Frankfurt. Der angeschlagene Bundestrainer Joachim Löw darf sich nun wohl doch persönlich vor der DFB-Führung verteidigen. Doch die ist tief zerstritten.

Vermutlich wird sich Joachim Löw bei seiner inneren Einkehr im Breisgau am wenigsten mit den Paragraphen der DFB-Satzung beschäftigen. Krisen mögen zum Standardprogramm seines Arbeitgebers zählen, nicht aber eine mögliche Vertragsauflösung mit dem Bundestrainer, die seit der am Montag verschickten Mitteilung als Löws persönliche Ausstiegsoption im Raum steht.

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So unklar bislang ist, was der 60-Jährige wirklich will, so schwammig wirkt die Zuständigkeit für diesen Sonderfall: Laut Paragraph 34 untersteht dem Präsidium als Ganzes „die Personalauswahl des Bundestrainers“, während im Paragraph 35 dem Präsidialausschuss „Personalangelegenheiten des Bundestrainers“ zugerechnet werden. Wäre eine vorzeitige Trennung von Löw vor Vertragsablauf 2022 nun „Personalauswahl“ oder „Personalangelegenheit“?

Zukunft von Löw wird im DFB-Präsidium erörtert

Der DFB wollte dazu keine Stellung beziehen, doch zu hören war am Dienstag, dass in der Praxis alle großen Fragen – und dazu gehört die bundesweit diskutierte Causa Löw fraglos - immer noch im Präsidium erörtert würden.

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Die Mitglieder des Präsidialausschusses, besetzt mit Präsident Fritz Keller, Vizepräsident Rainer Koch, Vizepräsident Peters Peters, Generalsekretär Friedrich Curtius und Schatzmeister Stephan Osnabrügge, können nicht mal schnell den 60-Jährigen absetzen. Das ist eine Gretchenfrage für die große Runde, heißt es, auch wenn das Machtgefüge durch den kürzlich eskalierten Streit zwischen Keller und Curtius kräftig ins Wanken geraten ist.

Keller hat in Sachen Löw keine Richtlinienkompetenz

Dem Präsidenten ist die Richtlinienkompetenz für den Bundestrainer samt Verantwortlichkeit „für die Belange der Nationalmannschaft“ entzogen worden: Nachdem Kellers Vorgänger Reinhard Grindel schnell mal vor der WM 2018 im Dortmunder Fußballmuseum die Vertragsverlängerung mit Löw verkündete, dann ebenso eilig nach dem vergeigten Turnier in Russland Rückendeckung verkündete, wurden Vorkehrungen eingebaut. Keller kann als oberster Dienstherr jetzt nicht Löw mal eben unter vier Augen am Kaiserstuhl den Job versichern – ihn allein im Schwarzwälder Regen stehen lassen, mag er aber auch nicht. Das ginge gegen das Naturell des 63-Jährigen.

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Laut der „Bild“-Zeitung soll es vor der entscheidenden Präsidiumssitzung am 4. Dezember ein Zusammentreffen unter anderem mit Keller, Peters und Löw geben. In „kleiner Runde“ wäre auch jene Distanz überbrückt, die aus dem erstaunlich kühl abgefassten Kommuniqué herauszulesen war, in dem Löw „die zeitliche und emotionale Distanz“ eingeräumt wurde, um auch „persönlich die eigene große Enttäuschung zu verarbeiten“. Dieser Satz muss gar nicht so negativ interpretiert werden: Selbst engste Wegbegleiter beschreiben den Weltmeistercoach auch nach Jahren der Zusammenarbeit als schwer zu greifenden Charakter, der in seiner eigenen Jogi-Welt das Richtige für sich herausfinden soll.

DFB muss sich auf gemeinsame Linie einigen

Es gebietet der Anstand, mit Löw sich dieser Tage mal persönlich auszutauschen, wenn er schon nicht bei der Zusammenkunft zwei Tage vor Nikolaus zugegen ist. Dass dann 18 Männer und eine Frau, die ewige DFB-Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg, über Löws Verbleib wie in einem Tribunal abstimmen, ist eher nicht zu erwarten. Eine Kampfabstimmung würde die Gräben zwischen den unterschiedlichen Lagern vertiefen. Nicht nur der Bundestrainer, sondern auch der Verband sollte daher dringend klären, was er eigentlich mit Blick aufs EM-Jahr 2021 will.

Der DFB blickt in seiner langen Historie auf nur wenige Bundestrainer zurück. Otto Nerz (1926 – 1936), Sepp Herberger (1936 – 1964), Helmut Schön (1964 – 1978), Jupp Derwall (1978 – 1984), Franz Beckenbauer (1984 – 1990), Berti Vogts (1990 – 1998) prägten jeder auf seine Art eine Ära.

Vom Liebling Völler bis zum Reformer Klinsmann

Als um die Jahrtausendwende nach dem unglücklichen, nicht mal zweijährigen Intermezzo von Erich Ribbeck die Erfolge ausblieben, kam die Trainersuche öfter auf die Tagesordnung, als der Verbandsspitze lieb war, doch war die Personalauswahl – vom Publikumsliebling Rudi Völler (2000 – 2004) über den Reformer Jürgen Klinsmann (2004 – 2006) bis hin zum Stilisten Löw (ab 2006) - rückblickend von Pragmatismus zum Wohle des deutschen Fußballs geprägt.

Sollte es tatsächlich bald einen elften Bundestrainer in der Historie brauchen, dann soll es einige Befürworter einer Übergangslösung mit Stefan Kuntz geben. Der U21-Nationaltrainer gilt als kommunikativer Typ und deutlich nahbarer als Löw. Der 58-Jährige hat im Podcast „Kicker meets DAZN“ verraten, dass es derzeit kein Austausch mit dem Bundestrainer gebe. Man verstehe sich kollegial, „aber ich denke, dass Jogi schon ein paar Leute um sich herum hat, die ihm näher stehen als ich zum Beispiel“.

Kuntz: "Wir sind so was von abgeschlagen"

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Noch hellhöriger sollte allerdings machen, was Kuntz zur Nachwuchsausbildung im deutschen Fußball sagte. Dort sei man „komplett ins Hintertreffen geraten: Wir sind so was von abgeschlagen!“ Was generell nichts Gutes für denjenigen bedeutet, der – wann auch immer – Löw langfristig beerben wird.