Stuttgart. Der Emmericher Robin Gosens steht vor seinem Länderspieldebüt gegen Spanien und die Schweiz. Sein Weg dorthin ist äußert ungewöhnlich.
Passender konnte der Anruf kaum kommen: Robin Gosens war mit seiner Freundin auf dem Weg in die Dolomiten auf einer Serpentinenstraße unterwegs, als das Handy klingelte. Am anderen Ende: Bundestrainer Joachim Löw, der den Linksverteidiger zu den anstehenden Länderspielen gegen Spanien am Donnerstag und in der Schweiz am Sonntag (beide 20.45 Uhr/ZDF) einlud. „Das war ein Wahnsinns-Gefühl, ein magischer Moment für mich“, erzählte Gosens der Bild am Sonntag. „Ich war sprachlos.“ Eine Serpentinenstraße – das passt zur bisherigen Karriere des gebürtigen Emmerichers, die so manche Kurve, so manche Wendung genommen hat, bevor Gosens mit 26 Jahren oben angekommen ist und an diesem Montag ins Teamhotel in Stuttgart einziehen wird.
Robin Gosens: Erst Landesliga, dann Königsklasse
Geschichten wie seine sind im modernen Fußball nicht mehr vorgesehen: Robin Gosens hat nie ein Nachwuchsleistungszentrum besucht, hat bis er 18 wurde, für kleinere Vereine vom Niederrhein gekickt. Er ist den Talentspähern der deutschen Topklubs und des DFB durchgerutscht und musste einen anderen Weg finden von der Landesliga über die Niederlande und Italien, bevor man in der Heimat auf ihn aufmerksam wurde.
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Mit dem deutschen Profifußball kam Gosens nur einmal in Berührung: Mit 18 hatte er ein Probetraining bei Borussia Dortmund. „Das war eine Katastrophe“, erzählt er später dieser Redaktion. „Ich konnte überhaupt nicht mithalten. Ich stand zwar auf dem Platz, aber ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie der Ball wieder von meinen Schuhen verschwunden war. Ich wusste überhaupt nicht, was passiert, ich war komplett überfordert.“
Der Traum vom Profifußball schien begraben. Gosens wollte zur Polizei, hatte alle Tests schon gemacht. Dann sollte ein U19-Spiel im Jahr 2012 alles verändern: In der Niederrheinliga ging es mit dem VfL Rhede gegen Kleve. „Nach der Partie kam einer auf mich zu und meinte: Robin, ich bin nicht wegen dir hier, aber hast du nicht Bock, zu Vitesse Arnheim zum Probetraining zu kommen?“, erinnert sich Gosens. „Ich dachte erst, der wollte mich auf den Arm nehmen. Aber ich ging hin, sie fanden mich offenbar gut und sie wollten mich. So fing die ganze Sache an.“
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Die erste von vielen glücklichen Fügungen. In Arnheim war damals Peter Bosz der Trainer, heute trainiert er Bayer Leverkusen. Bosz nahm den U23-Spieler mit ins Trainingslager und schulte den damals 19-Jährigen um, von Mittelfeldspieler auf Linksverteidiger. „Ich bin ihm dankbar. Die Karriere, die ich gemacht habe, habe ich als Linksverteidiger gemacht“, so Gosens. „Wer weiß, wo ich jetzt sonst wäre.“
Das erste Spiel als Linksverteidiger war ein Testspiel gegen den Zweitligisten FC Dordrecht. Der hatte links eine Lücke und lieh Gosens gleich mal für ein halbes Jahr aus. Am Ende stand der Aufstieg in die erste Liga. Über Heracles Almelo führte der Weg später nach Italien zu Atalanta Bergamo. 900.000 Euro zahlte der Serie-A-Klub im Sommer 2017 und das darf inzwischen als herausragendes Geschäft gelten: Gosens setzte seinen langsamen, aber stetigen Aufstieg fort, wurde Stammspieler und etablierte sich mit Bergamo in der Spitzengruppe der italienischen Liga.
Und der Klub aus der durch den Coronavirus besonders gebeutelten Region Bergamo hätte fast ein modernes Fußballmärchen geschrieben, stand im August schon mit anderthalb Beinen im Champions-League-Halbfinale – bevor Paris Saint-Germain die Partie mit zwei ganz späten Treffern drehte. „Die schlimmste Art rauszufliegen, die man sich vorstellen kann“, sei das gewesen, aber: „Ich habe die beste Saison meiner Karriere gespielt und enorme Schritte nach vorn gemacht.“
Schalke wollte Robin Gosens verpflichten
Inzwischen war man auch in der Heimat aufmerksam geworden auf diesen Fußballer mit dem ungewöhnlichen Karriereweg: Vor einem Jahr wollte ihn Schalke 04 gerne verpflichten, letztlich aber wurden sich die Klubs nicht einig.
Und jetzt meldete sich Löw – gerade rechtzeitig. Denn auch Ronald Koeman, damals noch Nationaltrainer der Niederlanden, hatte Gosens angerufen – dessen Vater ist Niederländer. Doch der 26-Jährige zögerte, sagte erst ein paar Tage später bei Löw spontan zu. In Deutschland ist er aufgewachsen – hier sind die Bindungen enger..