Kamen. .
In den vergangenen Monaten hat Mario Götze eine Menge großkalibriger Tage erlebt. Der gestrige Sonnenmontag war wieder so einer. Pressekonferenz der Nationalmannschaft in der Sportschule Kamen-Kaiserau. Anlass: Am Mittwoch steht um 20.45 Uhr in Dortmunds Stadion die freundschaftliche Begegnung mit der Auswahl der Italiener an, die späte Revanche für die im WM-Halbfinale 2006 erlittene Niederlage. Nationaler Aufmerksamkeitswert: Auf einer Skala von eins bis zehn grob geschätzt bei neuneinhalb. In Kaiserau fand nur das übliche Vorspiel statt. Mit prominenter Besetzung. Oliver Bierhoff, der Teammanager, war dabei. Daniel Brühl, der Filmstar, hatte eine Gastrolle. Das Subjekt der medialen Begierde hieß aber: Götze.
18 Jahre alt ist der Stammspieler des souveränen Bundesliga-Tabellenführers Borussia Dortmund, der im elitären Kreis auch noch mit Debütant Sven Bender, Mats Hummels, Marcel Schmelzer und Kevin Großkreutz aufwartet. 2009 und 2010 wurde ihm jeweils die Fritz-Walter-Medaille in Gold überreicht, weil er als der beste Nachwuchsakteur seiner Altersklasse ausgemacht worden war. Mehr Gewicht dürften für Götze allerdings die Worte haben, mit denen Joachim Löw und Matthias Sammer nach dem Abschied von der Jugend auf der Bühne mit internationaler Bedeutung empfangen haben. Der Bundestrainer hielt noch zurückhaltend Kontakt zum Hier und Jetzt. „Mario Götze ist eines der größten Talente“, erklärte er. Der für die Jugend des Deutschen Fußball-Bundes zuständige Sportdirektor Sammer dagegen stellte gleich historische Zusammenhänge her und verkündete strahlend: „Götze ist eines der größten Talente, das wir je hatten.“
Wäre dieser Knabe San Marino oder Liechtenstein geboren worden, hätte die Fußballwelt nicht aufhorchen müssen. Deutschland aber wurden über Jahrzehnte hinweg Walters, Seelers, Beckenbauers, Schusters, Ballacks in die Wiegen gelegt. Die Äußerungen des Führungspersonals zu den Perspektiven Götzes waren damit: gewagt. Als sie sich über die Redaktionsräume und das globale elektronische Netzwerk verbreiteten, konnten selbst verträumtere Gemüter sich ausrechnen, welches Kaliber die Tage des Fachabiturienten bald haben würden. Ganz dickes.
In Kaiserau erläuterte Götze vor Mikrophonen, Notizblöcken, Kameras höflich, dass er sich erst an den Podiumsplatz gewöhnen müsse. Es war schließlich trotz seines Nationalelf-Debüts Ende vergangenen Jahres in Schweden das erste Mal für ihn, dass er in deutscher Sache aus erhobener Position plauderte. „Ich fahre nach dem Training noch immer zu meinen Eltern“, berichtete er im Weiteren. Das innerfamiliäre Klima charakterisierte er als „normal“. Sein gedankliches Spiel mit dem Aus für die Schulausbildung wie im Fall des noch jugendlicheren Kollegen Julian Draxler vom FC Schalke sei von seinem Vater Jürgen – Professor mit dem Arbeitsgebiet Datentechnik an der Universität Dortmund – jedoch abgepfiffen worden. Ganz einfach sei die Kombination aus Training und Lernen nicht zu stemmen gewesen, so Götze, im Nachhinein sei er aber froh darüber, weitergemacht zu haben.
Biss hat der Talentspieler, hat dieser „unglaublich kreative Freigeist“ (Sammer) also auch. In den Jugendteams Dortmunds und Deutschlands setzte er sich noch leichtfüßig durch. Und im Top-Ensemble des BVB ist er angekommen wie ein Reisender, der keine Wege bewältigen muss, um sein Ziel zu erreichen. Götze spielt bei Trainer Jürgen Klopp. Zentral hinter dem Sturm derzeit, weil der Japaner Shinji Kagawa verletzungsbedingt fehlt, oder auf der linken Seite des Mittelfeldes. In der Nationalmannschaft aber wird sich der Jungstar, den Löw nicht mehr an die U 21 abzutreten gedenkt, wohl noch geduldig auf den Ruf in die erste Reihe warten müssen. Möglicherweise lange und mit dem Biss, den diese Strecke fordert. An Mesut Özil von Real Madrid nämlich ist der Posten des Dirigenten vergeben. Und auf der linken Seite hat der Bundestrainer bisher beharrlich am kölschen Lukas Podolski festgehalten.
Sollte es sogar unter den Bedingungen „Heimat und Freundschaft“ gegen Italien nur zum Kurzeinsatz reichen, wird Götze dennoch zufrieden ins Reich Schwarzgelb zurückkehren In Kaiserau enthüllte er, dass Schalkes Manuel Neuer, dieser Torhüter, gegen den die Borussia im Revier-Derby lediglich 0:0 spielte, ihm versprochen habe, beim nächsten Mal einen Ball durchzulassen.