Kamen. . Innenverteidiger Per Mertesacker erklärt, wie zwei Niederlagen gegen Italien die deutsche Nationalmannschaft voran brachten.

Innenverteidiger, erst 26 Jahre alt, aber schon 73 Länderspiele. Darunter zwei gegen Italien. Im März 2006 verlor die Nationalelf im Test in Florenz mit 1:4. Danach wurde das Aus für Bundestrainer Jürgen Klinsmann, seinen Co-Trainer Joachim Löw und das Projekt „neues Nationalteam“ erregt diskutiert. Im Juli 2006 verlor die Mannschaft das WM-Halbfinale in Dortmund 0:2. Und wurde gefeiert. Vor der erneuten Partie gegen Italien Mittwoch in Dortmund spricht Per Mertesacker über den Weg, den er mit dem Team gegangen ist – und über das Ende der Genügsamkeit.

Herr Mertesacker, wie ist das italienische Jahr 2006 in Ihrer Erinnerung verankert?

Per Mertesacker: Für mich war es gar nicht das italienische. Aber zwei Länderspiele in einem Jahr gegen ein Land sind etwas Besonderes.

Nach dem 1:4 in Florenz standen Bundestrainer Jürgen Klinsmann und sein damaliger Co-Trainer Joachim Löw vor dem Aus.

Mertesacker: Ich war noch relativ frisch dabei, anderthalb Jahre. Ich habe mich natürlich trotzdem damit befasst, aber die Gesamtsituation habe ich nicht als so schlimm empfunden, wie sie dargestellt wurde.

Sie konnten aber früh miterleben, wie das läuft, was man salopp Sport- und Medienpolitik nennen kann.

Mertesacker: Das war schon sehr, sehr, ich sage einmal: interessant. Die Erleichterung nach dem Überstehen der Vorrunde bei der WM war deshalb groß bei uns. Bei der ganzen Mannschaft, aber auch bei mir persönlich, weil man die Abwehr in Florenz natürlich in den Fokus der Kritik gerückt hatte.

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Wer hinten stand…

Mertesacker: …war die ärmste Sau. Es war aber auch eine wichtige Erfahrung, zu erkennen, dass ich damit ganz gut umgehen, dass ich auch ein Stück Vertrauen an die Trainer zurückgeben konnte.

Joachim Löw war es, der nach der Niederlage von Florenz rigoros erklärt hat: Wir verändern nichts.

Mertesacker: Das war ja dieser Mut von Joachim Löw und Jürgen Klinsmann, die gesagt haben: Wir bringen junge Leute, die brauchen anderthalb Jahre, um auf einen gewissen Erfahrungsschatz zu kommen, aber wir vertrauen ihnen. Und dieses Vertrauen war wichtig und vielleicht der Schlüssel zum Erfolg. Mittlerweile kommen so viele junge Spieler nach, schon mit 19, 20, 21. Alles ist total durchlässig geworden.

Sie sind bereits ein Senior in dieser Mannschaft.

Mertesacker: Tja. Ja. Ich zähle zu dieser Generation, die zwischen 20 und 25 schon viele Highlights erlebt hat. So in der Rückbetrachtung war das extrem viel. Man fragt sich, wie man das geschafft hat. Ich bin ja nicht der einzige, der diese hohe Anzahl von Länderspielen hat. Es gibt vier, fünf Spieler dieser Generation. Aber ich stehe natürlich nicht so extrem im Fokus wie Lukas, Basti und Philipp (Anm. d. Red.: Podolski, Schweinsteiger, Lahm).

Sie gelten aber als jemand, der mitredet.

Mertesacker: Die jungen Spieler, die jetzt kommen, die haben ihr Selbstvertrauen. Es geht nur darum: Wie integriert man sie in die Gruppe? Und der Wohlfühlfaktor ist hier einfach sehr, sehr hoch. Das hat uns die ganzen Jahre über auch getragen.

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Man spricht von einer Philosophie, die sich auf das Spiel bezieht. Gibt es auch eine Philosophie der Gruppe?

Mertesacker: Wir konnten zusammenwachsen, und die Neuen bringen immer wieder eine andere Qualität mit. Davon lebt eine Gruppe, davon, dass sie sich nicht festfährt.

Der Clash der Charaktere, der Aufeinanderprall, der der Nationalelf in früheren Zeiten nicht fremd war, ist nicht mehr vorstellbar?

Mertesacker: Sie meinen, dass es kracht unter den Spielern? Ich glaube, dass wir auf einem humanen Weg sind. Was aber nicht bedeutet, dass es keine sachlichen Diskussionen gibt.

Kann denn ein Auf-den-Tisch-hauen nicht von Bedeutung sein im Fußball?

Mertesacker: So richtig? Für mich? Das habe ich noch nicht erlebt. Es gibt Momente, in denen man aus der Situation heraus ein bisschen lauter wird. Aber noch einmal: Es geht immer darum, die Dinge sachlich anzusprechen. Und bei der Umsetzung des Plans, den wir als Nationalmannschaft hatten, haben alle mitgezogen. Wenn wir uns getroffen haben, war klar: Wir wollen gemeinsam diesen Weg gehen.

Ist dieser kontinuierliche, humane Aufbau der mögliche Weg zu einer ganz großen Mannschaft?

Mertesacker: Wenn man uns vergleicht mit den Spaniern, sieht man: Ein Schritt fehlt uns noch. Aber die Turniere haben uns weitergebracht.

Bei Ihrem ersten, der WM 2006, sind Sie noch einmal den Italienern begegnet und ausgeschieden. Zu diesem Zeitpunkt war Deutschland aber schon hochzufrieden und ist es bis heute auch geblieben. Bei der EM 2012 wird der Erwartungsdruck jedoch stärker sein.

Mertesacker: Erst einmal ist die Qualifikation für die EM ein entscheidender Gradmesser, weil man sehen wird: Wie kommt die Mannschaft durch? In unseren Augen ist die Qualifikation ja noch lange nicht geschafft. Da können Sie sicher sein, dass wir die kommenden Spiele nicht unterschätzen.

Aber Per Mertesacker ist wie der Kern, mit dem er begonnen hat, jetzt in dem Alter, in dem nicht mehr gesagt werden wird: Der Junge muss den Titel nicht gewinnen.

Mertesacker: Als Fußballer lebt man für den Moment. Jetzt für das Spiel gegen Italien. Aber Sie haben Recht, irgendwann reicht ein zweiter oder ein dritter Platz einem persönlich nicht mehr und der Öffentlichkeit auch nicht. Wir als Mannschaft haben uns ja schon in Südafrika bewusst dazu entschieden, nicht mehr groß mit den Fans zu feiern. Wir hatten uns das ausgemalt. Natürlich. Aber nichts in der Hand haben und sich trotzdem für ein Happyend feiern lassen? Das wäre doch paradox gewesen.

Bei der Nationalelf scheint alles gut. Empfinden Sie sie nach den schwierigen Tagen mit Werder Bremen eigentlich als eine Art Pflegeheim?

Mertesacker: Man sieht andere Leute, auch junge Leute, die Erfolgsstorys schreiben. Man unterhält sich. Und dann sprüht es. Dann spürt man die Lebensfreude, die Freude am Fußball.

Sie sprechen so positiv über die jungen Leute. Darunter sind auch Innenverteidiger. Das muss doch eine ganz neue, bedrohliche Konkurrenzerfahrung für Sie sein.

Mertesacker: Die Situation ist verändert. Und für den deutschen Fußball ist das toll. Das Wachstum der Qualität darf man nie unterdrücken. Und unser Trainerteam sieht das auch so: Alle, die sich hervorheben, sollen auch bitte zu uns kommen.