesses erklärt, dass sie vor allem auf dem asiatischen Markt hohe Beträge auf manipulierte Spiele gewettet hätten. (sid)