Montpellier. . Eine Verletzung bremste die Essenerin Marina Hegering lange aus. In Frankreich bildet sie nun mit Sara Doorsoun die deutsche WM-Abwehr.

Vor zehn Jahren füllte die U20-Nationalspielerin Marina Hegering vor der Nachwuchs-WM einen Fragebogen des Weltverbands Fifa aus. Lieblingsessen („Omas Rindfleischsuppe“), Hobbies („Kino, Inlineskaten“), Fußballidol („Mehmet Scholl“). Die gängigen Fragen vor einem großen Turnier. Und welche Begabung ihr wohl fehle? „Ich würde gerne Gitarre spielen können.“

Heute ist Marina Hegering Abwehrchefin der Frauen-Nationalmannschaft bei der WM in Frankreich. Jüngst, beim Einstieg in den Schnellzug TGV beim Umzug vor dem zweiten Vorrundenspiel gegen Spanien (1:0), trug Hegering beschützend eine große Tasche. „Beim Normalgepäck habe ich Angst, dass sie kaputt geht“, sagte sie. In der schwarzen Tasche befand sich, man ahnt es: eine Gitarre.

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Die Entwicklung nach einer scheinbar belanglosen Frage vor zehn Jahren zeigt, wie sehr sich die 29-Jährige durchbeißen kann, wenn sie sich etwas vorgenommen hat. Heute kann sie Gitarre spielen. „Ich bin mehr blutiger Anfänger als Profi, ich habe mir das Gitarrenspielen selbst per Youtube-Lehrvideos beigebracht. Aber für ein paar Songs reicht es.“ Als sie diesen Satz am Freitag im südfranzösischen Montpellier spricht, wo am Montag das letzte Vorrundenspiel gegen Südafrika ansteht (18 Uhr/ARD/DAZN), muss Teamkollegin Sara Doorsoun laut lachen. „Ach komm, Country Road geht schon gut.“

Zwei Spiele, zwei Siege, nun ist Gruppenplatz eins das Ziel

Gemeinsam sind sie nun on the road, auf der Straße also, die sie nach dem nun auch offiziell feststehenden Achtelfinaleinzug unter die besten drei Teams Europas (Olympiaqualifikation) und bestenfalls bis ins Finale führen soll. Marina Hegering aus Bocholt und die 27-jährige Sara Doorsoun aus Köln bilden die Innenverteidigung, die bisher noch kein Gegentor zuließ, die aber auch schon mehrfach wackelte. Beim Auftakt gegen China, als Doorsoun den Gegner mit Fehlpässen zum Kontern einlud. Und gegen Spanien, als Hegerings Pass einmal gefährlich vor den Füßen einer Gegnerin landete. Hegering rette für Doorsoun, Doorsoun rettete für Hegering. Alles noch mal gutgegangen, zwei Spiele, zwei Siege, nun ist Gruppenplatz eins das Ziel. „Hundert Prozent zufrieden bin ich noch nicht“, sagt Hegering dennoch selbstkritisch. „Wir können noch einiges verbessern.“

Aus der einstigen U20-Kapitänin ist tatsächlich eine Frauen-Nationalspielerin geworden. Ein Werdegang, der lange vorgezeichnet schien. Marina Hegering durchlief sämtliche Jugendnationalteams, gewann mit dem Bundesligisten FCR Duisburg zweimal den DFB-Pokal und führte die U20 mit der Kapitänsbinde am Arm zum WM-Titel. Sie konnte zwar nicht Gitarre spielen, war aber ein Rockstar des Nachwuchsfußballs. Dann verschwand Marina Hegering von der Bühne. Es kam in den Folgejahren nicht zum Auftritt im Frauen-Nationalteam. Stille statt Musik.

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Marina Hegering kämpfte in dieser Zeit nicht auf dem Rasen, sondern mit einer Fersenverletzung. Viele Jahre lang, Wundheilungsstörungen verhinderten eine Rückkehr. „Ich war bei den Spielen zuschauen, habe meine Teamkameradinnen unterstützt. Aber Spaß gemacht hat das nicht. Man nimmt zwar etwas mit aus einer langen Verletzungspause – aber nicht viel Positives“, sagte sie dieser Zeitung vor dem Turnierstart. Zum Vergleich: In den beiden jüngsten Spielzeiten absolvierte sie 34 Bundesligapartien für die SGS Essen. In sechs Jahren für Bayer Leverkusen zuvor: 49.

Essen und Schlafen - zu mehr reicht es nicht

Marin Hegering brachte sich in dieser Zeit selbst das Gitarrenspielen bei, ackerte in der Reha und konzentrierte sich auf ihren Beruf. Sie arbeitet als kaufmännische Angestellte in einer Baufirma im nordrhein-westfälischen Heiden. Bis zu 40 Stunden die Woche, danach geht es zum Training. „Essen und Schlafen. Zu viel mehr reicht zwischen Arbeit und Fußball die Zeit nicht.“ Sie sagt das mit einem Lächeln, denn sie genießt es trotzdem. Wer jahrelang nicht spielen durfte, akzeptiert die späte Genesung trotz des Stresses umso mehr. Und Martina Voss-Tecklenburg, einst Hegerings Trainerin in Duisburg, beobachtete die Rückkehr. Im April berief sie Hegering für den Test gegen Schweden ins Nationalteam – es kam zum Debüt mit 28 Jahren. Erst Spät-, dann Senkrechtstarterin.

„Marina ist zurecht hier bei uns, weil sie starke Leistungen in der Bundesliga gezeigt hat“, begründete sagte Voss-Tecklenburg ihren Entschluss. „Sie hat sich direkt gut eingefunden und ihre Form bestätigt.“ Maschina nennen sie Marina Hegering im Nationalteam nur. Weil sie auch im Krafttraum immer alles gibt. Den Spitznamen hatte sie einst in Essen erhalten. Von Sara Doorsoun.