Bochum. .
Gestern begann der Prozess zur Wettaffäre 2009. Immer wieder fällt dabei der Name von Thomas Cichon, der Geld vom Angeklagten Nürettin G. bekommen haben soll. 11Freunde sprach mit dem Ex-Profi des VfL Osnabrück.
Im Bochumer Landgericht wurde gestern eine 45 Seiten lange Anklageschrift verlesen, laut der Ex-Bundesligaprofi Thomas Cichon in die Wettaffäre verwickelt sein soll, bei der über 30 Spiele manipuliert wurden. Sein Verteidiger weist die Anschuldigungen zurück und nennt seinen Mandanten unschuldig. Die Vorwürfe gegen den ehemaligen Spieler vom VfL Osnabrück sind nicht neu, sie kamen erstmals im November 2009 auf. Wenige Wochen später sprach der 11-Freunde-Redakteur Tim Jürgens mit Thomas Cichon in Südafrika.
Thomas Cichon, die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelt gegen Sie wegen des Verdachts auf Spielmanipulation. Angeblich hatten Sie 389 SMS- und fünf Telefonkontakte zu dem Türken Nurettin G., der als einer der Hauptverdächtigen im internationalen Wettskandal gilt und in U-Haft sitzt.
Thomas Cichon: Aus der Vielzahl der Leute, die im Laufe des aktuellen Wettskandals inhaftiert wurden und gegen die wegen Manipulation ermittelt wird, kenne ich meines Wissens nach genau zwei Personen.
Zwei zu viel, denn Sie werden nun wegen des Kontakts zu Nürettin G., dem das Osnabrücker Wettbüro "MagicBet" gehört, verdächtigt, Spiele des VfL Osnabrück manipuliert zu haben.
Cichon: Zu Unrecht. Es ist zwar richtig, dass ich Herrn Nurettin G. kenne. Ich kann dazu aber nur sagen, dass ich definitiv nie in meinem Leben Geld dafür bekommen habe, um absichtlich schlecht zu spielen bzw. absichtlich ein Spiel zu verlieren.
Wie kommt dann Ihrer Meinung nach dieser Verdacht zustande?
Cichon: Hier werden insbesondere von bestimmten Medien ohne eine Grundlage von Beweisen zwei lose Stränge von Fakten so verdichtet, dass sich der Verdacht aufdrängt, ich hätte etwas mit Manipulationen zu tun. Ich habe zwar regelmäßig per SMS Wetteinsätze auf Fußballspiele platziert, jedoch habe ich deswegen nie meinen Beruf als Fußballprofi vernachlässigt und vorsätzlich schlecht gespielt oder absichtlich Fehler gemacht.
Sie sollen durch Wetten Schulden von rund 20 000 Euro angehäuft haben. Wie konnte es soweit kommen?
Cichon: Die Abwicklung per SMS machte die Sache sehr einfach, denn mir ging ja nie Bargeld durch die Hand. Und mit verlorenen Wetten stieg auch der Schuldenberg.
Deshalb sprachen Sie vergangene Saison auch mit Ihrem damaligen Arbeitgeber, dem VfL Osnabrück, und baten um Gehaltsvorauszahlungen, damit Sie die Schulden begleichen können.
Ja, richtig. Es kam der Tag, an dem der Betrag der Wettschulden zu begleichen war. Dies konnte ich nicht, also wurden mir zwielichtige Angebote unterbreitet.
Gerüchte besagen, dass die Gläubiger aus dem Wettbüro Ihnen gedroht haben, wenn Sie die Schulden nicht sofort bezahlen.
Cichon: Dazu möchte ich nichts Näheres sagen. Nur so viel: Mir war sofort klar, dass ich handeln muss. Ich habe noch am gleichen Tag ein Gespräch mit dem Verein geführt, und wir haben gemeinsam einen Weg zur Lösung des Problems gefunden.
In einer SMS, die Sie angeblich an Nürettin G. geschickt haben, soll es geheißen haben: "Wir sind auf null".
Cichon: Dies hieß lediglich, dass ich ihm nichts mehr bezahlen muss und auch keine Gewinne mehr offen habe.
In einer weiteren SMS sollen Sie ihn gefragt haben: "Ist mit Mittwoch alles klar?" Die SMS ging am Sonntag, den 10. Mai 2009, raus. Drei Tage später spielten Sie mit dem VfL Osnabrück in Nürnberg – und verloren mit 2:0. Dieses Spiel ist im Fokus der Staatsanwaltschaft.
Cichon: Aus dieser SMS wurde geschlussfolgert, dass ich so die Abmachung getroffen hätte, das Spiel gegen Nürnberg zu manipulieren. Falls ich dies geschrieben habe, was ich heute nicht mehr sicher sagen kann, so hatte das mit unserer Partie gar nichts zu tun. Denn eigentlich war ich für das Spiel gegen Nürnberg gar nicht vorgesehen.
Obwohl Sie einer der Leistungsträger im Team waren?
Cichon: Am Freitag, den 8. Mai, teilte mir der Trainer (Claus-Dieter "Pele" Wollitz, d. Red.) mit, dass er in Nürnberg auf mich verzichten wolle, weil ich bereits neun Gelbe Karten hatte und er fürchtete, ich könne eine weitere bekommen und deswegen im Abstiegsduell gegen Ahlen am 17. Mai fehlen. In der Saison 2007/08 hatte er dasselbe am 33. Spieltag mit Matthias Heidrich und Nico Frommer gemacht.
Allerdings liefen Sie am Mittwoch, den 13. Mai, gegen den "Club" dann doch auf.
Cichon: Der Trainer hatte sich kurzfristig umentschieden. Dies hatte seine Gründe.
Was für Gründe?
Cichon: Da fragen Sie bitte ihn. Er teilte es mir etwa drei Stunden vor Spielbeginn kurz vor der Mannschaftssitzung mit.
Sie sollen an diesem Mittwoch noch zwei weitere SMS von den Leuten aus dem Wettbüro erhalten haben.
Cichon: Zwei Stunden vor Spielbeginn erhielt ich eine SMS, in der mich einer der jetzt Inhaftierten fragte, ob ich bereit sei, das Spiel zu verkaufen.
Wie haben Sie reagiert?
Cichon: Ich habe geantwortet, dass ich so was nicht mache und ohnehin nicht für die Mannschaft vorgesehen sei.
Obwohl Sie zu diesem Zeitpunkt wussten, dass Sie nun doch spielen würden?
Cichon: Ja, richtig. Dies erschien mir die beste Aussage zu sein, um keine weiteren SMS mehr zu erhalten.
Und trotzdem erhielten Sie eine weitere Nachricht.
Cichon: Nach dem Spiel kam eine SMS mit dem ungefähren Wortlaut: "Du willst kein Geld verdienen." Danach hörte ich nichts mehr von dieser Person.
Sie sollen 5000 Euro dafür bekommen haben, dass der VfL Osnabrück in Nürnberg verloren hat. Nicht gerade viel für einen Profi.
Cichon: Das denke ich auch. Vor allem wenn man folgende Dinge weiß: Ich hätte bei einem positiven Ausgang für uns eine Siegprämie erhalten. Außerdem hätten diese Punkte gereicht, um nicht abzusteigen, und somit hätte ich eine Nichtabstiegsprämie bekommen. Des Weiteren hatte ich noch ein weiteres Jahr Vertrag für die zweite Liga und einen Anschlussvertrag über zwei Jahre mit dem Trainer als sein Assistent. Es hätte also bedeutet, dass ich für die nächsten drei Jahre absolut abgesichert gewesen wäre, da wir hier über einen guten sechsstelligen Betrag reden, den ich in diesem Fall noch vom VfL bekommen hätte. Und bei allem Respekt vor Geld, was sind dagegen 5000 Euro?
Das andere Spiel, bei dem Sie verdächtigt werden, Einfluss auf das Ergebnis genommen zu haben, soll die Partie gegen den FC Augsburg am 17. April 2009 gewesen sein. Der VfL unterlag mit 0:3. Angeblich sollen Sie den Wettbetrügern zugesagt haben, das Spiel mit drei Toren Unterschied zu verlieren.
Cichon: Da kann ich nur auf meine Spielstatistik verweisen. Die Daten besagen, dass ich in unserem Team die meisten Zweikämpfe gewonnen und die meisten Bälle zum eigenen Mann gebracht habe. Zudem wurde uns beim Stand von 2:0 ein klarer Elfmeter versagt, der uns den Anschluss gebracht hätte. Und wenn Sie meine Reaktion auf diese Entscheidung sehen, können Sie sich gut Ihr eigenes Bild machen. Und dies kann nur zu einer Meinung führen.
Dennoch machten Sie einen Stellungsfehler vor dem 1:0.
Cichon: Fehler gehören zum Fußball dazu, und ich habe in meiner langen Karriere bestimmt auch einige gemacht. Jedoch definitiv nie absichtlich beziehungsweise nie, weil ich Geld dafür bekommen habe.
Zurück zu Ihrem Kontakt zu den Inhaftierten aus dem Wettbüro. Wie kommt ein bekannter Profi wie Sie mit Leuten wie Nurettin G. in Verbindung?
Cichon: Ehrlich gesagt habe ich anfangs nicht geglaubt, dass es sich um Kriminelle handeln könnte, als ich das erste Mal in dem Wettbüro am Osnabrücker Bahnhof war. Diese Leute machen auf den ersten Blick einen Anschein wie du und ich.
Wie nahe standen Sie diesen Leuten?
Cichon: Ich habe mit denen vielleicht fünf Mal telefoniert. Das meiste lief über SMS. Es wurde gewettet oder ab und an nach meiner Meinung gefragt. Eine Standardfrage von einem lautete freitags oder samstags immer: "Hast du gute Spiele?" Damit meinte er eigentlich nur, ob ich ihm Tipps geben kann, worauf er wetten soll. Da hat er insofern mein Know-how als Profi abgefragt.
Wie verbreitet sind Fußballwetten unter Profis?
Cichon: Ich schätze, dass zwischen 75 und 80 Prozent der Spieler regelmäßig tippen.
Sie spielen inzwischen bei den Moroka Swallows in Südafrika. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen, dass die Staatsanwaltschaft gegen Sie ermittelt?
Cichon: Ich war zunächst sehr fassungslos, geschockt und mit meinen Nerven am Ende. Für einen Moment denkt man auch mal kurz daran, sich am nächsten Baum aufzuhängen (lacht).
Was haben Sie dann getan?
Cichon: Zunächst habe ich den Trainer der Swallows (Rainer Zobel, d. Red.) darüber informiert. Dann bekam ich einen Anruf eines sehr guten Freundes, der mich sehr gut beraten hat und mir den weiteren Weg aufzeigte. Ich habe dann mit meinem Anwalt und mit der Spielergewerkschaft VDV, meiner Familie und meinen engen Freunden telefoniert. Alle haben mir in diesem Moment volle Rückendeckung gegeben und mich tatkräftig unterstützt, denn Sie können sich ja vorstellen, was in einem vorgeht, der ohne auch nur einen Beweis auf Titelseiten von Tageszeitungen erscheint. Und wenn man erst drei Tage nachdem man auf dem Titelblatt stand, von dieser Zeitung kontaktiert und nach seiner Meinung gefragt wird, ist das schon sehr pervers. Aber dies spricht für die Qualität dieser Gazetten. Und auch dafür, dass Sensationsgier und Eigeninterpretationen wichtiger sind als Beweise, Fakten und Aussagen.
Haben Sie noch einmal mit Ihrem Osnabrücker Trainer Pele Wollitz Kontakt aufgenommen, der sehr erschüttert über den Verdacht war?
Cichon: Ich habe ihm eine SMS geschickt, dass ich nichts damit zu tun habe und es mir leidtut, dass einige Interna ans Licht gekommen sind. Er wusste ja über meine Situation Bescheid.
Wie gehen Sie jetzt mit Ihrer Situation um? Ihr Ruf ist auch bei einem Freispruch schwer beschädigt.
Cichon: Zunächst will ich alles dafür tun, um die Sache schnellstmöglich aufzuklären und zu beenden. Sobald dies geschehen ist, werden wir Schritt für Schritt weiter gehen, um meine Reputation wieder herzustellen. Mein ganzes Leben hat der Fußball bestimmt, und dies sollte auch in Zukunft so bleiben. (11 Freunde)