Essen. Nach dem 0:6-Debakel in Spanien wird die Ablösung von Bundestrainer Joachim Löw gefordert. Doch wie sähe die Zukunft aus? Ein Kommentar.

In einem Wort manifestierte Joachim Löw seine komplette Ratlosigkeit. „Irgendwie“, sagte er immer wieder. „Es war irgendwie ein rabenschwarzer Tag für uns.“ – „Nach dem 1:0 haben wir irgendwie unser ganzes Konzept aufgegeben.“ – „Wir sind dann plötzlich irgendwie rausgestürzt.“ – „Wir sind dann irgendwie irgendwo rumgelaufen.“ – „Wir haben die Organisation nach dem 1:0 aufgegeben, und das war irgendwie tödlich.“

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Im Zentrum der Kritik nach dem 0:6 in Spanien: Bundestrainer Joachim Löw (links) und sein Assistent Marcus Sorg.
Im Zentrum der Kritik nach dem 0:6 in Spanien: Bundestrainer Joachim Löw (links) und sein Assistent Marcus Sorg. © Getty

Um das fortzusetzen: Bei der 0:6-Blamage in Spanien, der höchsten Niederlage einer deutschen Nationalmannschaft seit fast 90 Jahren, wirkte der Bundestrainer irgendwie teilnahmslos, irgendwie hilflos, irgendwie überfordert. Entsetzt saß er auf der Bank und nahm das Elend hin. Er hatte offensichtlich keinen Einfluss auf seine Mannschaft, die sich auf erschreckende Weise ergab. Nicht nur Löw dachte ja, dass sie schon ein paar Schritte weiter sei. Überraschend war an diesem denkwürdigen Abend in Sevilla vor allem, dass auch die häufig erfreulich starke Offensive nicht funktionierte. Bei der Defensive liegt die Messlatte ohnehin nur auf Grashalmhöhe.

Dieses Spiel hat gezeigt: Joachim Löws Versuch der Runderneuerung ist gescheitert. Denn durch das Aussortieren der drei Routiniers Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller fehlen der Mannschaft Anführer, außerdem wurde hinten ein Leistungsloch aufgerissen, das von den Nachrückern nicht zugeschüttet werden konnte. Löw, der sich bisher so schrecklich uneinsichtig gibt, muss jetzt über seinen Schatten springen und Rückholaktionen einleiten. Dabei sind die Fälle allerdings unterschiedlich: Boateng hat seinen Zenit überschritten, Müller könnte vor allem als Führungsspieler mit seiner Erfahrung helfen – wirklich gebraucht aber wird vor allem Hummels als Abwehrstabilisator.

Das sind schon die Besten - mehr Alternativen hat Joachim Löw nicht

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Viel mehr personelle Möglichkeiten aber bieten sich dem Bundestrainer nicht. Er hat versucht, ein neues Team aufzubauen, wie es ihm schon für die WM 2010 gelungen war – der Weltmeistertitel vier Jahre später war die Folge dieser früh eingeleiteten Entwicklung. Diesmal aber ging der Plan nicht auf. Und das liegt an 2018. Die WM in Russland war für den deutschen Fußball ein nachhaltiges Desaster. Auch für den Bundestrainer, der den falschen Schluss zog.

Im Grund ehrt es ihn ja, dass er den Ehrgeiz hatte, keinen Scherbenhaufen zu hinterlassen, sondern es allen noch mal zeigen zu wollen. Aber der Imageschaden, auch für ihn selbst, war so groß, dass er nicht mehr zu reparieren war. Er hätte Fehler zugeben und nach der WM gehen können: Er wäre trotzdem immer der Weltmeistertrainer von 2014 geblieben. Joachim Löw hat den richtigen Zeitpunkt für einen stilvollen Rücktritt verpasst, und der damals mit seiner eigenen Führungskrise um Präsident Reinhard Grindel beschäftigte DFB griff nicht ein.

Klopp? Unter Vertrag. Flick? Unter Vertrag. Rangnick? Nicht gerade beliebt

Jetzt, ein halbes Jahr vor der Europameisterschaft, sieht sich Löw mit der Frage konfrontiert, ob er noch der Richtige ist. Diese Frage ist berechtigt, und Löw macht es einem derzeit sogar leicht, sie mit nein zu beantworten. Doch wer seine Ablösung fordert, muss auch realistische Alternativen aufzeigen. Warum sollten der FC Liverpool Jürgen Klopp oder der FC Bayern Hansi Flick freigeben und sich damit selbst schwächen? Bliebe der derzeit beschäftigungslose Ralf Rangnick. Der allerdings steht auf der Popularitätsskala auch nicht gerade auf Platz eins.

Erinnern wir uns kurz an 2006, als die deutsche Nationalmannschaft im März in Florenz den Italienern hoffnungslos mit 1:4 unterlegen war – und das kurz vor der WM im eigenen Land. Nicht wenige Experten und Fans verlangten damals die sofortige Trennung von Bundestrainer Jürgen Klinsmann. Populistische Forderungen sind aber leider keine Lösung.

Natürlich bräuchte die aktuelle Nationalmannschaft neue Impulse. Aber sicher nicht im Hauruckverfahren.