Essen. Vor den beiden EM-Qualifikationsspielen ist U21-Trainer Stefan Kuntz mit der Einsatzzeit seiner Spieler unzufrieden. So begründet er seine Sicht.
Es hat was von einem Neustart. Nicht nur, dass U21-Trainer Stefan Kuntz sich in der ersten Übungseinheit nach fast zehn Monaten ohne Länderspiele am liebsten in den Rasen geschmissen und einmal reingebissen hätte, wie er in einem Videogespräch seine Vorfreude beschrieb. Der 57-Jährige hat auch sieben Neulinge für die beiden anstehenden EM-Qualifikationsspiele gegen Moldau (3. September, 18. 15 Uhr) und in Belgien (8. September, 16 Uhr/ beides Pro Sieben Maxx) berufen. Doch die Probleme sind die gleichen wie im Vorjahr.
Bei der letzten Zusammenkunft seiner Mannschaft im November 2019 hatte Kuntz die Einsatzzeiten seiner Spieler in den jeweiligen Vereinen bemängelt. Nach der 2:3-Niederlage im Hinspiel gegen Belgien wurde er auf der DFB-Webseite mit den Worten zitiert: „Es ist mehr als nur eine rote Lampe am Brennen. Die Spielpraxis und die Höhe der Spielklassen sollte uns zu denken geben.“ Und die Lampe brennt auch weiterhin.
Kuntz erneuert Kritik an der Spielpraxis seiner U21-Akteure
Viel habe sich in der Zwischenzeit nicht verändert, so ehrlich müsse man sein, so Kuntz. Durch die höhere Anzahl von Einwechslungen habe es zwar etwas mehr Spielanteile für seine Akteure gegeben. Aber im Vergleich zu den anderen europäischen Topligen hinkt Deutschland in diesem Bereich hinterher.
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Dieser Problematik ist man sich durchaus bewusst. Deshalb hat der DFB hat am Ende der abgelaufenen Bundesliga-Spielzeit eine Statistik angelegt, die die fehlende Spielpraxis der Nachwuchsakteure belegt. Nimmt man beispielsweise den letzten Spieltag der vier europäischen Topligen, standen in der Bundesliga 15 mögliche U 21-Spieler auf dem Feld (fünf in der Startaufstellung). In der englischen Premier League waren es 34 Spieler (21), in der italienischen Serie A 31 (10) und in der spanischen La Liga 25 (10).
In Deutschland kommt die individuelle Förderung zu kurz
Umgekehrt waren am 34. Spieltag in der Bundesliga 33 ausländische U21-Spieler im Einsatz. Insbesondere junge französische Talente sehen die oberste Klasse in Deutschland als ideale Zwischenstation an, um den Sprung zu den großen Klubs aus England oder Spanien zu schaffen. Die Leipziger Dayot Upamecano (21) und Ibrahima Konaté (21) oder der Leverkusener Moussa Diaby (21) stehen exemplarisch für diesen Weg.
Doch warum laufen ausländische Toptalente den heimischen Profis den Rang ab? „Das ist schwer zu sagen“, rätselt Kuntz, verweist jedoch auf Defizite in der Nachwuchsförderung in den zurückliegenden Jahren: „Die Ausbildung im Projekt Zukunft wird ja aktuell überdacht. Wie können wir individuelle Basics wieder mehr trainieren? Angefangen beispielsweise bei Finten. Diese Basics sind in der Vergangenheit ein bisschen zugunsten der Mannschaftstaktik verloren gegangen.“
Bayern-Coach Hansi Flick wünscht sich mehr Dribbler
Zustimmung bekommt der frühere Stürmer von Bayern-Trainer Hansi Flick (55). Natürlich müssen Spitzenspieler inzwischen technisch perfekt ausgebildet sein, sagte er im „11 Freunde Bundesliga-Sonderheft“, „aber wenn ich mir etwas für den deutschen Fußball insgesamt wünschen würde, wären es mehr Spieler, die Lösungen im Eins-gegen-Eins in der Offensive genauso haben wie in der Defensive.“ Für ihn sei Tempo ein zentraler Baustein im modernen Fußball, „ob nun als als physische Schnelligkeit oder als Handlungsschnelligkeit“.
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Aus dem aktuellen 23-köpfigen U21-Aufgebot waren in der vergangenen Saison lediglich neun Spieler im deutschen Oberhaus aktiv. Die meisten Einsätze hatte dabei der Mainzer Ridle Baku (22), der für die Rheinhessen bei 30 Partien 26-mal in der Startelf stand. Torwart Nummer drei Finn Dahmen (22) kam sogar nur für die zweite Mannschaft des 1. FSV Mainz 05 in der Regionalliga Südwest zum Zug.
U21-Europameister 2017 hatten reichlich Bundesliga-Erfahrung
Die Situation beim EM-Triumph 2017 in Polen war noch ganz anders. Damals standen in der Saison vor dem Turnier alle Profis bei Vereinen aus dem deutschen Oberhaus unter Vertrag. Nur auf das Torhüter-Trio traf das nicht zu. Die Nummer eins Julian Pollersbeck, Halbfinal-Held mit zwei gehaltenen Strafstößen im Elfmeterschießen gegen England, feierte bei Zweitligist 1. FC Kaiserslautern seinen Durchbruch. Marvin Schwäbe war Stammkeeper in der zweiten Liga bei Dynamo Dresden. Odysseas Vlachodimos spielte in Griechenland für Panathinaikos Athen. Spieler wie Thilo Kehrer, Max Meyer oder Serge Gnabry hatten sich da längst einen Namen in der ersten Liga gemacht.
Mit der internationalen Erfahrung der Europameister-Mannschaft von 2009 kann aber selbst dieser Jahrgang nicht mithalten. Zahlreiche Spieler im damaligen Aufgebot von Coach Horst Hrubesch hatten bereits Europapokal-Erfahrung gesammelt. Manuel Neuer, Benedikt Höwedes, Mesut Özil und Sami Khedira liefen mit ihren Klubs schon in der Champions League auf. Dennis Aogo, Jerome Boateng und Sebastian Boenisch eine Stufe tiefer im Uefa-Cup.
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Bis dahin ist es für die Spieler von Stefan Kuntz noch ein weiter Weg. Trotzdem macht er seinen Schützlingen Mut: „Vergleicht man die Kader bei der EM 2019 (Deutschland verlor im Finale gegen Spanien 1:2; Anm. d. Red.), waren die Franzosen, Spanier, Italiener oder Engländer von der Einzelqualität her um ein Vielfaches stärker als wir. Aber es ist auch ein Zeichen von Qualität, einen Matchplan gut umzusetzen oder aktiv für den Mannschaftsgeist etwas zu tun.“ Dies seien auch Talente, die „vielleicht nicht sofort gesehen werden. Aber ich sage meinen Jungs, dass sie sich damit auf Dauer auch durchsetzen werden.“